Tolstois Roman Anna Karenina steht seit Jahren bei mir im Schrank, aber irgendwie kann ich mich nicht überwinden, ihn zu lesen. Vielleicht weil ich schon so viele Verfilmungen gesehen habe, dass ich die Geschichte in- und auswendig kenne, vielleicht weil es mich schon große Überwindung gekostet hat, Krieg und Frieden zu lesen, vielleicht auch weil ich keine traurigen Enden mag. Andererseits sind die Liebesgeschichten, die traurig enden, meistens jene, an die wir uns besonders gut erinnern.
Zusammen mit Effie Briest und Madame Bovary (ersteren musste ich in der Schule lesen, letzterer steht bei mir neben Anna Karenina…) zählt Tolstois Werk über Ehe(bruch) und die rigiden gesellschaftlichen Moralvorstellungen des späten 19. Jahrhunderts zu den „Verführungsromanen“. Ich finde zwar, Ehebruchsroman wäre passender, aber ich bin ja kein Literaturwissenschaftler. Alle Romane wurden bereits mehrfach verfilmt, Anna Karenina allein schon zwölf Mal. Vergangenes Jahr kam dann die verflixte Dreizehn ins Kino:
Anna Karenina
Anna (Keira Knightley) führt eine leidenschaftslose Ehe mit Karenin (Jude Law). Als sie eines Tages den charmanten und gut aussehenden Grafen Wronskij (Aaron Taylor-Johnson) kennenlernt, verlieben die beiden sich ineinander. Ihre Schwangerschaft führt schließlich zu einem Bruch mit ihrem Mann, aber aus Angst, ihren Sohn zu verlieren, will sie sich nicht scheiden lassen. Gleichzeitig merkt sie, dass sie in ihrer Beziehung zu Wronskij auch nicht glücklich wird…
„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, lautet der erste, berühmte Satz des Romans, der sehr komplex und vielschichtig ist. Alle Erzählstränge des Buches wiederzugeben, ist natürlich nicht möglich, und so konzentriert sich Joe Wrights Adaption vor allem auf Annas Geschichte, wodurch die Nebenhandlungen – besonders Ljewins Sinnkrise – jedoch beinahe wie Fremdkörper wirken.
Insgesamt hochkarätig besetzt und toll gespielt, bleibt die Geschichte in ihrer Emotionalität jedoch unter ihren Möglichkeiten. Das liegt vor allem an der Inszenierung, die weitgehend auf einer Theaterbühne stattfindet und so eine unnötige Distanz zu den Figuren schafft. Einerseits gelingen Wright dadurch einige bemerkenswerte Szenen, in denen der Umbau der Kulissen mit in die Inszenierung einfließt und die Auftritte der Schauspieler wie eine Ballettaufführung wirken, andererseits bekommt die Geschichte so etwas allzu Künstliches. Da Wright außerdem gelegentlich den engen Raum aufbricht und in die weite, russische Landschaft vordringt, kommt es immer wieder zu unschönen Brüchen – wäre er seiner Erzählweise durchgängig treu geblieben, würde es homogener wirken. Fast kommt man auf die Idee, als sei den Produzenten nach den teuren Gagen und aufwendigen Kostümen das Geld für die Kulisse und Außenaufnahmen ausgegangen…
Note: 3