Basar des Schicksals

Als Netflix die französische Serie vor einiger Zeit ins Programm genommen hat, war ich sogleich neugierig. Der Trailer ist gut gemacht, handelt von einer schrecklichen Brand-Tragödie (die sich tatsächlich so ereignet hat) und drei Frauenschicksalen, die damit verbunden sind. Außerdem spielt die Geschichte Ende des 19. Jahrhunderts, und mit einem historischen Drama kriegt man mich eigentlich immer. Also musste ich mir die achtteilige Serie ansehen.

Am 4. Mai 1897 trifft sich die Pariser Oberschicht zum alljährlichen Bazar de la Charité (gleichzeitig der Originaltitel der Serie), einer Wohltätigkeitsveranstaltung, auf der Damen der Gesellschaft Kunstobjekte, Schmuck und allerlei edlen Tand zum Kauf anbieten, um mit den Erlösen die Armen zu unterstützen. Unter den noblen Kundinnen sind Adrienne de Lenverpré (Audrey Fleurot), die sich gerne von ihrem Mann Marc-Antoine (Gilbert Melki) scheiden lassen möchte. Doch ihr grausamer Gatte verweigert ihr die Bitte, schlimmer noch: Er schickt ihre Tochter auf ein Internat, um damit die Mutter zu bestrafen. Verzweifelt trifft sich Adrienne mit ihrem Liebhaber, dem Journalisten Hugues Chaville (François-David Cardonnel).

Adriennes Cousine Alice de Jeansin (Camille Lou) besucht den Basar mit ihrer Dienerin Rose (Julie De Bona), wo sie ihren zukünftigen Verlobten Julien (Théo Fernandez) trifft. Während das junge Paar Zeit miteinander verbringt, besucht Rose zusammen mit dem fünfjährigen Sohn von Odette (Linsay Rousseau), einer engen Freundin von Alice, eine Kinovorführung. Diese wurde von Alices Vater (Antoine Duléry) ermöglicht. Doch der Kinematograph fängt Feuer, und bald steht der gesamte aus Holz und Leinwand errichtete Bau in Flammen. Chaos bricht aus, rücksichtslose Männer kämpfen sich durch die Menge, prügeln und schubsen Frauen und Kinder beiseite, um sich selbst zu retten.

Unter den Opfern, die zu Tode getrampelt werden, gehört auch Odette. Rose gelingt es noch, deren Sohn in Sicherheit zu bringen, kehrt aber dann zu Alice zurück und wird mit ihr eingeschlossen. Julien lässt die beiden im Stich und stößt Rose, die ihn zurückhalten will, sogar in die Flammen. Hilfe naht, als der junge Taschendieb Victor (Victor Meutelet) beherzt ins Feuer rennt, um die eingeschlossenen Menschen zu retten.

Als Adrienne von ihrem Schäferstündchen zurückkehrt, steht der Basar bereits in Flammen – und sie erkennt ihre Chance: Wenn ihr Mann sie für tot hält, hat sie vielleicht eine Chance, ihre Tochter zu sich zu holen und ihm zu entkommen. Sie taucht unter. Einige Tage später nutzt ihr Mann, der politische Karriere machen will, das Unglück zu seinem Vorteil aus. Er beschuldigt Anarchisten, eine Bombe gezündet zu haben, und hat bereits einen Schuldigen gefunden: Victor …

All das passiert mehr oder weniger in der ersten Folge, und viel mehr sollte man über die Serie auch nicht wissen. Wie die Geschichte weitergeht, kann man sich vielleicht denken, wenn man schon einmal ein mit Liebesränken und politischen Intrigen gespicktes Drama gesehen hat. Manche Handlungsbögen muten recht abenteuerlich an und erinnern an manche Romane des 19. Jahrhunderts, in denen der Zufall häufig eine relativ große Rolle spielt. Mitunter greifen die Geschichten auch Elemente der Seifenopern auf, inszenieren große Gefühle und leidenschaftliche Verstrickungen und streifen dabei gelegentlich die Gefilde des Kitsches.

Wie es sich für solche Dramen gehört, gibt es einige Bösewichter in der Geschichte, von denen manche gemeiner als andere sind. Das Leitthema der Serie ist die institutionalisierte Gewalt gegen Frauen. Als Gattinnen sind sie den Launen ihrer Männer unterworfen, die mit ihnen verfahren können wie sie wollen, als Töchter werden sie gegen ihren Willen verheiratet. Von Übel sind aber allein die reichen, weißen (und meistens alten) Männer, während die Armen und Intellektuellen aufgeschlossener und einfühlsamer erscheinen. Und ist es Zufall oder eine modische Seltsamkeit, dass alle Schurken einen Schnurrbart tragen?

Wenn man von manchen, recht eindimensional gezeichneten männlichen Charakteren und vorhersehbaren Handlungsbögen absieht, bleibt insgesamt ein sehr spannendes, wunderschön bebildertes und toll gespieltes Historiendrama zurück. Besonders die erste Episode, in der der Brand ungefähr die Hälfte der Zeit ausmacht, ist so gut gemacht, dass man wie gebannt am Bildschirm klebt. Serien wie diese hat es früher häufiger gegeben (Fackeln im Sturm, Shogun oder auch Die Dornenvögel), und irgendwie ist es schön, dass sie auch heute noch gemacht werden.

Basar des Schicksals ist kein Meisterwerk des modernen Fernsehens, aber ein pralles Stück Unterhaltung mit sehr viel Spannung und Gefühl. Perfekt für ein oder zwei Abende Eskapismus in Zeiten von Corona.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.