Dass zwei Filme mit derselben Geschichte um die Gunst der Zuschauer konkurrieren, kommt häufiger vor als man denkt. Sei es Gefährliche Liebschaften und Valmont, 1492 – Die Eroberung des Paradieses und Christopher Columbus – Der Entdecker oder Deep Impact und Armageddon, um nur ein paar zu nennen, die mir gerade einfallen. Manche Ideen liegen eben scheinbar in der Luft …
Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne
Marguerite Dumont (Catherine Frot) ist schwerreich und mit einem Baron (André Marcon) verheiratet, der sich jedoch mehr für seine Geschäfte und seine Geliebte interessiert als für die musikalische Leidenschaft seiner Frau. Als Mitglied eines Clubs organisiert Marguerite immer wieder aufwendige Soireen, um musikalische Talente vorzustellen und selbst Arien zum Besten zu geben. Dass sie nicht singen kann, merkt sie nicht, und ihre Freunde sind höflich genug, sie nicht darauf hinzuweisen. Ihr Butler Madelbos (Denis Mpunga) lässt schlechte Kritiken verschwinden, sorgt für Blumen von vermeintlichen Verehrern und fördert ihr Hobby, indem er sie in exotischen Bühnenkostümen ablichtet. Als der Musikkritiker Lucien (Sylvain Dieuaide) einen wohlwollenden Artikel über sie veröffentlicht und der avantgardistische Künstler Kyrill Von Priest (Aubert Fenoy) sie für eine kulturrevolutionäre Aufführung engagiert, ist Marguerites Ehrgeiz erwacht: Wenigstens einmal im Leben will sie auf der großen Bühne stehen …
Dass Florence Foster Jenkins hier Patin stand, ist unverkennbar, und mit dem gleichnamigen, nur ein Jahr jüngeren Film, in dem Meryl Streep die Hauptrolle spielt, hat man den direkten Vergleich. Catherine Frot macht ihre Sache ausgesprochen gut, reicht an Meryl Streep allerdings nicht heran. Andererseits – wer tut das schon? Ihre Marguerite ist dennoch der Fixpunkt der Geschichte, alle anderen Figuren tauchen auf und verschwinden wieder, kehren manchmal zurück, entwickeln aber kaum ein Eigenleben. Alle außer ihr bleiben relativ blass, was aber noch viel schwerer wiegt: Alle anderen Figuren, mit einer Ausnahme, sind ausgesprochen unsympathisch.
Wirklich jeder, der in Marguerites Leben eine Rolle spielt, nutzt sie aus. Ihr Mann hat das Interesse an ihr verloren und bemerkt erst viel zu spät, dass ihre Flucht in die Welt der Oper mit ihren übersteigerten Emotionen ein einziger Hilferuf, ein schräg intonierter Schrei nach Liebe ist. Ihr Butler schützt sie zwar vor der gemeinen Wirklichkeit, kümmert sich fürsorglich um ihre Belange und unterstützt engagiert ihren Spleen, hat zugleich aber auch seinen Vorteil im Sinn: Er will mit den Fotos von Marguerite berühmt werden und scheut daher nicht davor zurück, sie psychisch zu zerstören. Alle anderen, ihre Förderer, Unterstützer und Bewunderer, sind nur hinter ihrem Geld her. Und Marguerite, immer hungrig nach Zuneigung, gibt großzügig und viel. Wenn sie schließlich im Engelskostüm vor ein gnadenloses Publikum tritt, ist es tatsächlich so, dass die Unschuld einer zynischen, grausamen Welt geopfert wird.
Florence Foster Jenkins hat aus dem Leben der New Yorker Gesellschaftsdame eine schräge Komödie mit einem tragischen Unterton gemacht, Madame Marguerite dagegen ist eine Tragödie mit einem komödiantischen Unterton. Beide Filme funktionieren, der eine ist aber etwas besser gelungen als der andere.
Note: 3