Der Trend zu unerwarteten Fortsetzungen geht weiter. In diesem Fall tut man dem Film allerdings Unrecht, denn die Roman-Fortsetzung erschien bereits 2013. Stephen King war bekanntlich mit Kubricks Shining nicht zufrieden und hat vor allem mit dem Ende gehadert. Deshalb hat er diesmal darauf geachtet, dass sich Autor und Regisseur Mike Flanagan stärker an die Vorlage hält …
Doctor Sleeps Erwachen
Dan (Ewan McGregor) hat die Ereignisse im Overlook-Hotel nicht gut verarbeitet. Noch jahrelang verfolgen ihn als Kind Alpträume – und die hungrigen Geister, die es in dem unheimlichen Gemäuer auf ihn abgesehen hatten. Doch sein Mentor, der verstorbene Dick Hallorann (Carl Lumbly) zeigt ihm einen Trick, wie er die verdammten Seelen in seinem Geist einsperren kann. 30 Jahre später unternimmt der alkoholkranke Dan einen Neuanfang in einer kleinen Stadt an der Ostküste, bekommt sein Leben langsam wieder in den Griff und findet Arbeit in einem Hospiz. Eines Tages erhält er unerwartet Besuch von der 13-jährigen Abra (Kyliegh Curran), die ebenfalls über die Gabe des Shining verfügt – und ins Visier einer Gruppe von Energie-Vampiren geraten ist, die sich von genau solchen Kindern ernähren. Sie bittet Dan um Hilfe …
Wie kann ein Kind solch traumatische Ereignisse wie in Shining überleben, ohne daran zugrunde zu gehen? Dan hat überlebt, zahlt aber einen hohen Preis dafür, denn um sein Shining zu unterdrücken, flüchtet er sich in Alkohol und Drogen. Gleichzeitig befürchtet er, genau wie sein Vater der Sucht zum Opfer zu fallen. Erst viele Jahre später schafft er es, sich aus den Fängen der Sucht zu befreien und seine Gabe einzusetzen, ohne sich zu sehr den Geistern auszuliefern.
Bis die eigentliche Geschichte beginnt und Abra Dan um Hilfe bittet, vergeht sehr viel Zeit. Zeit, in der Flanagan ausführlich von Dans Leben berichtet, Abra und ihre Gabe vorstellt und sich auch den Vampiren widmet, die die junge, ebenfalls übersinnlich begabte Andi (Emily Alyn Lind) zu einer der ihren machen. Man sieht auch, wie die Bande einen Jungen (Jacob Tremblay) entführt und ihn um seiner Kräfte willen tötet.
Das alles ist ganz interessant und solide geschildert, bringt die eigentliche Story aber nicht voran. Erst in der zweiten Hälfte des insgesamt etwas zu langen Films zieht das Tempo an und entwickelt sich ein spannender Kampf Gut gegen Böse. Vor allem Rose, die Anführerin der Vampire, ist ein faszinierender Charakter und wird von Rebecca Ferguson hervorragend verkörpert. Dieses Katz-und-Maus-Spiel hätte ruhig etwas länger dauern können.
Auch der Showdown im alten Overlook-Hotel ist gut gelungen und entführt einen noch einmal an den Schauplatz von Shining. Und King bekommt endlich das Ende, das er sich gewünscht hat …
Welcher Film ist nun besser? Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Shining ist meisterhaft inszeniert und hat in der Bildsprache Maßstäbe für folgende Generationen gesetzt. Da kann Mike Flanagan nicht mithalten, obwohl er seine Sache ausgesprochen gut gemacht hat. Ging es in Shining um das Auseinanderbrechen einer Familie und den Wahnsinn, der sich einer Person bemächtigt, handelt Doctor Sleeps Erwachen eher von der Frage, inwieweit unsere Eltern uns beeinflussen, was von unserem Verhalten auf ihre Gene oder ihre Erziehung zurückzuführen ist. Er handelt aber auch von den Familien, die wir uns selbst wählen, sei es im Bösen (wie bei Rose, Andi und ihren Freunden) oder im Guten (Dan, Hallorann und Abra). Das Ende von Shining ist befriedigender als das der Fortsetzung, der eine funktioniert besser als Horrorfilm als der andere, aber alles in allem kann man sagen, dass Doctor Sleeps Erwachen mit Shining durchaus mithalten kann. Eine gelungene Fortsetzung.
Note: 3+