Da viele Updates während der Corona-Krise weggefallen sind, habe ich diese Zeit genutzt, um diverse Jahres-Charts zu aktualisieren und zu erweitern. Und da taucht dann manchmal die Frage auf, warum bei manchen Filmen die Zahlen runter und bei anderen Filmen rauf gegangen sind. Deswegen will ich hier ein paar allgemeine Worte über meine Recherchen verlieren…
Grundsätzlich ist es so, dass ich seit den 80er Jahren (sic!) deutsche Besucherzahlen und amerikanische Box Office-Ergebnisse sammle und recherchiere. Ich habe mich durch fast ein Jahrhundert diverser Branchenblätter gekämpft und Monate in Bibliotheken, Archiven und dunklen Kellern verbracht, um historische Zahlen in Erfahrung zu bringen. Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, konnte ich vor einigen Jahren sogar in den 20th Century Fox Studios in Los Angeles Nachforschungen anstellen und bin auch dort fündig geworden.
In meinem analogen Zahlen-Archiv gibt es noch Hunderte, eigentlich eher Tausende Filme, zu denen ich Zahlen besitze, die kommerzielle Anbieter oder Webseiten wie Box Office Mojo nicht haben.
Bevor Brandon Gray BOM an IMDB (Amazon) verkaufte, war ich mit ihm in Kontakt und teilte einige Zahlen mit ihm, um einige eklatant falsche Zahlen zu korrigieren. Leider hat er dies nicht gemacht. Bevor es BOM gab, war Leonard Klady der weltweit anerkannte Zahlenguru, der für Branchenblätter wie The Hollywood Reporter oder Variety gearbeitet hat. Auch mit Len war ich im Kontakt, und er hat tatsächlich meine Recherchen in die All-Time Charts von Variety eingearbeitet, die wiederum Grundlage für viele spätere All-Time Charts anderer Anbieter war. Noch immer kann ich mir manchmal ein Grinsen nicht verkneifen, wenn ich im Internet auf US-Zahlen stoße, von denen ich weiß, dass sie nur von mir stammen können… 2018 habe ich Len, der damals die Box Office Seiten bei MCN pflegte, dann auch endlich persönlich kennengelernt, doch leider verstarb die Box Office-Ikone im Januar 2019 mit 67 Jahren viel zu früh.
Viele der Jahres-Charts, die es bei InsideKino gibt, habe ich vor fünfzehn Jahren veröffentlicht – das merkt man nicht nur am markierten Datum, sondern auch am veralteten Design vergangener InsideKino-Layouts. Doch in diesen fünfzehn Jahren habe ich nicht aufgehört zu recherchieren, und viele Verleiher haben mir in der Zwischenzeit ihre Archive geöffnet – bevor InsideKino zu dem wurde, was es jetzt ist, war da früher viel mehr Überzeugungsarbeit nötig…
Der offensichtlichste Grund, warum es Updates gibt, ist also, dass ich tatsächlich „frische“ Zahlen bekommen habe. Doch warum verändern sich auch meine eigenen Schätzungen und Hochrechnungen? Dafür gibt es mehrere mögliche Ursachen:
Grundsätzlich ist es so, dass es auch vor den wöchentlichen Charts (seit Mitte 1987) und den monatlichen FFA-Charts (seit Mitte 1980) durchaus Rangfolgen der erfolgreichsten Filme gegeben hat. Doch viele dieser Ranglisten waren ohne Zahlen, da die deutschen Verleiher und Produzenten früher nicht sehr mitteilungsfreudig waren. Aber es gibt bislang kein Jahr, für das ich keine Zahlen gefunden habe. Wenn ich also z.B. Zahlen eines Films auf Rang 6 (3,3 Mio. Besucher) und eines Films auf Rang 10 (2,8 Mio. Besucher) gefunden habe, dann kann ich also ohne weiteres vermuten, dass die Filme auf den Plätzen 7 bis 9 irgendwo zwischen 2,8 Mio. bis 3,3 Mio. anzusiedeln sind und die Filme auf den Plätzen 1-5 mindestens 3,3 Mio. Besucher hatten. Dies ist zwar nicht zwingend ein Muss, da manche Filme langlebiger sind als andere, aber schon mal ein ganz guter Richtwert. Wenn ich in den letzten 15 Jahren dann noch festgestellt habe, dass Platz 7 3,0 Mio. Besucher hatte, dann ändert dies womöglich meine Schätzungen der Ränge 8 und 9.
Manchmal habe ich Schätzungen aufgrund von Teilergebnissen angestellt. Wenn meine Recherchen neue Erkenntnisse gebracht haben und mir z.B. auffällt, dass ich zwei Horrorfilme im gleichen Jahr um 10 % zu niedrig bewertet habe, dann schaue ich mir unter diesen Aspekt nun auch andere Horrorfilme dieses Jahres an, ob ich da nicht auch höher gehen muss, oder zumindest meine ursprüngliche Schätzung statt abzurunden, aufrunden soll.
Des Öfteren kommt es vor, dass mir von einem Film nur die Verleiheinnahmen vorliegen und da ist es natürlich wichtig zu wissen, wie viel Prozent die Kinos tatsächlich Verleihmiete zahlen mussten, um den Film zu spielen. 40 % Verleihmiete ergeben ein ganz anderes Gesamteinspiel als 50 % Verleihmiete. Also habe ich in den letzten Jahren auch versucht herauszufinden, ob meine angenommene Verleihmiete realistisch war. Wenn sie höher war als angenommen, dann reduziert dies die geschätzte Besucherzahl und umgekehrt.
Bei meinen früheren Schätzungen habe ich oft den durchschnittlichen Eintrittspreis des Jahres zugrunde gelegt, wenn mir nur das Einspiel bekannt war. Doch solche durchschnittlichen Eintrittspreise sind eigentlich kein guter Richtwert. Nur mal ein Beispiel: Doktor Schiwago (197 Minuten) spielte in den ersten 135 Wochen 54.963.723 DM bei 9.474.709 Besuchern ein – das ergibt einen Eintrittspreis von 5,80 DM pro Besucher, obwohl der durchschnittliche Eintrittspreis im Startjahr 1966 nur 2,29 DM betrug. Heute bevorzuge ich den Ansatz, vergleichbare Filme mit vergleichbaren Eintrittspreisen zu finden, anstatt den durchschnittlichen Eintrittspreis anzusetzen. Hierbei spielt auch die Länge eines Films eine große Rolle, da viele Kinos für Filme mit drei Stunden Laufzeit oder mehr einen deutlichen Überlängenzuschlag verlangt haben. Übrigens lagen die Verleiheinnahmen des David Lean-Klassikers für die ersten 135 Wochen bei 30.160.384 DM (=54,9 %) – dieser hohe Leihmietenwert ist natürlich im Laufe der Zeit dank vieler Wiederaufführungen noch gesunken…
Wie Ihr also sehen könnt, gibt es fünf Hauptgründe, warum sich Zahlen in den Jahres-Charts ändern können und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich auch in Zukunft noch weiter ändern werden, wenn mir meine Recherchen neue Erkenntnisse bringen…
PS: Es gibt außerdem bei manchen Lesern noch einige Missverständnisse bezüglich der Goldenen Leinwand. Sie wird seit 1964 für Filme über drei Millionen Besucher verliehen, aber das bedeutet nicht, dass alle Blockbuster tatsächlich auch eine GL bekommen haben. So ist z.B. Das Schweigen einer der erfolgreichsten Filme der 60er Jahre, erhielt aber nie eine GL, da der Verleiher nie eine beantragt hat. Und dann gibt es noch den Marktschreier-Effekt der GL: Da früher eine eidesstattliche Erklärung genügte, gibt es – zumindest aus meiner Sicht – ein paar GL-Filme, die wohl vor dem drei Millionen-Ziel stehen geblieben sind – aber diese Filme bleiben mein Geheimnis…