Hunters

Die Serie gilt als kontrovers, wurden von manchen Kritikern verrissen und hat insgesamt für eine Menge Aufregung gesorgt, seit sie vor ein paar Wochen von Amazon Prime veröffentlicht wurde. Mit Al Pacino hat sie immerhin einen großen Star in einer der Hauptrollen, der Trailer sah auch ganz interessant aus, also habe ich einen Blick riskiert.

In der Ouvertüre lädt der Regierungsbeamte Biff Simpson (Dylan Baker) zu einem Barbecue ein. Als die junge Frau eines seiner Mitarbeiter in ihm jedoch einen Nazi-Verbrecher erkennt, der ihre Familie ermordet hat, zieht Biff plötzlich eine Waffe und tötet alle Anwesenden, auch seine Frau und seine drei Kinder. Die Szene ist surreal, verstörend und beängstigend zugleich und zieht einen sofort in den Bann.

Danach konzentriert sich die Geschichte jedoch auf den jungen Jonah Heidelbaum (Logan Lerman), der gerade die High School abschließt, nebenbei mit Drogen dealt, um für sich und seiner geliebten Großmutter Ruth (Jeannie Berlin) den Lebensunterhalt zu bestreiten, und unglücklich in das Mädchen von gegenüber verliebt ist. Doch dann wird Ruth in ihrem Haus ermordet, Jonah muss hilflos zusehen – und will unbedingt den Mörder finden.

Bald stößt er auf eine ungeheuerliche Geschichte: Ruth und ihre frühere Jugendliebe, der reiche New Yorker Geschäftsmann Meyer Offerman (Al Pacino) haben eine geheime Gruppe ins Leben gerufen, die nach Nazis sucht, die unbemerkt in den USA ein gutes Leben führen, ohne jemals für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Einen davon hat Ruth aufgespürt, und er hat sie ermordet. Dank Jonahs Cleverness und Intelligenz gelingt es jedoch, ihren Mörder aufzuspüren.

Dies umreißt mehr oder weniger den Piloten, der Spielfilmlänge besitzt und – mit einigen Abstrichen – auch gut als eigenständige Geschichte funktionieren könnte. Die Folge ist spannend inszeniert, besitzt mit Jonah und Meyer zwei sympathische Figuren, denen man gerne in das Herz der Finsternis folgt, und darüber hinaus bewegende Rückblenden in die Nazi-Zeit, in denen man mehr über Ruth und Meyer erfährt.

So weit, so gut. Dass die US-Regierung Nazi-Verbrecher nach Amerika geholt hat, weil sie deren Sachverstand und Wissen gebraucht hat, ist hinlänglich bekannt. Die Operation Paperclip spielt auch im weiteren Verlauf der Serie eine große Rolle, und schon in der Auftaktfolge geht es – wie könnte es anders sein – um die NASA, auch wenn der Name Wernher von Braun erst später fällt. Eine FBI-Agentin (Jerrika Hinton) untersucht den ungewöhnlichen Mord an einer NASA-Chemikerin mit deutschen Wurzeln und avanciert zu einer weiteren Hauptfigur und Bedrohung für die selbsternannten jüdischen Rächer.

Überhaupt wird lang und breit über den Unterschied zwischen Rache und Gerechtigkeit diskutiert. Dass Meyer und Ruth zuerst versucht haben, den enttarnten Nazi verhaften und vor Gericht bringen zu lassen, aber an der Blockadehaltung der Behörden gescheitert sind, dient dabei als Erklärung für die Selbstjustiz. Das alles ist solide erzählt und emotional nachvollziehbar. Auch die Referenzen zu den von Jonah geliebten Comics machen in diesem Zusammenhang Sinn, da auch mancher Rächer in Strumpfhosen seine eigene Gerechtigkeit verfolgt.

Ab der zweiten Folge wird die Serie jedoch … seltsam. Die Comicelemente entwickeln ein Eigenleben, die Einführung der Gruppenmitglieder ist bizarr und erinnert teilweise an die Exploitationfilme der Siebziger, was gut zur Zeit der Handlung im Jahr 1977 passt, aber dennoch irritiert. Kurze, obskure Einspieler gibt es später auch noch, manche sinnvoll und witzig, andere überflüssig. Auch die Rückblenden in die KZ-Vergangenheit Ruths und anderer Protagonisten sind nicht immer geglückt, manche wirken sogar geschmacklos, andere wiederum sind herzzerbrechend.

Und dann die Nazis! Schlimm genug, dass sie unbehelligt unter den Amerikanern leben konnten, während ihre Opfer auch drei Jahrzehnte später immer noch unter ihren traumatischen Erfahrungen leiden. Mit diesem Ansatz hätte man eine spannende Suche nach den Tätern erzählen können, aber das war den Autoren offenbar zu wenig, denn sie haben den jüdischen Rächern eine Organisation entgegengestellt, die an Hydra aus dem Marvel-Universum erinnert: allgegenwärtig und allmächtig. Dabei ist der Plot um eine Nazi-Verschwörung durchaus interessant und spannend erzählt – wenn er nicht gegen Ende völlig aus dem Ruder liefe.

Das größte Problem, das die Serie hat, ist ihre Unentschlossenheit. Einerseits will man ernste Geschichten über Holocaustüberlebende erzählen, die von den Dämonen ihrer Vergangenheit heimgesucht werden, um dann festzustellen, dass diese mitten unter ihnen leben. Es geht um Vergeltung und Gerechtigkeit, um Menschlichkeit und Würde und damit um universelle Themen, die uns auch heute noch beschäftigen. Wie viel Faschismus steckt noch in der Gesellschaft, ist eine Frage, mit der sich auch Amerika 2020 noch beschäftigt. Sogar mehr als je zuvor. Andererseits wird eine comichafte Überzeichnung angestrebt, als buhlten die Macher um ein an Comicverfilmungen geschultes Publikum, dem sie eine solche Geschichte ansonsten nicht schmackhaft machen könnten. Dabei schießen sie letzten Endes weit über das Ziel hinaus.

Man hat das Gefühl, dass die Serie noch nicht vollends durchdacht und konzipiert war, als die Dreharbeiten begannen. Gerade in den letzten Folgen wirkt vieles zusammengewürfelt, unreflektiert und teilweise widersprüchlich. Ideen werden angerissen, aber nicht weiterverfolgt, Diskussionen nicht zu Ende geführt. Auch der Plot, der bei aller Skurrilität noch interessant war und in der vorletzten Episode einem spannenden und dramatische Finale entgegenstrebt, löst sich in der letzten Folge auf und nimmt einige Wendungen, die schlichtweg gaga sind. Und ärgerlich.

Alles in allem ist die Serie nicht schlecht. Sie ist stellenweise sehr spannend, oft berührend, wenn es um die Schicksale der Überlebenden geht, und sogar in der Überzeichnung ist sie mitunter skurril-komisch und gelungen. Es passt nur nicht richtig zusammen und wird dann von einem ärgerlichen Schluss zunichte gemacht. Ob ich mir eine zweite Staffel ansehe, ist daher eher zweifelhaft.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.