Während meiner Zeit als Filmstudent in den Neunzigern habe ich einige Independent-Regisseure für mich entdeckt, deren Arbeiten ich faszinierend und inspirierend fand. Es war die Zeit, in der auch Quentin Tarantino groß rauskam und den Coolness-Faktor in den Filmen schlagartig erhöhte. Dass sich hier etwas Neues Bahn brach, war für jeden zu erkennen, und entsprechend oft wurde er auch kopiert… Ich meine natürlich zitiert.
Viel spannender waren aber kleine, abseitige Produktionen, die gar nicht schräg genug sein konnten. Ich meine hier schräg im Sinne von Peter Greenaway, dessen Filme aus den Achtzigern teilweise wiederaufgeführt wurden (zumindest in unserem hauseigenen Kino, das immer wieder alte – manchmal auch ganz alte – Filme zeigte): Ein Z und zwei Nullen, Der Kontrakt des Zeichners, Die Verschwörung der Frauen und Der Koch, seine Frau und ihr Liebhaber.
Dann erinnere ich mich noch an David Lynchs Wild at Heart oder seine TV-Kult-Serie Twin Peaks, der jedoch bereits nach kurzer Zeit die Luft ausging. Lost Highway 1997 war mir dann schon wieder zu schräg. Lynchs Neigung, seine Helden von Zwergen träumen zu lassen, wurde dann in Living in Oblivion aufgegriffen, einer herrlich verrückten Komödie übers Filmemachen von 1995, in der ein Kleinwüchsiger (Peter Dinklage in seiner ersten Rolle) sinngemäß sagte: „Kein Mensch träumt von Zwergen. Nicht einmal ich träume von Zwergen.“ Was bei mir sofort Widerspruch hervorrief, denn ich träumte damals tatsächlich von Zwergen, woran mein kleinwüchsiger Nachbar schuld war, der das gesamte Haus tyrannisierte und mich irgendwie auf dem Kieker hatte.
Tom DiCillo hat nach Living in Oblivion noch Echt blond gemacht, ist später aber leider in der Versenkung verschwunden. Ein Schicksal, das er mit mehreren Kollegen teilt, deren Filme ich damals mochte: Philip Ridley zum Beispiel, dessen Schrei in der Stille (1990, mit Viggo Mortensen) einfach großartig war und eine enorme erzählerische Wucht besaß. Aber schon The Passion of Darkly Noon war eine – wenn auch schön bebilderte – Enttäuschung. Oder Denys Arcand, der damals mit Jesus von Montreal (1989) und Liebe und andere Grausamkeiten (1993) zwei tolle Filme gedreht hat, mich danach aber mit seinen Filmen nur noch langweilte. Robert Lepage, einer der Schauspieler aus Jesus von Montreal, hat 1995 einen sehr schönen, verrätselten Film gedreht: Confessional – Das Geheimnis der Beichte, aber danach kaum noch etwas gemacht.
Mit Ang Lee habe ich damals einen meiner absoluten Favoriten entdeckt, der für mich auch heute noch zu den besten Regisseuren zählt und damals mit Das Hochzeitsbankett und vor allem mit dem großartigen Eat Drink Man Woman seine internationale Karriere begründet hat. Vielleicht sollte ich mir letzteren bald einmal wieder ansehen und an dieser Stelle würdigen. Bei den meisten anderen Filmen bin ich mir allerdings nicht sicher, ob sie mir heute noch in demselben Maße gefallen würden, und ein wenig fürchte ich mich davor, es zu riskieren.
Zwei weitere meiner damaligen Favoriten waren zum einen Hal Hartley, der mit Verdacht auf Liebe (1989), Trust – Blindes Vertrauen (1990) und Simple Men (1992) gleich drei schöne Filme gedreht hat, aber später (mit Flirt oder Amateur) nicht mehr an seine früheren Würfe anknüpfen konnte. Der zweite war Kar Wai Wong, dessen Filme Chunking Express und Fallen Angels nicht minder cool waren als Reservoir Dogs oder Pulp Fiction und die auch auf abenteuerliche Weise entstanden sind. Leider hat mir Happy Together dann nicht mehr so gut gefallen, ebenso wie In the Mood for Love – Der Klang der Liebe (und über 2046 – Der ultimative Liebesfilm breiten wir mal lieber den Mantel des Schweigens). Aber im Gegensatz zu anderen von mir geschätzten Filmemachern der Neunziger dreht er auch heute noch spannende Filme. Leider habe ich The Grandmaster heuer verpasst, aber dafür kürzlich endlich einen anderen seiner neueren Filme nachgeholt:
My Blueberry Nights
Elizabeth (Norah Jones) landet zufällig eines Nachts im Café von Jeremy (Jude Law), nachdem sie von ihrem Freund betrogen und verlassen wurde. Sie heult sich bei dem Unbekannten aus – und kommt danach immer wieder, um bei ihm die Nacht zu vertrödeln. Langsam verliebt sich Jeremy in sie, doch dann verschwindet sie, um sich auf eine lange Reise zu sich selbst zu begeben…
Kar-Wei Wong ist einer der interessantesten Regisseure aus Hongkong, der in den Neunzigern einige aufregende Filme gemacht hat. Zumindest visuell schafft er es, mit dieser episodischen Erzählung an seine früheren Arbeiten anzuknüpfen, und so lebt die Geschichte vor allem von ihrer betörenden Atmosphäre und den tollen Darstellern, zu denen noch David Strathairn, Rachel Weisz und Natalie Portman zählen. Sängerin Norah Jones beweist in ihrem Debüt, dass sie auch eine passable Schauspielerin ist. Die einzelnen Episoden sind durchweg solide erzählt, allerdings wenig originell, dennoch ist es der ideale Film für die ruhige Zeit nach Mitternacht oder wenn einen der Blues gepackt hat.
Note: 3