Warm ums Herz

Wenn das 20. Jahrhundert als Jahrhundert der Bilder galt, kann man von unserer Zeit vermutlich einmal von einem Jahrhundert des Films sprechen. Bewegte Bilder im Internet sind schon lange gang und gäbe, meist in Form nerviger Anzeigen, die einen vom geschriebenen Wort ablenken, aber immer mehr erobern sie auch den öffentlichen Raum. Bald flimmert es auf riesigen Bildschirmen, wenn wir auf den Bus warten oder an einem Supermarkt vorbeigehen, und sobald sich die ultradünnen und biegsamen Bildträger durchgesetzt haben, von denen die Industrie seit einigen Jahren spricht, werden uns sogar auf der Milchtüte glückliche Kühe entgegenspringen. Solange sie es wenigstens schweigend tun, kann man die penetranten Botschaften vielleicht noch ausblenden, aber sollten sich schwatzhafte Reklametafeln an den Bushaltestellen durchsetzen, prophezeie ich schon jetzt einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Amokläufer…

Wir sind süchtig nach Bildern, egal ob bewegt oder nicht. Und seit es billige (und gute Kameras) in nahezu jedem Handy gibt, fühlt sich auch jeder zum Filmemachen berufen. Die Folge sind die lustigsten Katzenvideos auf YouTube oder peinliche Filmchen wie jenes, das die drei amerikanischen, steineschubsenden Pfadfinder jüngst ins Netz gestellt haben und das eindrucksvoll beweist, was mein Physiklehrer schon immer wusste: Der destruktive Trieb im Menschen ist immer größer als der konstruktive. Jetzt sind die drei berühmt – oder eher berüchtigt – und können eine mediale Karriere starten. So wie Paris Hilton, die ihren Ruhm auch einem allzu privaten Filmchen verdankt, das wie auch immer seinen Weg ins Internet gefunden hat.

Auch Deutschland hat solche zweifelhaften Prominenten, und eine davon heißt Daniela Katzenberger. Statt sie nun die lustigsten (Achtung, mieses Wortspiel!) Katzenvideos auf Super RTL moderieren zu lassen, bekommt sie eine Rolle in einem ARD-Krimi (qualitativ besteht darin wahrscheinlich kein Unterschied). Angeblich soll sie sogar eine Kommissarin spielen, wobei es doch sinnvoller wäre, sie als Leiche zu besetzen, denn dann müsste sie wenigstens den Mund halten. Da kann der Untergang des Abendlandes gar nicht schnell genug kommen…

Das Schönste am Fernsehen ist, dass man nicht einschalten muss. Anders als früher hat man heutzutage die Möglichkeit, sich sein eigenes Programm zusammenzustellen und sich aus der schnöden Welt voller Hiltons, Katzenbergers und steinschubsender Banausen wegzuträumen. Ein Tipp für kalte Herbsttage, damit einem wieder warm ums Herz wird:

Bright Star – Meine Liebe. Ewig

Fanny Brawne (Abbie Cornish) ist eine eher pragmatisch denkende, junge Frau, die sich vor allem für Mode interessiert und eine sehr talentierte Schneiderin ist. Als Tochter eines Gentlemans ist ihre Zukunft im England des 19. Jahrhunderts jedoch vorprogrammiert: Sie soll einen wohlhabenden Mann aus den besseren Kreisen heiraten und ein beschauliches Leben auf dem Land führen. Eines Tages lernt sie jedoch den jungen Dichter John Keats (Ben Whishaw) kennen, der sich aufopferungsvoll um seinen todkranken Bruder kümmert. Er imponiert ihr, auch wenn sie mit Poesie überhaupt nichts anfangen kann. Langsam kommen sie sich näher, verlieben sich sogar, und Fanny entdeckt plötzlich neue, leidenschaftliche Gefühle, doch auch Keats ist krank…

Eine Liebe, die wegen der Standesunterschiede und der Armut des Verehrers keine sein darf, ein begabter, aber erfolgloser Poet, der noch dazu an der Schwindsucht leidet und bereits mit 28 Jahren stirbt – das wahre Leben der Fanny Brawne gestaltet sich wie das Paradebeispiel eines romantischen Melodrams. Jane Campion, die zusammen mit Andrew Motion auch das Drehbuch schrieb, erzählt die Geschichte einer erst zögerlichen, aber dann immer tieferen Liebe ungeheuer einfühlsam und dennoch kraftvoll. Sie findet wunderschöne Bilder, die einen in das England des 19. Jahrhundert entführen, und kreiert eine traumhafte, sinnliche Atmosphäre, die einen vollkommen in den Bann zieht. Einer der schönsten Liebesfilme der Filmgeschichte.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.