Bei manchen Filmen bin ich mir einfach nicht sicher, ob ich sie auf der großen Leinwand gesehen habe oder nicht. Apocalypse Now ist so ein Fall. Ich weiß, dass ich ihn während meines Studiums angeschaut habe, vielleicht sogar im Kino im Rahmen eines Filmgeschichte-Seminars, aber beschwören kann ich es nicht. Apocalypse Now Redux wollte ich immer sehen, bin nur leider nie dazu gekommen, weil er mit 202 Minuten Laufzeit nicht gerade kurz ist. Und jetzt ist, zum 40. Jubiläum, noch der Final Cut hinzugekommen, der mit 183 Minuten immer noch eine halbe Stunde länger als die Originalversion ist.
Apocalypse Now Final Cut
Captain Willard (Martin Sheen) gehört einer Spezialeinheit an und erhält 1969 den Auftrag, den abtrünnigen Colonel Kurtz (Marlon Brando) im Dschungel aufzuspüren und zu töten. Kurtz ist ein Ausnahme-Militär, der es weit gebracht hätte, wenn er sich an Befehle und Regeln halten würde. Seine Vorgesetzten glauben inzwischen, dass er wahnsinnig geworden ist. Die Reise zu ihm führt auch Willard bis an seine physischen und psychischen Grenzen und zeigt ihm, wie grausam und grotesk der Krieg geworden ist.
Der Vietnamkrieg ist das amerikanische Trauma schlechthin. Fast sechzigtausend US-Soldaten sind damals gefallen, und viele Rückkehrer waren schwer traumatisiert oder verstümmelt. Anders als ihre Väter, die im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit und die Demokratie gekämpft haben, erschien der Zweck des Krieges den meisten Vietnam-Veteranen eher abstrakt. Im Kern ging es darum, die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern und Gefahr zu laufen, ganz Südostasien zu verlieren.
Bereits Ende der Sechziger galt der Krieg vielen Amerikanern als Gräuel. Die jungen Männer mussten fürchten, zum Militärdienst eingezogen zu werden, einige flohen nach Kanada, die Sprösslinge reicher Familie wie Donald Trump entzogen sich ihrer Verpflichtung durch gekaufte medizinische Gutachten. Die Hippiebewegung wurde zur Antikriegs-Bewegung, bis der Protest irgendwann auch die gesellschaftliche Mitte erreichte. Das lag auch daran, dass dieser Krieg so präsent in den Medien war wie noch keiner zuvor. Berichte aus Vietnam brachten Die Gräuel direkt in die amerikanischen Wohnzimmer, wo das Fernsehen das Grauen zum Abendessen servierte.
Francis Ford Coppola wollte die Schrecken des Krieges thematisieren und griff dafür auf die Reportagen von Michael Herr zurück, kombinierte sie aber auch mit Motiven aus Joseph Conrads Novelle Das Herz der Finsternis. Auch in dieser geht es um eine lange, gefährliche Reise auf einem Fluss zu einem geheimnisvollen, charismatischen Mann namens Kurtz. Anders als Conrad, der sich mit den Auswüchsen des Kolonialismus beschäftigt, dreht sich bei Coppola jedoch alles um das Grauen des Krieges.
Dieser hat allerdings auch seine bizarren, surrealen Momente. Dazu gehört vor allem die berühmte Sequenz, in der Willard Lieutenant Colonel Kilgore (Robert Duvall) trifft und dieser ein Dorf erobert, von dem aus der Captain und seine Leute ihre Reise antreten. Der Angriff zur Wagner-Musik und die surfenden Soldaten während der Bombardierung gehören zu den unvergesslichsten Szenen des Films, ebenso wie das Zitat: „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen“.
Der Film besitzt einen starken episodischen Charakter. Gerade die Reise zerfällt in verschiedene Stationen, die auf unterschiedliche Art und Weise beleuchten, was der Krieg aus den Menschen macht. Hier wirft Coppola ein Schlaglicht auf verschiedene Aspekte, erzählt von dem Kampf der Soldaten gegen einen heimtückischen Feind, von der Truppenbetreuung oder der Vorgeschichte des Konflikts im Indochinakrieg, die auf einer französischen Plantage diskutiert wird. Von Etappe zu Etappe wird die Darstellung grausamer, willkürlicher und verzweifelter. Am Ende, wenn die Gruppe die Do-Lung-Brücke passiert und Vietnam Richtung Kambodscha verlässt, scheinen sich sogar sämtliche militärische Ordnung und Disziplin aufgelöst zu haben. Das Schlachtfeld erscheint wie der Vorplatz der Hölle, entsprungen einer Fantasie von Hieronimus Bosch.
Als Zuschauer braucht man schon eine Menge Geduld, bis Willard endlich sein Ziel erreicht hat – und auch noch darüber hinaus. Bis dahin hat man Coppolas Standpunkte bereits mehrfach erklärt bekommen, man weiß, was er über den Krieg und die menschliche Natur zu erzählen hat. Die Bilder sind immer noch superb und eindringlich, doch das Erzählte ist redundant. Leider sind sämtliche Figuren alles andere als Sympathieträger, denn auch Willard und seine Gefährten, einer gespielt von einem blutjungen Laurence Fishburne in einer seiner ersten Rollen, begehen Kriegsverbrechen – da fällt es schwer, sich mit ihnen zu identifizieren.
Apocalypse Now ist wegen seiner enorm schwierigen Dreharbeiten ebenso berühmt wie wegen seiner großartigen Bildsprache und eindringlichen Regie. Coppola musste sogar Teile seines Privatvermögens investieren, um die ausufernden Kosten zu decken, er tauschte bereits früh seinen Hauptdarsteller Harvey Keitel gegen Sheen aus, der bei den Dreharbeiten einen Herzinfarkt erlitt, und als Brando am Set erschien, soll der Regisseur entsetzt über seine unerwartete Leibesfülle gewesen sein. Doch Coppola machte aus der Not eine Tugend und schuf ein Meisterwerk.
Der Final Cut ist nicht unbedingt besser als die Originalversion, dafür aber wesentlich länger – und leider auch mit einigen Längen. Insgesamt jedoch ein Film, den man gesehen haben muss.
Note: 2