Ich habe schon lange keinen Thriller mehr gesehen. Obwohl sie auch heute noch produziert werden und ins Kino kommen, ist es ein Genre, das nicht mehr denselben Stellenwert wie noch in den Neunzigern besitzt. Das Schweigen der Lämmer, Sieben oder Die üblichen Verdächtigen waren großartige und erfolgreiche Filme, die inzwischen zu Klassikern geworden sind. In dieser Qualität gibt es heute leider kaum noch Produktionen, aber dafür immer wieder solide Mittelware – und die Hoffnung, dass sich darunter die eine oder andere Perle versteckt.
Wind River
Cory Lambert (Jeremy Renner) arbeitet als Jäger für die amerikanische Naturschutzbehörde in Wyoming und tötet vor allem Raubtiere, die es auf die Herden der Farmer abgesehen haben. Eines Tages stößt er dabei auf die Leiche der jungen Natalie (Kelsey Asbille), einer indianischen Ureinwohnerin. Obwohl sie der Winterkälte zum Opfer fiel, sind die Umstände ihres Todes verdächtig, denn sie war barfuß. Als die FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) hinzugerufen wird und der Gerichtsmediziner feststellt, dass Natalie vergewaltigt wurde, wird der Fall als Mord eingestuft.
Am Ende des Films wird auf einer Schrifttafel eine bemerkenswerte Tatsache zur Sprache gebracht: Die US-Bundes-Behörden haben Vermissten-Statistiken für sämtliche ethnische Bevölkerungsgruppen – außer für amerikanische Ureinwohnerinnen. Auch in den Medien war in den letzten Jahren immer wieder zu lesen, dass es zahllose Fälle verschwundener oder ermordeter Ureinwohnerinnen gibt, für die sich keine Behörde verantwortlich fühlt. Inzwischen ist das öffentliche Bewusstsein dafür gewachsen, auch dank der Tatsache, dass es Filme wie Wind River oder die TV-Serie Longmire gibt, die sich dieser Fälle angenommen und sie dramatisiert haben.
Regisseur und Autor Taylor Sheridan hat also ein brisantes Thema aufgegriffen und versucht, einen klassischen Hollywood-Thriller daraus zu machen. Das ist ihm insgesamt ganz ordentlich genommen, allerdings mit einigen Einschränkungen: Für einen Thriller ist die Geschichte leider nicht spannend genug. Das Tempo ist gemächlich, die Rätselspannung so gut wie gar nicht vorhanden. Schon der erste Ermittlungsansatz führt – über einen kleinen Umweg – zur Aufdeckung der Tat, und kurz bevor Jane und Cory auf die Lösung kommen, bekommt sie der Zuschauer in einer Rückblende präsentiert. Das wirkt nicht gerade elegant, führt aber immerhin zu einem kurzen, aber intensiven Showdown.
Auch wenn der Film als Thriller weitgehend versagt, zeichnet er doch wenigstens ein faszinierendes Porträt eines einsamen Jägers. Natürlich hat Cory einen persönlichen Bezug zu dem Fall: Seine eigene Tochter ist einige Jahre zuvor einem ähnlichen, nie aufgeklärten Verbrechen zum Opfer gefallen, weshalb er umso engagierter versucht, den Täter aufzuspüren. Das ist ganz gut erzählt, auch wenn die Symbolik – der Jäger, der „böse“ Raubtiere ausschaltet – ein wenig zu dick aufgetragen wird.
Gegen Ende driftet der Film sogar noch kurz ins Westerngenre ab, bevor er zu einem befriedigenden Schluss kommt, der in seinem besten Moment sogar berührt. Wind River preist lobenswert die Kraft und Entschlossenheit der indianischen Ureinwohner*innen und prangert sexuelle Gewalt gegen Frauen an – die beiden Hauptdarsteller sind allerdings weiß, und der Film wurde von den Weinsteins produziert. Heute würde diese Story vermutlich sensibler erzählt werden.
Note: 3
P.S. der Film ist noch ca. 30 Tage im Angebot von Prime Video abrufbar