Warum sehe ich mir gerade verstärkt Filme über den Zweiten Weltkrieg an? Genau kann ich es nicht sagen, teilweise ist es sicherlich Zufall, teilweise hat es vielleicht auch damit zu tun, dass wir in Krisenzeiten nach Stoffen suchen, in denen Menschen an schwierigen Herausforderungen gewachsen sind. Und verglichen mit den Vierzigerjahren ist diese Pandemie beinahe ein Spaziergang im Park …
Suite Française – Melodie der Liebe
Eine Woche, nachdem die Nazis Paris erobert haben, hält mit den Flüchtlingen auch der Krieg Einzug in das beschauliche Provinzstädtchen, in dem Lucile (Michelle Williams) mit ihrer herrischen Schwiegermutter (Kristin Scott Thomas) lebt. Luciles Mann ist als Soldat in deutsche Gefangenschaft geraten und war für sie ohnehin nur ein Fremder, den sie auf Drängen ihres sterbenden Vaters geheiratet hat. Die einzige Freude in ihrem Leben ist die Musik. Als nun der deutsche Offizier Bruno von Falk (Matthias Schoenaerts) bei ihnen einquartiert wird, begegnen die beiden Frauen ihm zunächst mit Abneigung, doch Bruno entpuppt sich als kultivierter Schöngeist und Komponist. Zwischen ihm und Lucile keimt eine zarte Liebe auf, die jedoch im feindseligen Umfeld keine Chance hat …
Eine unmögliche Liebe zwischen den Vertretern zweier verfeindeter Gruppen – schon Romeo und Julia hat von dieser Grundkonstellation profitiert. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen Lucile und Bruno das emotionale Herz der Geschichte, aber bei Weitem nicht die einzige Story, die erzählt wird.
Sehr viel erfährt man auch über die Dorfgemeinschaft, die durch den Druck der Besatzer einerseits und andererseits durch die Tatsache, dass sich etliche Bewohner auf deren Seite schlagen, zerstört wird. Missgunst schlägt in Hass um, Klatsch in Denunziation. Auch Lucile gerät wegen ihrer Beziehung zu Bruno, die zunächst nur eine von ihren Nachbarn vermutete ist, hart angegangen. Auch ihre Bekannte Celine (Margot Robbie) bandelt heimlich mit einem deutschen Soldaten an und fürchtet, an den Pranger gestellt zu werden.
Ein weiteres Paar rückt ebenfalls immer wieder in den Fokus: Der seit einem Unfall gehbehinderte Bauer Benoit (Sam Riley) grämt sich, dass er nicht kämpfen kann, und muss nun einen Offizier (Tom Schilling) aufnehmen, der sich ganz offen an seine Frau (Ruth Wilson) heranmacht. Zwischen den drei Menschen entwickelt sich eine unheilvolle Dynamik, die noch verschärft wird, als Benoit von der Gräfin (Harriet Walter) beim Stehlen entwischt wird. So kann die Besetzung des Dorfes, die auch dank Bruno und seinem Vorgesetzten (Heino Ferch) recht human und rücksichtsvoll begann, nur in einer Katastrophe enden …
Obwohl es Dutzende Kriegs- und verbotene Liebesgeschichten gibt, ist dies ein Sujet, das man immer wieder gerne sieht und das auch gut funktioniert. Wenn es richtig angegangen wird. Leider kann die Liebe zwischen Lucile und Bruno nicht in Gänze überzeugen. Zwischen beiden besteht zwar eine gewisse Anziehungskraft, aber starke romantische Gefühle scheinen nicht aufzukommen, und auch Lucile, die alles im Off kommentiert, stellt am Ende fest, dass nicht einmal von Liebe die Rede war. Das Fehlen von Romantik wird allerdings mit einem gehörigen Schuss Tragik wettgemacht, so dass man zuletzt doch noch von diesem Liebespaar berührt wird.
Problematisch ist zudem, dass die Story von Lucile und Bruno immer wieder in den Hintergrund gerückt wird. Immerhin bietet die Dreiecksgeschichte, in deren Zentrum Benoit steht, eine Menge Dramatik und verfügt mit Tom Schilling über einen guten Bösewicht. Alles in allem bleiben aber diese beiden sowie die noch schwächer ausgeführten weiteren Handlungsstränge eher episodisch.
Bemerkenswert ist vor allem die Entstehungsgeschichte, die man im Abspann erfährt. Der Roman von Irène Némirovsky, auf dem das Drehbuch basiert, entstand bereits während des Krieges, was der Geschichte eine Authentizität verleiht, die man in den Nuancen der filmischen Erzählung durchaus spürt. Die Autorin wurde später als Jüdin in ein KZ deportiert und dort ermordet, ihr Buch konnte sie nie beenden. Sechzig Jahre nach ihrem Tod fand ihre Tochter das unfertige Manuskript in einem alten Koffer und sorgte für eine späte Veröffentlichung. Némirovskys Schicksal greift auch der Film auf, in dem eine Pariser Jüdin (Alexandra Maria Lara) mit ihrer Tochter auf der Flucht in dem Ort strandet und später enttarnt wird.
Solide erzählter Film über die deutsche Besatzung in Frankreich, dessen größtes Manko die etwas unentschlossene Liebesgeschichte ist.
Note: 3