Tarantinoesk: Spätestens nach Pulp Fiction war der visuell aufregende, mit ungewöhnlichen Perspektiven, viel Gewalt und schrägem Humor arbeitende Regiestil von Tarantino ein feststehender Begriff. Eine Marke. Auch ich war damals, als frischgebackener Filmstudent, begeistert von seinem Episoden-Thriller mit den vielen unerwarteten Wendungen und dem zynischen Humor. Doch dann kam Jackie Brown, und zumindest für mich war der Film eine ziemliche Enttäuschung. Ich kann gar nicht mehr so genau sagen, warum er mir nicht gefallen hat, habe ihn allerdings als zu langsam und langatmig in Erinnerung.
Für einen Künstler ist es ist immer schwer, seinem Stil treu zu bleiben und gleichzeitig etwas Neues zu wagen, man will sich ja nicht ständig wiederholen, andererseits aber auch nicht seine Fans mit zu radikalen Änderungen verschrecken. In Tarantinos Fall muss es sogar noch schwieriger sein, da nach Pulp Fiction alle Welt begann, seinen Stil zu kopieren.
Inzwischen habe ich es aufgegeben, von Tarantino noch etwas Neues, Aufregendes oder Originelles zu erwarten. Seine Filme sind immer noch handwerklich gut gemacht, sein Markenzeichen, das ausgiebige Zitieren von Genres, Obskuritäten und Klassikern der Filmgeschichte, ist ein amüsantes Spiel, bei dem es immer viel zu entdecken gibt. Aus diesen Gründen gehört er auch zu den Regisseuren, deren Filme ich mir fast immer anschaue. Aber die Begeisterung für seine Geschichten ist bei mir schon lange vorbei.
Nach der Premiere seines jüngsten Werks waren die Kritiken wieder einmal so euphorisch, dass ich ein klein wenig Hoffnung hatte, er würde zu alter Größe zurückfinden. Zumal immer wieder gesagt wurde, dass der Film in seiner episodenhaften Struktur an Pulp Fiction erinnert und das Ende fulminant sein soll. Das Beste, was er seit langem abgeliefert hat.
Once Upon A Time … In Hollywood
1969: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist ein ehemaliger Fernsehstar, der Held einer populären Westernserie in den Fünfzigern, der jetzt nur noch Schurken in B-Filmen und Serien spielt. Als Marvin Schwarz (Al Pacino) ihm die Hauptrolle in einem Spaghetti-Western anbietet, hält er das sogar für den Tiefpunkt seiner Karriere.
Ricks bester Freund und Mädchen für alles ist Cliff Booth (Brad Pitt), der sämtliche Stunts für Rick erledigt und ihn durch die Gegend chauffiert, weil dieser nach einer Alkoholfahrt seinen Führerschein verloren hat. Bei seinen Fahrten durch L.A. trifft Cliff immer wieder auf Pussycat (Margaret Qualley), ein Hippiemädchen aus dem Dunstkreis von Charles Manson (Damon Herriman).
Ricks neue Nachbarn sind der Regiestar Roman Polanski (Rafal Zwierucha) und seine schöne Frau Sharon Tate (Margot Robbie), die das Pech haben, in das Haus gezogen zu sein, das einst einem Plattenproduzenten gehört hat, von dem Manson sich einen Schub für seine Musikkarriere erhofft hat.
Es ist einer der berühmtesten Morde Hollywoods, den jeder kennt: Anfang August 1969 wurden die hochschwangere Sharon Tate und einige ihrer Freunde in ihrer Villa von Mitgliedern der Manson-Familie abgeschlachtet. Über die Zeit und diese Ereignisse hat es bereits einige Filme, Serien und Bücher gegeben, zuletzt etwa die Serie Aquarius, daher ist es erfreulich, dass Tarantino sich vor allem auf den fiktiven Rick Dalton konzentriert und Tate und ihre Clique nur am Rande vorkommen.
In erster Linie handelt Once Upon A Time … In Hollywood vom New Hollywood, das damals gerade entstand und sich mit Gesellschaftskritik und seiner Bevorzugung von Außenseitern als Protagonisten vom alten Studiosystem absetzte. Es ist daher sicherlich kein Zufall, dass schon früh im Film Musik aus Die Reifeprüfung in einer Szene zu hören ist, einem der ersten Filme des New Hollywood. Oder dass die Hauptfiguren genau solche Außenseiter sind, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben wurschteln.
In seiner aalglatten Oberflächlichkeit verkörpert Rick Dalton das alte Hollywood, obwohl er nie zu den großen Stars zählte, sondern vor allem durch das Fernsehen bekannt wurde. Seine große Zeit scheint bereits hinter ihm zu liegen, ein Neuanfang in Europa birgt ein zu großes Risiko, von dem er nicht weiß, ob er es eingehen soll. Er wirkt verloren. Die Figur erinnert in diesem Punkt an Clint Eastwood, der ebenfalls in jener Zeit dank der Italo-Western seine Karriere neu belebte. Tarantino erzählt, wie Rick versucht, sich in dieser Zeit des Umbruchs zurechtzufinden, sich neu zu erfinden, obwohl er das die neue Lässigkeit, die saloppe Kleidung und das Unkonventionelle hasst. Er ist desillusioniert und schafft es schließlich, daraus neue kreative Kraft zu schöpfen und genau jene moralisch zweifelhaften, gebrochenen Männer zu verkörpern, die gerade gefragt sind. DiCaprio spielt das so gekonnt, so intensiv, dass ihm eine Oscarnominierung sicher sein könnte.
Auch Brad Pitt schafft es einmal mehr, den coolen, durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Helden zu verkörpern, der ebenso lässig einen aufmüpfigen Hippie vermöbelt wie Bruce Lee (Mike Moh) eine Lektion erteilt. Aber man kommt ihm nie nahe, er scheint alles gelassen hinzunehmen, nichts scheint ihm wichtig zu sein, weder seine Karriere noch sein Leben in Hollywood. So bleibt er ein leeres Blatt.
Die dritte bemerkenswerte schauspielerische Leistung geht auf das Konto von Margot Robbie, die vollkommen mit ihrem Part als Sharon Tate zu verschmelzen scheint. Für den Zuschauer, der schließlich mehr weiß, ist die Figur von Anfang an tragikumflort und daher so etwas wie die personifizierte Unschuld. Das wird besonders deutlich in der hinreißenden Szene, in der sie ins Kino geht, um sich mit kindlicher Freude selbst in einer ihrer Rollen zu bewundern.
So schafft Tarantino immer wieder kleine Szenen und längere Sequenzen, die ungemein präzise beobachtet und treffend geschildert werden. Es gibt eine Handvoll bemerkenswerter Momente, die mit zu den besten zählen, die man dieses Jahr auf der großen Leinwand bewundern darf, die aber seltsamerweise allein dastehen. Sicher, der gemeinsame Nenner ist Hollywood und das (Über-)Leben in einer Stadt, in der alles nur Kulisse zu sein scheint, aber darüber hinaus verbindet die Figuren nur ihre geografische Nähe.
Letzten Endes ist Dalton die einzige greifbare Figur, die sich mit sich selbst und der Welt auseinandersetzen muss. Cliff gleitet scheinbar teflonbeschichtet durch das Leben, hat eine düstere, geheimnisvolle Vergangenheit, die als großes Geheimnis aufgebaut wird, aber überhaupt keine Rolle spielt, weshalb er als Figur zweidimensional bleibt. Auch Sharon Tate scheint nur in Zeitlupe durch sonnengeflutete Villen zu spazieren und ihre Designermode vorzuführen, welche Ziele sie hat, was sie umtreibt, welche Bedeutung die Dreiecksgeschichte, von der wir erfahren, möglicherweise für sie hat und wie sie sich emotional auf sie und ihre Arbeit auswirkt – man weiß es nicht.
Es ist wirklich bemerkenswert, wie viel Tarantino über diese Menschen und Hollywood und das Filmemachen zu sagen hat, ohne auch nur irgendetwas zu erzählen zu haben. Alles ist interessant und schön anzuschauen, gut gespielt und toll inszeniert, mit treffenden Dialogen und bis ins kleinste Detail perfekt ausgestatteten Kulissen – und gleichzeitig ungemein ereignislos und stellenweise sogar langweilig. So plätschert der Film rund zwei Stunden lang leidlich unterhaltsam vor sich hin, bevor er endlich zu seinem lang ersehnten Finale ansetzt.
Jetzt geht es um den bekannten Mord, und hier dreht Tarantino noch einmal auf. Wie gewohnt inszeniert er blutig und zynisch – und überrascht mit einem Ende, das hier nicht verraten werden soll. Es ist nicht das erste Mal, dass er einen Film auf diese Weise beendet, weshalb es nicht so überraschend ist wie erwartet, und man kann diesen Kniff mutig finden oder überflüssig. In erster Linie ist der Showdown jedoch verdammt kurz.
In Once Upon A Time … In Hollywood hält sich das Erfreuliche und das Enttäuschende nahezu perfekt die Waage, viele Details sind gelungen, das große Ganze jedoch nicht. So ist es irgendwie doch wieder ein typischer Tarantino geworden …
Note: 3