Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das erste Mal auf Sally Hawkins aufmerksam geworden bin. Ihre zweite Filmrolle war die einer unbenannten Dorfbewohnerin in Star Wars: Episode I – falls ich ihn jemals wiedersehe, sollte ich vielleicht mal darauf achten, ob ich sie erkenne …
Tatsächlich aufgefallen ist sie mir erst 2007 in der Jane Austen-Verfilmung Persuasion, und seither freue ich mich (fast) immer, wenn ich sie in einem Film entdecke. Die große Ausnahme bislang ist Happy-Go-Lucky, in der mir die permanent zur Schau getragene Fröhlichkeit ihrer Figur unglaublich auf die Nerven ging. Seit dem Oscargewinner The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers habe ich sie leider nicht mehr auf der großen Leinwand gesehen, daher war ich froh, dass ich den Film, den sie direkt davor gedreht hat, kürzlich auf Prime Video nachholen konnte.
Maudie
Nach dem Tod ihrer Mutter wird Maud (Sally Hawkins) von ihrem nichtsnutzigen Bruder zu einer Tante (Gabrielle Rose) abgeschoben, die sie nicht leiden kann. Maud leidet seit langem unter rheumatischer Arthrose, durch die sie in ihren Bewegungen eingeschränkt ist, will aber unbedingt auf eigenen Beinen stehen. Deshalb bewirbt sie sich um die Rolle der Haushälterin bei dem ruppigen Fischverkäufer Everett Lewis (Ethan Hawke). Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird aus den beiden sogar ein Paar, und Maud findet Zufriedenheit im Malen von Bildern mit naiven, lebensbejahenden Motiven. Mit der Zeit wird so aus der kleinen, unscheinbaren Maud eine weit über die Grenzen ihrer kanadischen Heimat hinaus bekannte Malerin …
Maudie ist ein seltsamer Film. Als Bio-Pic erzählt er von der Lebensgeschichte seiner Heldin, die jedoch fast ihr ganzes Leben – zumindest die gesamte Länge des Films – an einem Ort, noch dazu in einem winzigen Haus verbracht und gemalt hat. Wer das für wenig spannend hält, irrt sich nicht. Aber der Film von Aisling Walsh (Regie) und Sherry White (Buch) erzählt auch von einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, denen das Leben arg zugesetzt hat. Und das ist durchaus spannend.
Everett ist kein umgänglicher Mensch, er ist wortkarg, verfügt über begrenzte Bildung und wenig Vorstellungskraft, ist mürrisch und herrisch und wird Maud gegenüber sogar einmal gewalttätig. Vor allem zu Beginn ist er niemand, den man zu seiner Cocktailparty einladen würde, aber im Verlauf der Geschichte ändert er sich. Wie Wasser selbst die Kanten des härtesten Steins abschleift, bekommt Everett durch Maud weiche Seiten, wird hilfsbereiter und liebevoller. In Maßen versteht sich, aber dies ist schließlich auch kein Märchen.
Herz und Seele des Films ist jedoch Sally Hawkins, deren Darstellung so präzise und einfühlsam ist, dass man genau versteht, was Maud gerade fühlt und denkt. Erst zum Ende hin offenbart sich, dass es in Maud Vergangenheit noch ein paar Geheimnisse gibt, über die hier nichts verraten werden soll, die aber auch keine allzu große Rolle spielen. In erster Linie handelt ihre Geschichte davon, wie sie sich einen Platz im Leben erkämpft und für sich mit dem Malen eine Beschäftigung findet, die sie ausfüllt und ihrem Dasein eine Bestimmung verleiht. Auch wenn ihr Leben mit Everett in diesem kleinen, armseligen Haus hart und entbehrungsreich war, scheint Maud glücklich gewesen zu sein.
Der Film verlangt eine Menge Geduld und könnte durchaus etwas kürzer sein, lebt aber von seinen hervorragenden Schauspielern und einem ergreifenden Schluss. Letzten Endes, so lernen wir, ist es nicht wichtig, ob man ein aufregendes, langes oder besonderes Leben geführt hat, sondern ob wir geliebt wurden und etwas getan haben, was uns am Herzen lag. So viel können wir von dieser kleinen, arthritischen Frau lernen.
Note: 3+