Auch Netflix hat zur Weihnachtszeit ein Fantasy-Projekt ins Programm genommen: The Witcher. Die Serie basiert auf den Kurzgeschichten des polnischen Autors Andrzej Sapkowski sowie einer Pentalogie, in deren Mittelpunkt der Hexer Geralt von Riva (Henry Cavill) steht. Die ersten Geschichten stammen bereits aus der Mitte der Achtzigerjahre, wobei das Material in den letzten zwei Jahrzehnten auch als Grundlage für die Entwicklung verschiedener, erfolgreicher Computerspiele diente. Zudem wurden die Geschichten in Polen bereits einmal verfilmt, sowohl als Film als auch als Serie.
Entsprechend dem episodischen Charakter der Vorlage gestaltet sich auch die Serie anfangs wie eine Sammlung einzelner Abenteuer, in denen der Hexer ein Monster jagt und zur Strecke bringt. Daneben wird dem Zuschauer auch die komplexe Welt nahegebracht, in der die Story spielt und die bisweilen stark an Der Herr der Ringe erinnert. Auch hier ist es ein Fantasy-Kontinent, der in zahlreiche Königreiche und Fürstentümer unterteilt ist. Es gibt magische Elfen, die einst das Land beherrschten, aber von den Menschen verdrängt wurden, nachdem diese die Zauberei für sich entdeckt hatten. Nun wird der Kontinent von zahlreichen Zauberern dominiert, die als Berater der jeweiligen Herrscher im Hintergrund die Fäden ziehen und die Macht unter sich aufgeteilt haben.
Darüber hinaus gibt es die Hexer, sogenannte „Mutanten“, die in speziellen Schulen für die Arbeit als Monsterjäger ausgebildet und mittels Magie genetisch modifiziert werden. Sie fungieren als Auftragsmörder für allerlei giftiges Getier und mörderische Heimsuchungen, die sie gegen klingende Münze ins Jenseits befördern. Eine notwendige, aber keine sonderlich angesehene Arbeit.
Neben Geralt von Riva handelt die Serie noch von zwei weiteren Hauptfiguren: Yennefer (Anya Chalotra) ist die missgestaltete, ausgestoßene Tochter einer Bäuerin, die als Schweinemagd arbeitet, bis sie ihre magischen Fähigkeiten entdeckt und zur Zauberin ausgebildet wird. Doch wie bei allen Magiern ist der Preis dafür Unfruchtbarkeit – was Yennefer nicht hinnehmen will und fortan nach Heilung sucht. Dabei begegnet ihr Riva, mit dem sie eine komplizierte Liebesbeziehung eingeht.
Ciri (Freya Allan) wiederum ist eine waschechte Prinzessin, deren Königreich von dem mächtigen Kaiserreich von Nifgaard erobert wird. Dem Mädchen, das auch über magische Kräfte verfügt, gelingt die Flucht. Nach einem uralten Brauch, der später erklärt wird, ist ihr Schicksal mit dem Geralts verbunden, weshalb beide sich auf die Suche nach einander begeben und dabei verschiedene Abenteuer erleben.
Dieser Handlungsstrang, der auch die Geschichte vom Untergang von Ciris Königreich nacherzählt und sich gegen Ende der Staffel immer stärker auf den Krieg gegen die Invasoren von Nifgaard konzentriert, wird von Folge zu Folge dominanter. In erster Linie versucht die Staffel, die wichtigsten Figuren vorzustellen und zu erklären, in welcher Welt sie leben. Das ist auch weitgehend gut gelungen und sorgt für einen spannenden Sog. Ein paar zusätzliche Erklärungen wären aber dennoch hilfreich, ebenso eine ungefähre Karte des Kontinents, da man keinerlei Vorstellung von dessen Geografie oder den Entfernungen hat. Wie in Der Herr der Ringe auch gibt es eine Menge Namedropping: Begriffe, Namen und Bezeichnungen werden dem ahnungslosen Zuschauer in solche Vielzahl um die Ohren gehauen, dass man selbst beim aufmerksamsten Zuschauen in kürzester Zeit die Übersicht verliert. Da bleibt nur Binge-Watching …
Der episodische Charakter der ersten Staffelhälfte ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, die Geschichten von Yennefer und Ciri dabei insgesamt etwas interessanter als die Abenteuer Geralts. Was sicherlich auch daran liegt, dass Geralt eher ein simpler Charakter ist, der stereotype wortkarge Einzelgänger, der sich auf faszinierende wie enervierende Art über diverse Grunzlaute verständigt – so was kann man mögen oder in gewisser Weise sogar komisch finden oder auch genervt davon sein. Die Serie hat übrigens auch die parodistischen Elemente der Buchvorlagen aufgegriffen, was leider nicht ganz so gut gelungen ist und einen eher zwiespältigen Eindruck hinterlässt.
Eine weitere Besonderheit trägt außerdem zum erschwerten Verständnis bei: Die drei Haupthandlungsstränge von Geralt, Yennefer und Ciri spielen auf verschiedenen Zeitebenen, die rund vierzig Jahre umspannen. Das ist anfangs etwas verwirrend, wird aber dann ganz gut über Rückblenden geklärt und sogar für einige dramaturgische Kniffe genutzt, die wirklich gelungen sind, aber hier nicht verraten werden sollen. Schwer verständlich ist es vor allem deshalb, weil die Figuren nicht altern – vermutlich ein Nebeneffekt der Magie.
Wer Der Herr der Ringe vermisst, kann hier einen Ausflug in eine ebenfalls gut durchdachte, aufwendig gestaltete und mit zahllosen Details gespickte Fantasy-Welt voller Elfen, Zwerge, Monster und Zauberer unternehmen. Und gegen Ende, wenn Geralts Abenteuer von einer Haupterzählung abgelöst werden und das Schicksal von ihm, Yennefer und Ciri verknüpft wird, wird es sogar richtig spannend.