Ich glaube, ich hatte bereits erwähnt, dass ich Tenet zum Start gesehen habe. Wer meine Kolumne kennt, weiß wahrscheinlich, warum ich bislang nichts darüber geschrieben habe. Da die Kinos derzeit leider geschlossen sind und der Film im Dezember bereits auf DVD erscheint, ist nun wohl ein guter Zeitpunkt, meine Meinung kundzutun …
Christopher Nolan ist einer der versiertesten und besten Regisseure Hollywoods. Seine Filme sind visuell aufregend, in den Schauwerten oft bahnbrechend und alles in allem meistens hochspannend in Szene gesetzt. Dass er immer noch auf Film dreht, macht ihn außerdem sympathisch. Leider ist er auch einer der schlechtesten Drehbuchautoren, die A-Filme schreiben.
Viele seiner Filme wie Inception oder Interstellar sind so voller Logikfehler und -lücken, dass sie ausschließlich auf der Behauptungsebene funktionieren. Für einen Autor wie mich ist das die Todsünde schlechthin, absolut unverzeihbar und unglaublich ärgerlich. Dem durchschnittlichen Zuschauer scheint es egal zu sein, dass vieles einfach nicht zusammenpasst, Hauptsache, es sieht cool aus. Und solange Nolans Filme jede Menge Geld in die Kassen spülen, denken auch die Verantwortlichen in Hollywood nicht im Traum daran, ihn auf Schwächen in seinen Erzählungen hinzuweisen. Herauskommt dann ein Schmarren wie …
Tenet
Der Protagonist (John David Washington) ist ein CIA-Agent, der eine russische Terrorgruppe infiltriert hat, die einen Anschlag auf das Opernhaus von Kiew verübt. Ihr Ziel ist die Erbeutung eines Behälters mit Plutonium, der dort heimlich übergeben werden soll. Der Held kann dies zwar vereiteln und sogar die Zuschauer retten, wird dabei aber enttarnt und nimmt sich mit einer Selbstmordpille das Leben. Kurz darauf erwacht er auf einem Schiff vor der Küste Dänemarks und erfährt von seinem Vorgesetzten (Martin Donovan), dass ihn die Kapsel nur ins Koma versetzt hat und er inzwischen einem neuen Auftrag zugeteilt wurde: Tenet. In diesem geheimen Programm geht es um das Schicksal der gesamten Welt, denn überall auf der Erde sind invertierte, sich rückwärts durch die Zeit bewegende, Objekte aufgetaucht. Der Protagonist soll herausfinden, woher sie stammen, und seine beste Spur führt ihn schon bald zu dem russischen Oligarchen Andrei (Kenneth Brannagh), der sich als überaus gefährlicher Mann entpuppt …
Der wichtigste Satz des gesamten Films fällt gleich am Anfang: „Versuchen Sie nicht, es zu verstehen.“ Diesen Rat einer Wissenschaftlerin, die dem namenlosen Helden erklärt, was es mit den invertierten Objekten auf sich hat, sollte man auch als Zuschauer beherzigen, man sollte ihn sich sogar wie ein Mantra unentwegt aufsagen, denn nur so lässt sich der Film ertragen.
Dabei beginnt die Geschichte recht spannend. Der Überfall auf das Opernhaus ist toll inszeniert, und dass der Held anschließend in eine ausweglose Situation gerät, in der er nur Selbstmord als Ausweg sieht, ist völlig unerwartet. James Bond wäre das wohl nie passiert. Leider verpufft dieser Augenblick durch die Hektik, die Nolan an den Tag legt, ein bisschen, denn bis man die Tragweite der Entscheidungen begriffen hat, ist bereits alles vorbei. Neugierig macht einen in dieser Sequenz auch die rückwärts fliegende Kugel – ein Effekt, den man bereits aus dem Trailer kennt.
Nolan spekuliert hier über einige interessante, sogar philosophische Fragen, er geht beispielsweise dem Prinzip von Ursache und Wirkung auf den Grund und beschäftigt sich auch mit dem alten Konflikt zwischen Schicksal und freier Willensentscheidung. Ein Beispiel: Im Training muss der Protagonist lernen, invertierte Kugeln, die in einer Wand stecken, mit seiner Waffe aufzufangen. Ursache (der Schuss) und Wirkung (Kugel in der Wand) werden umgekehrt. Bedeutet das, dass jeder zur Ursache werden kann? Oder ist es vom Schicksal vorherbestimmt, dass der Protagonist genau zum richtigen Zeitpunkt an diesem Ort ist, um die Kugel aufzufangen?
Man muss dem Regisseur Nolan immerhin zugutehalten, dass er es versteht zu überraschen. Die Verfolgungsjagd mit den zum Teil rückwärts fahrenden und sich wieder zusammensetzenden Autos hat man so noch nie gesehen. Allerdings tauchen alle visuell aufregenden und innovativen Szenen bereits im Trailer auf. Enttäuschend ist jedoch vor allem das Finale geraten, das an das Bild eines nervösen Ameisenhaufens erinnert, in dem die Figuren dank ihrer Helme kaum voneinander zu unterscheiden sind. Für einen Showdown ist das ein bisschen mager und erstaunlicherweise auch kaum spannend.
Es wäre allerdings unfair, nicht auch die positiven Seiten des Films herauszustreichen: Die Schauspieler agieren allesamt gut, besonders Robert Pattinson, der einen Kollegen des Protagonisten gibt, macht seine Sache überraschend gut. So lethargisch er in den Twilight-Filmen auch gewirkt hat, hier ist er vital und spottlustig wie noch nie. Die Kamera fängt, wie erwähnt, wunderschöne Bilder ein, und auch die Musik ist gelungen.
Das Problem des Films ist aber seine Geschichte, und um das zu erläutern, werde ich spoilern müssen …
Dem Drehbuchautor Nolan gelingt es leider nicht, seine Geschichte glaubwürdig und in sich schlüssig zu erzählen. Es hilft, dass der Held über weite Strecken auf einer Schnitzeljagd ist, sich zuerst Zugang zu einer indischen Waffenhändlerin (Dimple Kapadia) verschaffen muss, um den entscheidenden Hinweis auf Andrei zu erhalten. Warum er dafür bei ihr einbrechen muss, obwohl sich kurz darauf herausstellt, dass sie ebenfalls zu Tenet gehört, erschließt sich leider nicht. Ein unnötiger Umweg also.
Das ist jedoch die kleinste Ungereimtheit in einer Story, die ausschließlich aus Ungereimtheiten besteht. Dass man nicht wirklich verstehen muss, wie die Inversion von Menschen und Objekten funktioniert, ist eine Sache, aber ihr Einsatz sollte zumindest in sich stimmig und logisch sein. Nolan begeht dabei denselben Fehler wie bei Inception, indem er zuerst Regeln aufstellt, sie kommuniziert – sich dann nicht mehr daran hält. So wird dem Protagonisten erklärt, dass er seinen eigenen Sauerstoff mitnehmen muss, wenn er in der Zeit zurückreist, was beim ersten Mal auch geschieht, später aber immer wieder vergessen wird. Es sind besonders diese Dinge, die einfach nur ärgerlich sind.
Andere Widersprüche fallen einem erst später ein, wenn man genauer über die Geschichte nachdenkt: Warum invertierte Personen manchmal in der Lage sind, sich vorwärts zu bewegen, dann aber wie Puppen durch die Gegend geschleudert werden, als hätten sie keinen eigenen Willen (so geschehen beim Kampf des Protagonisten gegen sich selbst), ist nur eine dieser Fragen, auf die es keine Antwort gibt, außer: Weil der Autor es so wollte. Und das ist die schlechteste Antwort, die es geben kann.
Es gibt noch jede Menge anderer Ungereimtheiten und Fehler, die den Film über weite Strecken zu einem Ärgernis machen, auch wenn man sich die ganze Zeit über sagt: Man muss es nicht verstehen. Aber als Zuschauer sucht man eben zwangsläufig nach einer inneren Logik, und die Geschichte sollte schon kohärent sein. Entweder können sich invertierte Personen frei bewegen oder eben nicht. Entweder brauchen sie in diesem Zustand ihren eigenen Sauerstoff oder nicht. Wenn es keine Regeln gibt, herrscht Willkür, und die führt schließlich zur Langeweile.
Eine Weile lässt man sich bereitwillig in diese faszinierende Welt entführen, man erfreut sich an den schönen Bildern, amüsiert sich über Pattinsons Auftritte und bestaunt die tollen Effekte. Doch sobald man versucht, sich den Plot zusammenzureimen, zerfällt die Story wie ein nasser Zwieback. Am Ende wünscht man sich, man könnte selbst invertieren, in der Hoffnung, dass der Film rückwärts erzählt mehr Sinn ergibt – oder man wenigstens die investierte Lebenszeit zurückbekommt.
Note: 4-