Die meisten Kinos haben wieder geöffnet, die Besucherzahlen der letzten Wochen sind besser als in den Monaten zuvor und es gibt auch einige Erfolge vorzuweisen.
So lag After Truth nach elf Tagen nur 10 % unter dem Vorgänger After Passion im gleichen Zeitraum. Tenet hat mit 960.794 Besuchern in 19 Tagen schon jetzt die Gesamtergebnisse anderer Christopher Nolan-Filme wie Dunkirk oder Batman Begins geschlagen und ist nun der erste Besucher-Millionär seit dem Lockdown. Das neue Paw Patrol-Event hatte 62 % mehr Besucher als im Vorjahr (212.853 vs. 131.740) und das vierte BTS Konzert-Event Break the Silence legte mit 44.246 Besuchern los und lag damit quasi im Schnitt der ersten drei Events (45.270).
Wie man an diesen Beispielen sehen kann, ist das Publikum durchaus gewillt, auf Vorkrisen-Niveau ins Kino zu gehen. Und trotzdem gibt es für die geöffneten Kinos keine Normalität. Da viel zu wenig attraktive Filme gestartet werden, häufen die meisten Kinos weitere Verluste an.
Das liegt daran, dass sich die deutschen Kinos in Geiselhaft der US-Studios befinden, die die attraktiven Filme zu Dutzenden ins nächste Jahr verschieben. Und man kann ihnen da nicht einmal einen Vorwurf machen, schließlich hat die US-Regierung den Kampf gegen Covid-19 total verbockt. Während in Deutschland momentan die täglichen Todesfälle meist an einer Hand abzuzählen sind, sterben in den USA jeden Tag noch etwa tausend Menschen, und ein Ende dieser schrecklichen Zahlen ist mit dieser Regierung nicht in Sicht.
Die deutschen Filialen der US-Studios müssen sich die verzweifelten Kommentare der heimischen Kinobesitzer anhören, da nicht nur ständig Blockbuster-Termine verlegt werden, sondern auch noch Filme wie Mulan, Trolls World Tour oder SpongeBob Schwammkopf 3 digital* entsorgt werden. Und wie mir einige Gespräche vermittelt haben, waren die deutschen Verleiher genauso geschockt wie die Kinobesitzer, als sie die diesbezüglichen Marschbefehle aus Hollywood bekamen.
Die Besucherzahlen der letzten Wochen sind zwar (prozentual) deutlich besser als in den Vormonaten, aber letztendlich bewegen wir uns momentan auf dem Niveau von Fußball-WM-Wochen – mal auf dem Niveau mit einem Spiel des deutschen Teams, mal auf dem Niveau ohne. Aber die Wochen während einer Fußball-WM gehören zu den schlechtesten eines jeden Jahres – unsere Bestwerte seit dem Lockdown sind in einem normalen Jahr unsere schlechtesten Werte…
Da Hollywood uns also momentan in Stich lässt, wäre dies die Chance für deutsche Produktionen. Aber auch hier ist es leider so, dass einige Produktionen verschoben wurden. Einige mussten verlegt werden, da Corona die Dreharbeiten unterbrochen hatte, aber es gibt auch bereits fertige Filme, die einen neuen Starttermin 2021 bekommen haben.
Dabei gibt es viele internationale Beispiele, die belegen, dass lokale Produktionen das Box Office retten können. In Tschechien gab es seit dem Lockdown schon drei tschechische Filme, die auf Deutschland hochgerechnet Besucher-Millionäre wären (2,15 Mio./1,48 Mio./1,16 Mio.). In Spanien zählte Padre no hay mas que uno 2 bislang mehr als 2 Mio. Besucher (3,65 Mio. auf Deutschland hochgerechnet) und ist dort sogar der erfolgreichste Film des Jahres. In China ist The Eight Hundred mit einem Einspiel von $404 Mio. nun auf Platz 11 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten zu finden, während in Südkorea die fünf erfolgreichsten einheimischen Filme seit dem Lockdown mehr als 13 Mio. Besucher zählten.
Hier wären also Mut und Zuversicht der deutschen Verleiher und Produzenten vonnöten, ihre zugkräftigen Filme jetzt schon zu starten – schließlich gibt es kaum Konkurrenz, aber ein williges Publikum…
Die Corona-Krise und die daraus bedingte Kino-Krise haben übrigens durchaus Parallelen: Die Bundesregierung hat mit Entsetzen festgestellt, wie abhängig Deutschland von Asien in Sachen Schutzkleidung und Medikamente ist, und will diese wichtigen Komponenten nun wieder in Deutschland und Europa produzieren lassen. Und wir haben festgestellt, wie abhängig unsere Kinos von den US-Studios sind.
Diesen Schock der Regierung muss man ausnutzen, auf die Parallelen hinweisen und eine Verdreifachung, besser eine Verfünffachung der Filmförderung in Deutschland in Angriff nehmen, um uns aus der Geiselhaft Hollywoods zu befreien. Überspitzt gesagt: Es kann doch nicht sein, dass wir immer zwei Jahre warten müssen, bis Elyas M’Barek und Bora Dagtekin einen Blockbuster abliefern – wir brauchen jedes Jahr mehrere deutsche Blockbuster… Der durch Corona arg gebeutelten Kulturszene würde es natürlich auch gut tun, wenn unser Filmindustriechen zur Filmindustrie aufsteigen würde.
Und damit diese neuen deutschen Blockbuster es auch tatsächlich auf die Leinwände schaffen, müssen die Kinos während dieser unendlichen „WM-Zeit“ finanziell unterstützt werden – das Kurzarbeitergeld wurde ja auch auf 24 Monate verlängert…
Aus Liebe zum Kino!
*Ich kann es echt nicht mehr hören… Es gibt ja immer wieder Leute, die diesen Trend begrüßen, schließlich sei der Kunde König und er soll entscheiden, wie und wann er einen Film konsumieren will. Diese Begründung ist natürlich irrsinnig, denn beim Status Quo hat der Kunde uneingeschränkt die Wahl, wie er einen Film konsumieren will (nur beim „wann“, muss er sich ein bisschen gedulden). Würde es zum gleichzeitigen Kino- und Digital-Release eines Films kommen, dann wäre für viele Millionen Kunden nichts gewonnen, denn die wie-Option (und damit letztendlich auch die wann-Option) würde entfallen, weil es in ungezählten Orten keine Kinos mehr geben würde…