Am Sonntag mussten wir uns schweren Herzens von Chania und der Familie trennen. Es ging zurück Richtung Osten (weiter nach Westen wäre ohne Schiff auch schwer möglich gewesen) und dann nach Süden, hinauf in die Berge. Erstaunlich, dass man nur wenige Minuten fahren muss und sich plötzlich wieder auf der Spitze eines hohen Berges befindet. Argiroupoli war unser Zwischenstopp. Die Stadt wurde auf den Ruinen der antiken Stadt Lappa errichtet und gelangte im vorletzten Jahrhundert durch Silberfunde noch einmal zur Blüte.
Bekannt ist der Ort vor allem durch seine Quellen. Ihr Wasser sprudelt munter aus dem Massiv heraus und sucht sich dann in kleinen Wasserfällen und gewundenen Bachläufen seinen Weg ins Tal, bevor es schließlich in Rethymno aus dem Hahn läuft. Für uns ging es nach diesem Halt noch ein bisschen weiter die Berge hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Die Landschaft veränderte sich dabei sehr. Die schroffen Berge wurden zu sanften Hügeln, die Olivenhaine wechselten sich mit Weiden ab, die bereits trocken und braun aussahen. Schön war es aber immer noch.
Durch eine dramatisch enge, sich plötzlich dem Meer öffnende Schlucht gelangt man schließlich an die südliche Küste, die für manche zu den schönsten Flecken der Insel gehört. Auch hier erwarten einen wieder ein türkisfarbenes Meer und romantische Buchten mit zerklüfteten Felsen – und das eine oder andere Kloster oder Kirchlein. Hat sie eigentlich mal jemand gezählt? Es müssen Hunderte sein…
Zu den bekanntesten Klöstern zählt Preveli, das im 19. Jahrhundert an der Stelle eines älteren Klosters errichtet wurde und dessen Kirche mit zahlreichen schönen Ikonen aus der Zeit ausgestattet ist. Dummerweise sind wir mit zwei Reisebussen voller Russen angekommen, die anscheinend auf einer Pilgerreise waren. In der Kirche war es entsprechend voll, so dass ich mich mühsam zur Ikonostase vorgearbeitet habe, um die dargestellten Bibelszenen bewundern zu können. Doch als einer der Mönche ein Kruzifix mit einer Reliquie aus einer verschlossenen Vitrine genommen hat und anfing, die Gläubigen damit zu segnen, war kein Halten mehr. Gegen sechzig entschlossene Russen kam ich einfach nicht an und suchte etwas genervt das Weite. Bei einem zweiten Versuch war ich immerhin etwas erfolgreicher. Auch das Museum ist sehr sehenswert, und auf dem Rückweg haben wir noch an einer alten Brücke gehalten, die ihrem Namen nach venezianisch sein soll, aber wesentlich jünger ist.
Von dort aus war es nur noch eine Stunde bis zu unserem letzten Feriendomizil, einem kleinen Bed and Breakfast in den Bergen südlich von Heraklion. Wir logieren hier in einem rund dreihundert Jahre alten Landhaus, dessen Mauern dick genug sind, um die gnadenlose Sommerhitze draußen zu halten. Einen Pool mit eiskaltem Wasser gibt es auch, falls man sich doch noch abkühlen will. Unsere Gastgeber sind sehr nett und betreiben auch eine kleine Taverne, in der wir sehr lecker zu Abend gegessen haben. Das muss sich auch in der Nachbarschaft herumgesprochen haben, denn eine sehr magere und überaus neugierige Katze hat sich zu uns an den Tisch gesetzt (und wenn man nicht aufgepasst hat, auch darauf). Am besten ist jedoch der Blick von der Terrasse, die ein weites, grünes Tal voller Olivenbäume (was denn sonst?) und einige kleine Bergdörfer überblickt. Am Horizont kann man gerade noch das Häusermeer von Heraklion und die tiefblaue See erahnen. Kaum zu glauben, dass wir dort vor knapp drei Wochen unsere Reise begonnen haben.
Viele Gäste hier kommen wegen der Ruhe. Keine Autos, keine Flugzeuge, Züge oder Menschen stören den Frieden der Natur; man kann ungestört lesen oder einfach nur die Seele baumeln lassen, nichts und niemand stört einen. Nun ja, fast niemand … Es scheint, als hätten die örtlichen Zikaden das Memo nicht bekommen, denn sie veranstalten einen Heidenlärm. Aber selbst das ist irgendwie noch schön.
Weil es selbst in den Bergen noch unglaublich heiß war, haben wir beschlossen, unsere Ausflüge zusammenzustreichen. Wir sind lediglich zu den Ausgrabungen von Gortis gefahren, das vor zweitausend Jahren die Hauptstadt der römischen Provinz Creta et Cyrene war und eine Viertelmillion Einwohner zählte. Hannibal lebte hier im Exil, Paulus predigte den ersten Christen, und den ältesten europäischen Gesetzestext hat man hier ebenfalls gefunden. Seit 130 Jahren werden ihre Überreste ausgegraben, aber allzu viel kann man leider nicht bewundern. Neben etlichen Mauerresten gibt es immerhin die beeindruckenden Apsiden der sogenannten Titus-Basilika, das Odeon und eine mythische Platane. Mythisch deshalb, weil unter ihr angeblich Zeus Europa vernascht hat. Außerhalb des eingezäunten Bereichs mit den genannten Highlights kann man noch jede Menge Trümmer in den umliegenden Olivenhainen anschauen, da es jedoch keinen Plan dazu gibt, irrt man meist nur verwirrt herum und starrt auf Mauerreste und Säulenstümpfe, die zerstörte Tempel oder die Überreste einer öffentlichen Toilette darstellen. Man weiß es nicht. Außerdem gibt es dort aggressive Mücken, die mich als wandelnde Smoothie-Bar betrachtet haben. Dann lieber zurück auf unseren Berg und in den Liegestuhl …
Damit endet unser Kreta-Urlaub auch schon. Was bleibt mir in Erinnerung? Eine unglaublich schöne Landschaft, bei der die Strände am Fuß gewaltiger Berge liegen. Freundliche Menschen. Leckeres Essen. Magere Katzen und viele streunende Hunde. Romantische Bergdörfer. Malerisch gelegene byzantinische Klöster, Kirchen und Kapellen (an den unzulänglichsten Orten). Das einzige, was mich auch nach drei Wochen immer noch verwundert, ist der schlechte Zustand der Kanalisation, der es nicht erlaubt, Toilettenpapier abzuspülen. Aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit.