2016 kam Ewan McGregors Regie-Debüt Amerikanisches Idyll in die Kinos, verschwand allerdings schnell in der Bedeutungslosigkeit, wurde weder von den Kritikern gefeiert noch war er an den Kassen erfolgreich. Dabei ist der Trailer gut gemacht, die Vorlage von Philip Roth wurde 1998 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, und McGregor spielt selbst die Hauptrolle. Seit einiger Zeit ist er nun bei Amazon Prime zu sehen, und ich war neugierig auf den Stoff.
Amerikanisches Idyll
Seymour Levov (Ewan McGregor) ist der Sohn jüdischer Einwanderer, der allerdings mit seinen blonden Haaren und blauen Augen so nordisch wirkt, dass er überall nur „der Schwede“ gerufen wird. Als junger Mann ist er ein gefeierter Sportler, er dient als Soldat im Zweiten Weltkrieg und heiratet anschließend Dawn (Jennifer Connelly), die ehemalige Miss Jersey. Seymour übernimmt schließlich die Handschuhfabrik seines Vaters (Peter Riegert), zieht mit seiner Familie in einen reichen, weißen Vorort und führt das privilegierte Leben der amerikanischen gehobenen Mittelschicht. Probleme gibt es erst Ende der Sechzigerjahre, als Tochter Merry (Dakota Fanning) sich unter dem Einfluss der Anti-Kriegs-Bewegung zunehmend radikalisiert – und schließlich eine Tankstelle in die Luft sprengt.
Die Geschichte wird rückblickend und aus zweiter Hand erzählt: Mitte der Neunziger geht Nathan Zuckerman (David Strathairn) zu einem Klassentreffen, wo er Jerry (Rupert Evans) trifft, Seymours Bruder, der ihm vom tragischen Schicksal des Schweden erzählt, den Nathan als Kind bewundert hat. Für ihn verkörpert er das amerikanische Ideal oder vielmehr das Klischee vom Vorzeigeathlet, der die Schönheitskönigin heiratet und in behaglichem Wohlstand lebt, weit entfernt von der jüdischen Gemeinde und den gesellschaftlichen Vorurteilen, mit denen sie behaftet sind.
Tatsächlich spielt dieser Aspekt nur am Anfang eine eher untergeordnete Rolle. Früh setzt sich Seymour von der Welt, in der er aufgewachsen ist, ab, als er eine „Schickse“, eine Katholikin aus der Arbeiterschicht, heiratet und aufs Land zieht. Sein gutes Aussehen, sein Renommee als Sportler und Kriegsheld und nicht zuletzt sein Wohlstand machen diese Form der Assimilation möglich, doch die Ressentiments der alteingesessenen Protestanten, die im Roman eine größere Rolle einnehmen, werden bestenfalls angedeutet. Dabei ist der Umstand, dass die Familie sich von ihren Wurzeln distanziert, ohne gleichzeitig voll und ganz akzeptiert zu werden, von enormer Bedeutung für die psychodynamische Entwicklung der Familie, die unter den diversen Spannungen – zwischen den Generationen und innerhalb der Gesellschaft – schließlich zerbricht.
Man ahnt diese Isolation der Familie allenfalls, mal wird sie durch einen Verweis auf die republikanische Nachbarschaft angedeutet, man sieht, dass die Eheleute wenige Freunde haben, und man hört, dass Merry sich schon in jungen Jahren als einsam bezeichnet. Die Familie ist auf sich selbst und das Bild, das sie von sich gezeichnet hat, zurückgeworfen und erkannt mit der Zeit, dass es ein Zerrbild ist.
Dass nicht alles perfekt ist, wird deutlich am Stottern Merrys, das zunächst wie ein kleiner Schönheitsfehler wirkt, das Seymour und Dawn jedoch psychotherapeutisch behandeln lassen, um von der Therapeutin (Molly Parker) zu erfahren, dass ihre Tochter auf diese Weise gegen die Perfektion ihrer Erzeuger rebelliert. Die Eltern sind fassungslos, und diese Sprachlosigkeit wird sich später manifestieren. Merry begehrt gegen alles auf, gegen die schlechte Bezahlung in der väterlichen Fabrik – obwohl Seymour so stolz darauf ist, etwas für die Afroamerikaner zu tun – und natürlich gegen den Vietnamkrieg.
Wenn die Levovs im Fernsehen Bilder von den Rassenunruhen sehen, wenn Seymour in seiner Fabrik von einer aufgebrachten Menge geradezu belagert und von der Nationalgarde beschossen wird, drängen sich unwillkürlich die aktuellen Bilder aus Amerika auf, die von einer erschreckenden Parallelität künden. In diesen Momenten wirkt der Film wie ein Kommentar auf die Trump-Präsidentschaft.
Doch gerade in der zweiten Hälfte des Films, wenn Seymour verzweifelt auf der Suche nach seiner geflüchteten und im Untergrund lebenden Tochter ist, sie schließlich wiedertrifft und sie von einem Extrem ins andere geflüchtet ist und sich nun als gewaltlose Jaina am Rande der Gesellschaft bewegt, auf die sie keinen Einfluss mehr zu nehmen sucht, tritt die Geschichte leider auf der Stelle. Seymour erstarrt in Verzweiflung und Hilflosigkeit und damit in Passivität, was keiner Filmfigur guttut.
Merry ist eine faszinierende Figur. Sie spuckt ihren liberalen Eltern, der oberflächlichen Mutter, aber vor allem dem Vater, der stets versucht, es allen recht zu machen, vor die Füße und wendet sich ab von dem Idyll, das diese geschaffen haben. Zuckerman/Roth konstatiert zu Beginn des Films, dass die frühen Fünfzigerjahre, als der gewonnene Krieg das Selbstbewusstsein der Amerikaner gestärkt und der Wohlstand weite Teile der Gesellschaft erreicht hat, geradezu paradiesisch waren. Zumindest, wenn man aussieht wie der Schwede. Dass andere, vor allem Afroamerikaner und Frauen von diesem Idyll weitgehend ausgeschlossen wurden, begreift die weiße Mittelschicht erst, als die Straßen in Flammen stehen. Es wäre schön gewesen, Merry besser kennenzulernen, ihre Sicht der Welt zu erfahren, ihre Entwicklung nachvollziehen zu können, doch das kann man von einem Philip Roth, dem Chronisten gekränkter männlicher Eitelkeit, vermutlich nicht erwarten.
Ein spannendes, aktuelles Thema allein macht leider noch keinen guten Film. Die Schuld, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann, liegt nicht bei McGregor, der eine solide Regieleistung abgeliefert hat, oder bei einem schlechten Drehbuch. Das Problem ist die Hauptfigur, der man zwangsläufig auf eine sehr dunkle Reise in seelische Abgründe folgen muss. Seymour liebt seine Tochter und hält zu ihr, was ihn auszeichnet, gleichzeitig zermürbt ihn diese Liebe auch, höhlt ihn aus und lässt am Ende nichts weiter als eine Hülle zurück. Das kann man in gewisser Weise als Metapher auf Amerika verstehen, das gleichsam zerrissen ist und an sich selbst verzweifelt. Es ist aber auch verflucht deprimierend.
Note: 3