Der Trailer hat mich neugierig auf den Film gemacht. Mark G. wollte ihn dagegen gar nicht sehen. Irgendwie ist in den letzten Wochen immer etwas dazwischengekommen, aber nun haben wir es geschafft, uns den Film des Jahres anzusehen. Die Vorschusslorbeeren waren jedenfalls groß, und es kommt nicht so oft vor, dass ein Film sowohl bei den Kritikern als auch beim Publikum punktet.
Joker
Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) leidet unter einer krankhaften Störung, die ihn dazu bringt, in krankhaftes Gelächter auszubrechen – oft in den unmöglichsten Situationen. Er lebt gemeinsam mit seiner Mutter (Frances Conroy) in einem heruntergekommenen Appartement in Gotham City, arbeitet als Clown bei einer Agentur und ist ein seltsamer, introvertierter Außenseiter. In der Stadt brodelt es, die Müllabfuhr streikt seit Wochen, die Menschen werden immer verzweifelter und brutaler. Deshalb will der Milliardär Thomas Wayne (Brett Cullen) als Bürgermeister kandidieren – und mit harter Hand durchgreifen. Als Arthur zum wiederholten Mal überfallen und zusammengeschlagen wird, greift er zur Waffe und erschießt seine Peiniger. Und seine Tat macht Schule …
Batman und Joker gehören zusammen wie Tom und Jerry, Luke Skywalker und Darth Vader oder Harry Potter und Voldemort. Der Held und sein Gegenspieler. Obwohl Batman weit mehr als nur einen Feind hat, ist der Joker doch so etwas wie seine Nemesis, der Comic-Feind Nummer Eins. Dem Genre entsprechend, wirkte die Figur in der Vergangenheit immer stark überzeichnet und grotesk, sie wurde als durchgeknallter Irrer abgestempelt, deren Motive nicht stichhaltig und logisch sein müssen, sondern einfach seinem Wahnsinn entspringen. Doch so wie Batman sich im Verlauf der Film- und Comicbuch-Geschichte verändert hat, ist auch der Joker in diesem Film ein völlig anderer.
Regisseur Todd Phillips und sein Co-Autor Scott Silver haben die Figur ernst genommen und sich gefragt, wie aus einem Menschen eine Figur wie der Joker werden kann. Sein irres Lachen als neurologische oder psychologische Störung zu erklären, ist ein gelungener Einfall, ihn zu einem sozialen Außenseiter zu machen, die logische Folgerung daraus. Dieser Joker ähnelt den Figuren der frühen Scorsese-Filme wie Taxi Driver, was durch die Inszenierung noch unterstrichen wird.
Das Leben inspiriert die (Comic-)Kunst. So steht nicht nur New York erneut für Gotham City, sondern steht auch seine Geschichte Pate für die Hintergrundhandlung, vom Müllabfuhrstreik über die Welle der Gewalt in den Siebzigern und Achtzigern bis hin zu den Erlösung versprechenden Milliardären, die mit harter Hand regieren wollen. Das ist die perfekte Kulisse für dieses Drama, das auch davon handelt, dass psychisch Kranke (wie in den USA) vom Staat im Stich gelassen werden, ohne Medikamente dastehen und schließlich Verbrechen begehen – oder ihnen zum Opfer fallen.
Auch Arthur ist lange Zeit ein Opfer, das glaubt, sich durch Medikation und ein tugendhaftes Leben anpassen zu können. Sei immer nett zu allen, hat ihm seine Mutter mit auf den Lebensweg gegeben, aber in einer Welt wie Gotham City kommt man damit nicht weit. Und so besteht die erste Hälfte des Films in einer endlosen Abwärtsspirale, in der Arthur immer wieder gedemütigt und verprügelt wird. Als Zuschauer hat man Mitleid mit dem armen Kerl – kann ihn aber dennoch nicht leiden. Dieser Mangel an Sympathie ist eines der größten Mankos des Films, der so kalt ist wie New York im Winter. Dabei hätte es sie dringend bedurft, um Arthurs lange Reise in die Dunkelheit seines Geistes mitzumachen und vor allem mit ihm zu leiden. Beides bleibt leider aus. Arthur bleibt ein seltsamer Kauz, hervorragend von Joaquin Phoenix verkörpert, aber eben auch nur eine Figur, die man beobachtet, anstatt sich mit ihr zu identifizieren.
Wenn aus Arthur am Ende Joker geworden ist, konstatiert er selbst lakonisch, dass dies eben passiert, wenn ein psychisch labiler Charakter auf eine kalte, brutale Gesellschaft trifft. Diese Verwandlung erscheint konsequent, ist auch nachvollziehbar, aber leider nur auf eine abstrakte, akademische Art. Dazu passt auch, dass aus Arthurs Verzweiflungstat und einem diskriminierenden Kommentar von Wayne, der soziale Versager und Übeltäter als „Clowns“ abstempelt, eine gewalttätige Bewegung erwächst, die sich hinter Clownsmasken versteckt. So interessant und aktuell diese Kapitalismus- und Neoliberalismus-Kritik auch ist, vollzieht sich diese Entwicklung viel zu schnell, um gänzlich zu überzeugen. Außerdem wäre es sinnvoll gewesen, Arthur wenigstens über seine Tat reflektieren zu lassen. Aber auch das bleibt leider völlig aus. So vollzieht sich seine Wandlung am Ende viel zu rasch.
Dafür nimmt sich Phillips am Anfang viel zu viel Zeit, um Arthur, sein Leiden und seine komplizierte Beziehung zur Mutter darzustellen. Später, wenn Arthur in der Vergangenheit seiner Mutter stöbert und dort dunkle Geheimnisse entdeckt, die ein neues Licht auf sein Leiden werfen, geschieht auch das ein wenig zu schnell und zu unreflektiert. So langweilt man sich als Zuschauer anfangs lange Zeit, um dann zu beobachten, wie sich alles fast im Zeitraffer abspielt. Das sind Fehler im Storytelling, die eine kluge Regie vermieden hätte, aber dazu ist Philips vielleicht zu verliebt in seine Bilder vom schmuddeligen Gotham gewesen.
Alles in allem ist Joker ein kluger Kommentar auf eine brutale Gesellschaft in einem kaltherzigen Kapitalismus, in dem die Schwachen und Außenseiter zermalmt werden. Überdies ist es eine Comicverfilmung der etwas anderen Art, düster, realistisch und psychologisch fundiert, um Längen besser als etwa Suicide Squad. Aber leider auch ein emotional kalter, abweisender Film, der ein wenig zu angestrengt wirkt.
Note: 3+