Nach Bohemian Rhapsody kam dieses Jahr ein weiteres Bio Pic über einen bekannten Musiker ins Kino. Elton John und Freddy Mercury haben einiges gemeinsam, da bietet sich ein Vergleich geradezu an …
Rocketman
Kommt ein Teufel zu den Anonymen Alkoholikern … Was sich nach einem Witz anhört, ist der Beginn des Films: Elton John (Taron Egerton) verschwindet heimlich vor Beginn einer Show im Bühnenoutfit und begibt sich in eine Entzugsklinik, um seine jahrelange Alkohol- und Drogensucht behandeln zu lassen. Dabei blickt er auf sein Leben zurück, seine Kindheit, in der er unter seiner häufig abwesenden Mutter (Bryce Dallas Howard) und seinem an ihm desinteressierten Vater (Steven Mackintosh) litt. Seine Sehnsucht nach Liebe wurde am ehesten noch von Großmutter Ivy (Gemma Jones) gestillt, die auch sein musikalisches Talent fördert. Als junger Mann erfindet sich der schüchterne, pummelige Dwight neu und nennt sich nun Elton John, er hadert mit seiner Homosexualität und flüchtet sich in Drogen und Alkohol, um die Leere in seinem Leben zu bekämpfen, die sich trotz seines gigantischen Ruhms einstellt …
Bio Pics über reiche, berühmte Leute sind oft wie eine einzige Warnung: Vorsicht, ein Leben im Rampenlicht gefährdet ihre Gesundheit! Als Otto Normalbürger stellt man sich so ein Dasein als Rock- oder Filmstar ungeheuer glamourös vor, wie eine einzige Party, doch die Realität besteht wohl eher aus dem nicht enden wollenden Kater danach.
Glücklich scheint Elton John während seiner ersten erfolgreichen Jahre jedenfalls nicht gewesen zu sein, so wird es uns jedenfalls von Drehbuchautor Lee Hall und Regisseur Dexter Fletcher verkauft. Im Grunde wird die Geschichte eines ungeliebten Kindes erzählt, was die Inszenierung kongenial aufgreift und immer wieder leitmotivisch aufblitzen lässt. Sei es in der Therapiestunde oder während eines Selbstmordversuchs, der erwachsene Elton trifft immer wieder auf sein kindliches Ich, bis er es am Ende in die Arme schließt und somit seinen Frieden findet. Das mutet etwas naiv an, ist aber wirkungsvoll.
Rocketman ist eine zweistündige Therapiesitzung mit Musik. Es gibt einige Musicalnummern, die sich perfekt in die Handlung einfügen und ebenso für Abwechslung in der ansonsten recht braven, chronologischen Erzählweise sorgen wie einige großartige Regieeinfälle, etwa die Inszenierung seines ersten Auftritts in Amerika. Die Parallelen zu Bohemian Rhapsody sind stark: Sowohl Elton John als auch Freddy Mercury stammen aus eher einfachen britischen Verhältnissen, sind schwul und mussten ihre Veranlagung lange Zeit verleugnen, beide erfanden sich selbst, gaben sich neue Namen und eine Bühnenpersönlichkeit, beide kämpften gegen ihre Drogensucht. Im direkten Vergleich ist Rocketman der ehrlichere, besser inszenierte Film, eine schonungslosere Offenlegung der inneren Dämonen, Bohemian Rhapsody hat aber mehr Power, ein wenig mehr Humor und mitreißendere Szenen. Vielleicht liegt letzteres auch nur an der Musik.
Wie bei allem Dramen, in denen der primäre Konflikt ein innerer ist, hat Rocketman Defizite in seiner Erzählweise. Elton Johns Aufstieg vollzieht sich so reibungslos und kometengleich, dass man diese magischen Anfangsmomente einer großen Karriere nicht so recht genießen kann, die Drogenexzesse und der langsame, unaufhaltsame Absturz hingegen sind voller Wiederholungen und Redundanzen.
Der Film ist eine One-Man-Show: Taron Egerton spielt absolut hinreißend, Jamie Bell als Eltons langjähriger Kompositionspartner macht seine Sache ebenso gut wie Richard Madden als sein skrupelloser Manager und treuloser Geliebter. Sie bleiben jedoch eher Fußnoten, tauchen für eine Weile auf, dienen als Stichwortgeber und Unterstützer oder Widersacher, dann verschwinden sie wieder. Es ist das ewige Problem von Bio Pics, die zwar von faszinierenden Persönlichkeiten und großen Karrieren handeln, aber selten spannend sind, weil das menschliche Leben in den seltensten Fällen nach dramaturgischen Prinzipien verläuft.
Toll inszeniertes und hervorragend gespieltes Bio Pic – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Note: 3+