Alan Ball gehört zu den Autoren und Produzenten, die seinerseits in Zusammenarbeit mit HBO maßgeblich zur Geburt des sogenannten goldenen Zeitalters des Fernsehens beigetragen haben. Neben The Wire und The Sopranos war es Balls Serie Six Feed Under, die mit bisherigen Erzählkonventionen gebrochen hat. Ball hat sich auch als einer der ersten stark gemacht, schwule Figuren zu etablieren und damit Minderheiten sichtbar zu machen. Sein neuster Film, bei dem er nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch Regie geführt hat, ist seit Kurzem bei Prime Video zu sehen.
Uncle Frank
Frank (Paul Bettany) ist ein New Yorker Professor für Literatur, der aus einem kleinen Kaff in South Carolina stammt. Als er anlässlich des Geburtstags seines Vaters (Stephen Root) zu Besuch weilt, bekommt er wieder einmal dessen Ablehnung zu spüren. Weder seine Mutter (Margo Martindale) noch seine Schwestern (Judy Greer und Jane McNeill) können dies mit ihrer Herzlichkeit ausgleichen. Besonders zugetan ist Frank seiner Nichte Beth (Sophia Lillis), die einige Jahre später ein Studium in New York beginnt.
Dort entdeckt sie Franks Geheimnis: Ihr Onkel ist schwul und lebt seit zehn Jahren mit dem Araber Wally (Peter Mcdissi) zusammen. Als Franks Vater überraschend stirbt, fahren Frank und Beth nach Hause – und Wally folgt ihnen …
Alan Ball hat mit Uncle Frank einen seiner persönlichsten Filme abgeliefert, der nach seiner eigenen Aussage auf Ereignissen aus dem Leben seines Vaters beruht. In der Tat geht es bei diesem biografischen Element um einen Todesfall in Franks Vergangenheit, der bei seiner Rückkehr anlässlich des Todes seines Vaters eine erneute Rolle spielt. Auch Ball hat bereits in jungen Jahren einen tragischen Tod verkraften müssen, als seine Schwester bei einem Autounfall ums Leben kam, den er selbst überlebte. Kein Wunder, dass er sich häufig mit dem Sterben in seinen Werken beschäftigt und mit der Trauer der Hinterbliebenen. Und auch für Paul Bettany dürfte dieser Umstand den Ausschlag gegeben haben, die Rolle anzunehmen, denn auch er hat im Kindesalter einen Bruder verloren.
Uncle Frank ist ein unaufgeregter Film, der sich mit den schwierigen Lebensumständen von Mitgliedern der LGBTQ-Community in den frühen Siebzigerjahren auseinandersetzt. Während Frank in New York einigermaßen ein offenes Leben führen kann, sieht das in seinem erzkonservativen Staat und vor allem in seinem streng religiösen Elternhaus völlig anders aus. Hier bleibt er ungeoutet und damit für die jüngere Generation auch ein bisschen geheimnisvoll. Von Anfang an erkennt Beth, dass Frank wie ein Außenseiter behandelt wird, und spürt die Distanz zwischen ihm und seinem Vater. Zunächst glaubt sie, dass Franks Wegzug in die liberale Ostküstenmetropole der Grund dafür ist, seine Intellektualität, der sowohl sein Vater als auch sein jüngerer Bruder (Steve Zahn) misstrauen, und sie bewundert ihn dafür sogar. Erst später erkennt sie den wahren Grund.
Der Film zerfällt in zwei Hälften, in der ersten stellt Ball die Figuren vor, nimmt sich viel Zeit, Beth nach New York zu folgen und die liberale Welt der Universität zu entdecken. Mit dem Tod von Franks Vater vollzieht sich dann ein Wandel hin zu einem persönlichen Drama, das in erster Linie in Franks Jugend begründet ist. Hier liegen die Wurzeln für seine Entfremdung vom Vater, der auch im Tod unversöhnlich bleibt, und Franks tiefer Verletzlichkeit, die in Selbsthass und Alkoholmissbrauch resultiert.
Diese Zweiteilung sorgt für eine gewisse Schieflage, verleiht der ersten Hälfte eine Leichtigkeit, die sie nicht wirklich hat, und dem zweiten Teil eine Dramatik, die nicht tief genug geht. Das ist schade, denn das Trauma in Franks Vergangenheit hätte es verdient, noch etwas gründlicher aufgearbeitet zu werden. Ein wenig erscheint es, als hätte Ball sich nicht getraut, zu viel Schmerz zuzulassen. Entsprechend fungiert die Figur des fröhlichen Wally als Puffer zwischen der regenbogenbunten Lebenswirklichkeit der New Yorker Schwulenszene und der todtraurigen Realität, die Frank bei seiner Heimkehr einholt und ihn mit dem tiefsten Schmerz seines Lebens konfrontiert. Es ist außerdem Wally, der mit seinem Hinweis, dass in seinem Heimatland Saudi-Arabien noch immer Schwule hingerichtet werden, die Ausgrenzung von Frank ein Stück weit relativiert: Alles könnte noch sehr viel schlimmer sein.
Alan Ball erzählt eine gute Geschichte, und man kann verstehen, warum ihn gerade diese eine, tragische Episode aus seiner Familie über all die Jahrzehnte hinweg so fasziniert hat, denn sie ist in ihrem Kern tatsächlich herzzerreißend. Es wäre nur schön gewesen, hätte er sie nicht so sehr an den Rand gedrängt, dass sie zur Nebensache verkommt. Und auch das zuckersüße Happy End ist etwas zu viel des Guten.
Note: 3