Nach der Arthaus-Produktion Porträt einer jungen Frau in Flammen brauchte ich dringend eine kleine Abwechselung und etwas Spannendes für den späten Abend. Meine Wahl fiel auf Bird Box, einer der wenigen Filmen auf Netflix, von dem man die Zuschauerwerte kennt: Angeblich haben ihn bis Mai diesen Jahres 80 Millionen User gesehen. Man muss allerdings dazu sagen, dass Netflix einen Film schon als gesehen verbucht, wenn man nur wenige Minuten angeschaut hat. Da der Film einen schwachen imdB-Wert besitzt, stellt sich die Frage, wie viele Zuschauer auch bis zum Ende durchgehalten haben …
Bird Box
Malorie (Sandra Bullock) ist schwanger, aber nicht begeistert über ihren Zustand. Die Malerin hat sich von ihrem Freund, dem Erzeuger des Kindes, getrennt, und da sie eine schwierige Kindheit mit einem grausamen Vater hatte, sieht sie der Rolle als Mutter mit mehr als gemischten Gefühlen entgegen. Zusammen mit ihrer Schwester Jessica (Sarah Paulson) besucht sie gerade ihre Ärztin (Parminder Nagra), als in den Nachrichten immer mehr Berichte über mysteriöse Selbstmorde publik werden. Auf dem Heimweg geraten sie dann in eine apokalyptische Szene, als auch in ihrer Stadt immer mehr Menschen sich das Leben nehmen …
Der Film wirkt wie eine Mischung aus A Quiet Place und The Happening, denn die einzige Möglichkeit, die unsichtbare Bedrohung zu überleben, ist, seine Augen zu verbinden, sobald man ins Freie tritt. Man muss allerdings sagen, dass das Handicap, keinen Lärm machen zu dürfen, sehr viel filmischer eingesetzt werden kann als eine ordinäre Augenbinde. Dennoch gelingen Regisseurin Susanne Bier einige bemerkenswerte Spannungsmomente, die mit jedem anderen Horrorfilm mithalten können.
Leider reicht das jedoch nicht aus. Während in The Happening wenigstens noch ansatzweise versucht wird, das Phänomen des weltweiten Selbstmords zu erklären, sparen sich Drehbuchautor Eric Heisserer und Romanautor Josh Malerman dies komplett. Eine Nebenfigur äußert die Theorie, dass Dämonen die Welt heimsuchen, für jeden ein anderes Erscheinungsbild annehmen und die Menschen in den Tod treiben. Interessant ist die Tatsache, dass alle mit Schuldgefühlen und Ängsten zu kämpfen haben. Möglicherweise kann man diese dämonische Kraft als das personifizierte menschliche Gewissen interpretieren, als eine Verkörperung früherer Vergehen und unterdrückter Schuldgefühle. Psychologisch betrachtet wäre das spannend, aber darauf wird leider nicht eingegangen, und zu viel spricht gegen diese Theorie. Dabei gibt es auch in Malories schwieriger Vergangenheit einiges, was sie aufarbeiten könnte, nur wird auch dies bestenfalls angedeutet.
Das viel offensichtlichere Thema des Films ist die Mutterschaft, mit der Malorie große Probleme hat, so große, dass sie sich weigert, den Kindern, um die sie sich kümmert, eigene Namen zu geben. In der Rahmenhandlung macht sie sich allein mit ihnen auf die gefährliche Reise zu einem angeblich sicheren Hafen. In Rückblenden wird dann erzählt, wie die Welt unterging und eine kleine Gruppe zufällig zusammengewürfelter Fremde eine Notgemeinschaft bildeten, was die eigentliche Kerngeschichte bildet.
Da Malorie allein unterwegs ist, kann man bereits nach wenigen Minuten ahnen, dass es mit dieser Gemeinschaft wohl kein gutes Ende nehmen wird. So beraubt sich der Film selbst der meisten Spannung. Abgesehen von der Reise auf dem Fluss, die gut inszeniert ist, spielt die Geschichte weitgehend in einem Haus und erzählt von den Schwierigkeiten der Gruppe, miteinander zurechtzukommen und zu überleben. Zu den Bedrohungen von außen zählen noch einige Menschen, die von den Dämonen dazu benutzt werden, die Überlebenden aufzuspüren und zu töten. Auch daraus hätte man mehr machen können. Warum die Dämonen allerdings keine Häuser betreten können, ist eine Frage, auf die es ebenfalls keine Antwort gibt. Wie vieles ergibt es in der Story keinen Sinn.
Als Horrorfilm taugt Bird Box nur bedingt, er besitzt immerhin ein paar spannende Momente, ist aber kein bisschen gruselig. Sandra Bullock spielt toll, auch John Malkovich als zynischer Anwalt ist eine Freude, der Rest des Ensembles macht seine Sache wenigstens nicht schlecht. Man wird größtenteils unterhalten, auch wenn der Film einige Längen hat. Für die Zeit, bis A Quiet Place 2 erscheint, ist er aber ein ordentlicher Ersatz.
Note: 4+