Bleiben wir noch ein wenig bei der Politik im Film bzw. im Fernsehen. Neulich lief auf ZDFNeo die hochgelobte Serie Years and Years von Russel T. Davies – natürlich zur besten Sendezeit mitten in der Nacht und alle sechs Folgen auf einmal. Binge watching bei den Öffentlich-Rechtlichen …
Empfehlen kann ich dieses geballte Anschauen allerdings nicht, es sei denn, man hat eine Schachtel Antidepressiva oder wenigstens eine gut gefüllte Hausbar an der Hand, denn in der Summe ist der Stoff schon sehr deprimierend und nicht unbedingt geeignet für die soziale Isolation im Corona-bedingten Lockdown. Aber als Dystopie, die sich mit Populismus, Globalisierung, Neoliberalismus bzw. Turbo-Kapitalismus und dem Untergang der Demokratie beschäftigt, also mit allen Wohlfühlthemen, die uns des Nachts um den Schlaf bringen, ist sie einfach perfekt.
Erzählt wird die Geschichte der Familie Lyons, deren Oberhaupt die 92jährige Muriel (Anne Reid) ist, die sich seit dem frühen Krebstod ihrer Tochter um deren vier inzwischen erwachsene Kinder kümmert. Der älteste Sohn Stephen (Rory Kinnear) arbeitet als Finanzberater in London und hat die farbige Celeste (T’Nia Miller) geheiratet, mit der er zwei Töchter hat. Seine Schwester Edith (Jessica Hynes) ist für diverse NGOs in der Welt unterwegs, hat verschiedene Bücher über Politik und Umweltfragen geschrieben und damit einige Bekanntheit erlangt. Die jüngeren Geschwister sind der schwule Daniel (Russell Tovey), der für die Stadt Manchester arbeitet und Flüchtlinge betreut, sowie die gehbehinderte Rosie (Ruth Madeley), die eine Kantine leitet und zwei uneheliche Söhne erzieht.
Für deutsche Zuschauer beginnt die Serie mit einem Schock: Angela Merkel ist tot. Und die britische Lokalpolitikerin Vivienne Rook (Emma Thompson) findet, dass das Leben seither besser geworden sei. Überhaupt nimmt sie kein Blatt vor den Mund, erklärt, dass Außenpolitik ihr scheißegal sei und hetzt gegen Migranten. Unbewusst spricht sie vielen Engländern damit aus dem Herzen, denn alle fühlen sich vom Leben, den sozialen Medien, dem rasanten technologischen Fortschritt und den sozialen Umwälzungen überfordert. Auch Rosie findet Vivienne toll, weil sie sagt, was Sache ist.
Die Figur der Vivienne Rook ist klar an Donald Trump angelegt, ungehobelt, naiv und in ihrer politisch unkorrekten Art irgendwie belebend – so wie ein elektrischer Schlag. Sie irrlichtert eine Weile durch die Serie, tritt immer wieder im Fernsehen in Erscheinung, versucht sich an einer politischen Karriere und wird schließlich Premierministerin. Wie der Populismus das Land verändert, wie bestimmte Auswirkungen des Brexits mit einbezogen werden und wozu das alles schlussendlich führt, schildert Davies auf sehr beklemmende Art und Weise. Insgesamt könnte er dabei noch stärker ins Detail gehen, und die Auflösung vollzieht sich auch ein wenig zu rasch, um glaubwürdig zu sein, aber grundsätzlich ist seine Darstellung realistisch genug, um Beklemmungen auszulösen.
In erster Linie geht es um allerdings um verschiedene Trends in der britischen Gesellschaft, die man bereits seit Jahren verfolgen kann und die weitergesponnen werden. Zum einen um die wachsende Feindseligkeit gegenüber Migranten, zum anderen um die Kluft zwischen Arm und Reich, die immer größer wird. Ein weiteres großes Thema ist die technische Revolution, die zahllose Arbeitsplätze vernichtet, nicht nur die schlecht bezahlten, sondern auch die der Mittelschicht. Davies berichtet mit satirischer Schärfe vom Zusammenbruch der Banken (das Resultat einer Auseinandersetzung zwischen den USA unter Trump und China) und dem täglichen Überlebenskampf der Menschen. Rosie verliert ihren Job, weil ihre Kantine auf sich selbsterhitzende Mahlzeiten umstellt, Stephen nimmt immer mehr Nebenjobs an, um seine Familie über Wasser zu halten – am Ende sind es, wenn ich mich recht erinnere, ganze elf Stück.
Daniel steht über mehrere Folgen hinweg im Mittelpunkt, da er sich in einen ukrainischen Flüchtling verliebt, der schließlich ausgewiesen wird und den er mit aller Macht wieder nach Hause holen will. Edith, die klassische Vertreterin der progressiven Linken, wiederum liebäugelt lange Zeit mit Vivienne Rooks Agenda, da sie die Hoffnung aufgegeben hat, die Gesellschaft zu reformieren. Vielleicht, so denkt sie, braucht es jemanden wie Rook, der die Demokratie zerstört, um auf den Ruinen etwas Neues zu errichten. Am Ende geht jedoch auch sie in den Widerstand.
Die jüngere Generation ist dagegen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt – ein kleiner, gemeiner Seitenhieb auf die Millennials. Stephens Tochter Bethany (Lydia West) outet sich als transhuman und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihr Gehirn in eine Cloud hochzuladen. An ihrem Leben werden vor allem die technischen Errungenschaften vorgeführt, die aus der jungen Frau langsam, aber sicher eine Art Cyborg mit Internetanschluss machen. Da ist die genderfluide Darstellung eines Kinds von Rosie beinahe schon altbacken.
Man sieht, Davies will viel erzählen, vielleicht schon zu viel, denn der Klimawandel spielt ebenfalls eine Rolle, das Aussterben der Bananen, die Kaffeepreise in London, bizarre Bestattungsmethoden und tausend weitere Themen, alles wird kunterbunt durcheinandergemixt, so dass es einem bisweilen schwindelig werden kann. Das Tempo ist manchmal atemberaubend, aber auch das erinnert an das reale Leben.
Trotz aller Düsternis ist es eine Serie, die sich lohnt, nicht nur wegen ihrer vielen Themen, den Seitenhieben auf unsere Wirklichkeit, dem satirischen Ton, den man am britischen Fernsehen so oft bewundern kann, sondern auch wegen seiner exzellenten Schauspieler, die man gerne über all die Jahre hinweg begleitet und die einem schnell ans Herz wachsen. Außerdem ist Emma Thompson wieder einmal grandios.
Die Serie ist noch bis zum 12. Februar in der ZDF-Mediathek abrufbar.