Na, wer von euch ist auch noch müde? Ich habe mir – wie fast jedes Jahr – die Verleihung der Golden Globes angesehen und mir dabei die Nacht um die Ohren geschlagen. Das war heuer besonders einfach, weil ich gerade erkältet bin und sowieso nicht schlafen kann. Konnte ich schon als Kind nicht, und irgendwie ist das nichts, was mit dem Alter besser werden würde. Andererseits, was wird mit dem Alter schon besser?
Ich will jetzt keine tiefgehende Analyse der Preisverleihung betreiben. Da es wieder einmal keinen klaren Favoriten gab, der eine Trophäe nach der anderen einsackt, wurde nach dem Gießkannenprinzip verfahren. Auffällig war das eindeutige Bekenntnis zum klassischen Hollywood (nicht nur durch die besondere Anerkennung von Tarantinos Hollywood-Hommage, die die meisten Preise bekommen hat). Der Leidtragende war daher Netflix, der sich sicherlich mehr erhofft hat.
Nominiert für vier Golden Globes, ging auch Die zwei Päpste leer aus. Immerhin habe ich diesen Film bereits gesehen und kann etwas dazu sagen. Und vielleicht klappt es ja bei den Oscars?
Die zwei Päpste
Nach dem Tod von Johannes Paul II. wird ein neuer Papst gewählt. Schon 2005 werden dabei die Rufe nach einem Reformer laut, und Kardinal Jorge Bergoglio (Jonathan Pryce) kommt in die engere Wahl, obwohl er keinerlei Ambitionen auf das Amt hat. Stattdessen setzen sich aber die konservativen Kräfte durch und wählen Kardinal Joseph Ratzinger (Anthony Hopkins) zum Papst. Sieben Jahre später bittet Bergoglio darum, aus seinem Amt als Kardinal und Erzbischof zurückzutreten, um sich künftig als einfacher Pfarrer um eine Gemeinde kümmern zu können. Zu seiner Überraschung zitiert ihn der Papst daraufhin nach Rom …
Regisseur Fernando Meirelles hat mit City of God einen beeindruckenden, auch visuell aufregenden Film geschaffen. Die fiktive Begegnung zweier Geistlicher, die über das Schicksal der katholischen Kirche diskutieren, in Szene zu setzen, dürfte jedoch wesentlich herausfordernder gewesen sein. Meirelles startet daher mit einer sehr schnell geschnittenen Ouvertüre, die die Papstwahl 2005 zum Thema hat, wirft einige Schlaglichter auf jene Männer, über die damals in den Medien ohnehin so viel berichtet wurde, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, sie bereits zu kennen, und nimmt erst dann das Tempo raus, wenn die beiden Rivalen Jahre später aufeinander treffen. So beginnt der Film ungeheuer dynamisch, beinahe hektisch, um erst zur Ruhe zu kommen, wenn die Debatten hitziger werden. Ein schöner Kontrast. Die Wortgefechte zwischen den ungleichen Männern sind visuell eher ruhig in Szene gesetzt, erinnern dabei aber in ihrer Montage gelegentlich an Duelle aus alten Western.
Überaus beeindruckend ist auch die schauspielerische Leistung von Pryce und Hopkins, die mit ihrer Präsenz den gesamten Film tragen müssen – und dies leichthändig tun. Hier der intellektuelle Papst, der sich hinter den Ritualen der Kirche versteckt und am liebsten allein isst, dort der gesellige, fußballbegeisterte und pragmatische Kardinal. Beide verkörpern die Gegenpole der katholischen Kirche: Der traditionelle, konservative Flügel, der unter Johannes Paul II. die Macht im Vatikan ergriffen hat und die Zeit am liebsten zurückdrehen und die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils aufheben würde. Und der reformerische Flügel, der modern und der Welt zugewandt ist, der praktische Lösungen für theologische und gesellschaftliche Probleme wie den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen sucht, mit seinen Positionen beim Establishment aber stets aneckt.
Im Kern der Auseinandersetzung geht es um die zukünftige Ausrichtung der Kirche. Die Konservationen sind gegen Veränderungen und scheuen Kompromisse, die Reformer resignieren und beobachten einen zunehmenden Schwund der Gläubigen. Gleichzeitig werden auch die großen Skandale jener Jahre aufs Tapet gebracht, der Finanzskandal der Vatikanbank und die zahlreichen Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche, die lange Zeit vertuscht wurden. Geleakte Dokumente kommen ans Licht, während Bergoglio in Rom weilt, und der Papst wirkt müde und ausgezehrt, zerschlissen von den Ansprüchen seines Amtes und führungslos, weil er nicht weiß, ob die von ihm vorgegebene Richtung tatsächlich die richtige ist. Und Gott schweigt zu allem.
Für Ratzinger ist der Rücktrittsgesuch Bergoglios daher ein vergiftetes Geschenk. Am liebsten würde er einen seiner schärfsten Kritiker loswerden, aber dann würde es so aussehen, als wäre der beliebte Kardinal einer Intrige zum Opfer gefallen. Deshalb setzt der Papst sich sehr für den Verblieb seines Widersachers ein – zum Missfallen des Kardinals.
Es ist ein sehr scharfsinniges, bisweilen auch amüsantes Wortgefecht, das die beiden Männer sich in der ersten Hälfte liefern. Dann bekommt die Geschichte eine unerwartete Wendung, denn Ratzinger erkennt, dass sich ihm hier ein Ausweg aus einer verfahrenen Situation bietet: Er tritt zurück und gibt der Kirche so die Chance, einen neuen Weg einzuschlagen. Und plötzlich ist es Bergoglio, der überzeugt werden muss.
Der Drehbuchautor Anthony McCarten will viel und erreicht dabei eine ganze Menge. Einiges, wie die genannten Skandale, können daher nur angerissen werden, was schade ist, aber letzten Endes auch zu weit geführt hätte. Andererseits hätte man sie durchaus noch weiter vertiefen können, ohne dabei das Thema zu sprengen. Bergoglios Rolle in der argentinischen Militärdiktatur wird zwar mit einer gewissen Ausführlichkeit behandelt, kommt aber gleichzeitig zu kurz und wird nur aus seiner Sicht erzählt. Seine Wandlung von konservativen Jesuiten hin zum reformerischen Theologen ist zwar glaubwürdig geschildert und bisweilen sogar berührend, wirft aber nur ein Schlaglicht auf seinen Charakter. Als Zuschauer hätte man sich durchaus mehr gewünscht.
Sehr schön sind die skurrilen Momente am Rande: Ratzingers bizarre Vorliebe für Kommissar Rex, die gleichzeitig charmant und peinlich wirkt. Bergoglios Versuch, Ratzinger ein paar Tangoschritte beizubringen. Oder auch das gemeinsame Pizzaessen in der Sakristei der Sixtinischen Kapelle. Hier sieht man nicht die beiden hohen Würdenträger, sondern einfach zwei alte Männer, die sich aller Gegensätzlichkeiten zum Trotz respektieren und sogar mögen.
Am Ende schließt sich der Kreis. Ratzinger tritt zurück, ein neuer Papst wird gewählt, der alles anders machen will. Auch das wird wieder temporeich inszeniert und ist dennoch bewegend. Menschlich wird es dann noch einmal während des Abspanns, wenn beide Männer gemeinsam das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2014 anschauen …
Als Doppelporträt zweier unterschiedlicher Männer, die um die Zukunft der Kirche ringen, ist der Film sehr gelungen, will aber ein bisschen zu viel erzählen und vermag es daher nicht, so tief in die Materie einzudringen wie es wünschenswert und mitunter nötig gewesen wäre. Insgesamt aber trotz kleinerer Längen ein schöner Film.
Note: 2-