Aufmerksame und regelmäßige Leser werden es vielleicht schon gemerkt haben: Statt Das Filmjahr heißt es jetzt Mein Filmjahr. Mir geht es eigentlich nur darum, meine subjektive Sicht auf die Filme und die Branche zu betonen, ansonsten ändert sich nichts. Wie immer geht es heute mit einem allgemeinen Statement los, gefolgt von einer Bewertung der Filme, die ich letztes Jahr gesehen habe, sowie einer Liste der Produktionen, auf die ich mich 2020 freue.
Die Münchner Filmwoche ist die perfekte Veranstaltung, um zu erfahren, was die Branche gerade umtreibt, gewissermaßen ihren Puls zu fühlen und sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was uns die nächsten zwölf Monate beschäftigen wird. Mark G. und ich haben zahllose Gespräche geführt, mit Kinobetreibern, Verleihern und Dienstleistern, und alle treibt die bange Frage um: Wie wird 2020?
In meinem Fazit habe ich es bereits geschrieben: Ich glaube, dass 2020 zum Schicksalsjahr der Branche werden könnte, das Jahr, auf das wir später einmal zurückblicken werden, um zu sagen: Damals haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen. Oder auch: Damals haben wir versäumt, grundlegend etwas zu ändern …
2019 hat uns zwar ein wenig die Katastrophe des Vorjahres vergessen lassen, war jedoch immer noch ein mageres Jahr. Manche glauben, dass 2020 sogar noch schlechter wird als 2018, andere behaupten, dass sich die Besucherzahlen heuer und in Zukunft auf dem niedrigen Niveau von 2019 einpendeln werden. Aber alle sind davon überzeugt, dass es keinesfalls besser wird. Zumindest nicht signifikant und dauerhaft. Und das kann einen schon traurig stimmen.
Auch andere europäische Länder müssen sich mit Streamingdiensten, Jahrhundertsommern und konkurrierenden Großveranstaltungen herumschlagen und stehen dennoch besser da, und ich glaube, dass man dies nicht einfach mit kulturellen Unterschieden wegerklären kann. Unser Problem ist eher systemischer Natur.
Immerhin wird die Krise nicht mehr komplett verleugnet (auch wenn einige immer noch glauben, dass die Welt in Ordnung ist, solange die Umsätze nicht zurückgehen). Vielmehr hat ein Nachdenken bei den Verleihern eingesetzt, von dem auch auf der Münchner Filmwoche berichtet wurde. Bei Square One hieß es, wir müssten mehr auf inhaltliche Vielfalt setzen, bei Wild Bunch dachte man eher daran, in Zukunft lieber weniger, aber dafür stärkere Filme in die Kinos zu bringen. HDF und VdF forderten höhere Budgets für manche Filme sowie mehr Geld für schönere Kinos, was mich spontan an Das Feld der Träume erinnert hat („If you build it, he will come“).
Alles gut und richtig. Vielfalt ist wichtig, und tatsächlich wurden in den letzten Jahren in Deutschland auch Genres bedient, um die Produzenten und Verleiher früher einen großen Bogen gemacht haben. Bei 700 Kinofilmen pro Jahr ist eine Reduktion sicherlich sinnvoll. Dass es dieses Jahr endlich wieder ein Kinofest gibt, ist eine wunderbare Sache. Und natürlich machen auch schönere Kinos Freude, aber reicht das alles wirklich aus, um mehr Menschen in die Lichtspielhäuser zu locken?
Auf das Angebot aus Übersee können wir keinen Einfluss nehmen. Hollywood vernachlässigt bekanntlich seit Jahren den europäischen Markt zugunsten der Boom-Region Asien, und daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Also müssen wir selber ran. Dass vermehrt europäische und sogar asiatische Produktionen zu Hits werden, ist sicherlich auch der Schwäche Hollywoods geschuldet und eine gute Sache. Aber der Erfolg der Kinobranche hängt maßgeblich vom deutschen Film ab – und der hat leider immer noch ein Imageproblem.
Martin Moszkowicz hat angekündigt, dass die Constantin für den nächsten deutschen Film mit über fünf Millionen Besuchern hunderttausend Euro für einen guten Zweck spenden wird. Außerdem darf das Kino, das mit diesem Film die meisten Besucher erzielt, eine Mega-Party feiern. So will man Erfolg belohnen. Das sind durchaus lobenswerte Ansätze, die aber meiner Meinung nach wenig zielführend sind.
Und hier kommt nun meine persönliche Perspektive als Drehbuchautor ins Spiel: Es gibt in Deutschland zu wenig kreative Freiheit und vor allem zu wenig Investitionen in die Projektentwicklung. Sicher, man kann als Autor über alles schreiben, worüber man schreiben will – man kann es nur nicht verkaufen. Bis vor wenigen Jahren war es nicht einmal möglich, einen Thriller fürs Kino zu konzipieren, von Fantasy-Projekten oder Horrorfilmen gar nicht erst zu reden. Das ändert sich inzwischen ein klein wenig, geht aber noch lange nicht weit genug.
Bei den Autoren sitzt immer noch der „böse Produzent“ im Kopf, der einem bei jeder Idee gleich sagt: „Das kann man in Deutschland nicht machen“. Wir Autoren haben über die Jahre hinweg immer und immer wieder gehört, was alles nicht geht, dass sich dies nicht von heute auf morgen ändern wird. Auch Kreativität muss trainiert werden. Überdies fehlt der Anreiz, sich an ungewöhnlichen Stoffen zu versuchen, weil immer noch viel zu wenige Filme dieser Genres produziert werden und die Gefahr, diese Ideen nicht an den Mann bringen zu können, viel zu groß ist.
Autoren sind diejenigen, die die Geschichten entwickeln, ohne sie gäbe es keine Filme, und doch werden sie schlecht oder gar nicht bezahlt und im kreativen Prozess ständig herabgesetzt und übergangen. Einiges ändert sich gerade, aber noch lange nicht schnell genug oder grundlegend. Kein Wunder also, dass immer mehr Autoren die Branche verlassen und Verleiher und Produzenten händeringend nach neuen und guten Stoffen suchen. Aber wo sollen diese originellen Ideen herkommen, wenn man jahrelang die Kreativität gebremst hat und nicht bereit ist, die Leute angemessen zu bezahlen? Es ist mittlerweile sogar so, dass die gesamte Stoffentwicklung inklusive aller Risiken auf den Autoren abgewälzt wird. Die Produzenten, vor allem die kleineren Firmen, die sich selbst von Projekt zu Projekt hangeln, zahlen einfach nicht mehr für die Entwicklung von Exposés oder Treatments. Bis man als Autor das erste Mal Geld sieht, vergeht also viel Zeit. Manchmal Jahre. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der meiner Meinung nach für einen Großteil der Misere des deutschen Films verantwortlich ist.
So lobenswert es also ist, für einen Blockbuster hunderttausend Euro an einen guten Zweck zu spenden, es würde viel mehr Sinn machen, würde die Constantin stattdessen damit ein paar neue Projekte entwickeln. Aber als Autor hört man stattdessen nur: „Tolle Idee, kommen Sie bitte mit dem fertigen Drehbuch wieder.“
Vielleicht wird es Zeit für eine Projektentwicklungs-Förderung, die Autoren etwas Geld an die Hand gibt, um Ideen zu Exposés oder Treatments auszuarbeiten. Das kostet nicht viel, würde aber die Kreativität hierzulande enorm beflügeln. Idealerweise sollten in dem Gremium auch nicht die üblichen Verdächtigen sitzen, die ganz genau zu wissen glauben, was geht und was nicht, sondern vielleicht auch ein paar Autoren oder Dramaturgen, die das Potenzial der eingereichten Ideen erkennen und auch bereit sind, etwas zu fördern, was abseits der Norm liegt.
Aber das alles ist reines Wunschdenken eines Autors, der zunehmend von dieser Branche frustriert ist und sich gedanklich mehr und mehr von ihr verabschiedet. Nach zwanzig Jahren in diesem Job glaube ich nicht mehr daran, dass es grundlegende Veränderungen geben wird. Stattdessen wird man weiter endlos diskutieren, ohne dabei auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ein paar moderate Experimente wie das Kinofest wagen und am Ende alles beim Alten lassen. Und solange die Umsätze stimmen, ist ja auch alles in bester Ordnung, nicht wahr?
Natürlich wird das Kino deshalb nicht untergehen, sondern weiterhin ein wichtiger Faktor im Kulturgeschehen bleiben, nur eben ein wesentlich kleinerer. Wir sollten uns besser daran gewöhnen.