Im Augenblick schaue ich verstärkt ältere Filme an. Das liegt vor allem daran, dass ich in den letzten Jahren eine Menge Filme aufgenommen habe, die ich bislang noch nicht kenne oder gerne wiedersehen möchte, und meine Festplatte jetzt langsam zu voll wird. Neulich wollte ich mir daher Letztes Jahr in Marienbad anschauen, immerhin ein bekannter Klassiker, konnte aber so rein gar nichts damit anfangen und musste dann nach einem Drittel abbrechen. Das kommt bei mir in der Tat selten vor.
Der Film von 1961 zählt zur experimentellen Avantgarde und besitzt keine stringente Handlung, sondern spielt mit der Wiederholung von Dialogen und Szenen. Das kann durchaus reizvoll sein, zumal Regisseur Alain Resnais den Film absichtlich so inszeniert hat, dass er wie ein Traum wirkt und man sich nie sicher sein kann, ob das Gezeigte aus einem solchen stammt, von einer Figur gerade erfunden oder eingebildet oder erinnert wird oder – möglicherweise – sogar real ist. Wobei letzteres am unwahrscheinlichsten wirkt. Im Kern geht es darum, dass ein Mann einer Frau einzureden versucht, dass sie sich im vergangenen Jahr kennengelernt und verabredet haben, nun gemeinsam ein neues Leben zu beginnen. Woran die Dame sich nicht erinnert. Psychologisch betrachtet, ist das ein reizvolles Sujet, das mit dem Thema unterdrückte oder erfundene Erinnerungen spielt, nur ist die Umsetzung so dermaßen künstlich, theaterhaft und verworren, dass man keinerlei Fixpunkte in der Erzählung ausmachen kann. Alles wirkt willkürlich, verrätselt und unwirklich. Es gibt keine Identifikationsfiguren, die auch nur den Hauch von Empathie aufkommen lassen, keinerlei Orientierung in Zeit und Raum. Die Schwarzweiß-Bilder sind zwar recht reizvoll, dafür nervt der Soundtrack mit nahezu ununterbrochenem Orgelspiel, das vermutlich nur den Zweck erfüllt, den Zuschauer am Einschlafen zu hindern.
Nach dreißig Minuten war daher Schluss, und weil der Abend noch lang war, habe ich mir stattdessen einen anderen Film angesehen, der nur ein Jahr jünger ist:
Süßer Vogel Jugend
Chance Wayne (Paul Newman) kehrt nach Jahren in seine Heimatstadt in Florida zurück. Er wird von dem alternden Hollywoodstar Alexandra Del Lago (Geraldine Page) begleitet, die kürzlich ein Comeback versucht hat, aber noch in der Premierennacht geflohen ist, weil sie den Glauben an ihre Strahlkraft verloren hat. Seither betrinkt sie sich und raucht Joints, um sich selbst zu vergessen. Chance hofft auf ein Wiedersehen mit seiner Jugendliebe Heavenly (Shirley Knight), die mit ihm in einem Film spielen soll, den Alexandra versprochen hat zu produzieren. Doch Heavenlys Vater Boss Finley (Ed Begley), der den aus armen Verhältnissen stammenden Chance schon früher verjagt hat, will eine Begegnung verhindern. Der gewiefte Politiker und Ölmagnat hat gerade große Probleme, denn sein Sohn Tom (Rip Torn) hat auf sein Geheiß einen politischen Rivalen bedroht und eingeschüchtert und damit einen Skandal verursacht. Ein weiterer Eklat um seine Tochter käme daher zur Unzeit …
Das Stück von Tennessee Williams wurde bereits drei Jahre vor der Verfilmung in New York uraufgeführt, ebenfalls mit Newman und Page in den Hauptrollen. Pikanterweise spielt Page eine alternde Diva, Newman ihren wesentlich jüngeren Liebhaber – obwohl sie nur zwei Monate älter war. Hollywood kann so grausam sein …
Im Gegenzug liefert Page eine denkwürdige schauspielerische Leistung ab, voller Selbstironie, Zynismus, Verzweiflung und fragwürdiger Hoffnung. Die Brutalität eines Systems, in dem Jugend und Schönheit alles ist, Erfahrung und Talent jedoch geringer geschätzt werden, hat sich auch fast sechs Jahrzehnte später nicht verändert. Im Gegenteil, Frauen in Hollywood gelten nun bereits mit Anfang dreißig als zu alt. Alexandra Del Lagos Nöte lassen sich daher gut nachvollziehen, auch wenn man weiß, dass ihr Versuch, sich in Alkohol und Drogen zu verlieren, nur schlecht ausgehen kann. Dass es dann am Ende nicht so kommt, gehört zu den angenehmen Überraschungen.
Der Rest ist jedoch eine Tragödie wie sie im Buche steht. Der Kern ist eine Liebesgeschichte, die an den äußeren Umständen und Widerständen aus der Umgebung des Paares gescheitert ist. In Rückblenden erfahren wir, dass Boss Finley den jungen Chance glauben ließ, dass er nur als erfolgreicher Mann ein würdiger Kandidat für Heavenly wäre, um später dann, als er tatsächlich beginnt, ein erfolgreicher Schauspieler zu werden, ihn in den Koreakrieg schickt. Nun kehrt Chance verbittert und gescheitert zurück, sein Traum ist geplatzt, seine erste Jugend dahin. Alexandra ist seine letzte Möglichkeit, und er tut buchstäblich alles, um sie zu nutzen.
In Sachen Skrupellosigkeit ist er allerdings Boss Finley weit unterlegen. Dieser Mann hat einen ganzen Staat in seinem Griff und scheint mit jeder Niederträchtigkeit davonzukommen. Dabei scheut er nicht davor zurück, jeden zu beseitigen, der ihm oder seinem Image als Saubermann gefährlich werden könnte, sei es ein Konkurrent oder eine langjährige Geliebte. Auch sein eigener sadistischer Sohn wird von ihm ständig heruntergemacht, obwohl er alles tut, um das Wohlwollen seines Vaters zu erlangen. Trump und sein Sohn Don jr. lassen hier grüßen und verleihen dem Film eine ungewollte Aktualität, aber auch sonst scheint sich in den amerikanischen Südstaaten seit jenen Tagen nichts verändert zu haben, man braucht nur aufmerksam die Politik zu verfolgen und stößt dabei auf eine Menge Boss Finleys.
So handelt das Drama vor allem von menschlichem Ehrgeiz und Skrupellosigkeit. Jeder versucht jeden zu übervorteilen und auszunutzen, und die Liebe bleibt dabei auf der Strecke. So blutig, düster und hoffnungslos wie das Bühnenstück endet der Film allerdings nicht. Da bestand Hollywood wohl auf einem – ziemlich abrupten und aufgesetzt wirkenden – Happy End.
Insgesamt reicht der Film nicht an die dramatische Wucht von Die Katze auf dem heißen Blechdach heran, zu dem es einige Parallelen gibt, aber einige bemerkenswerte Szenen und die schauspielerische Brillanz von Begley und vor allem Page machen viele Längen und Schwächen wett.
Note: 2-