Am vorletzten Samstag endete der erste – und längste – Teil unseres Urlaubs. Wir verließen unser verschlafenes Küstenstädtchen und fuhren gen Westen nach Chania, wo wir eine Woche bei Mark G.s amerikanischer Verwandtschaft verbringen werden. Natürlich konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, unterwegs noch ein paar Zwischenstopps einzulegen.
Schon relativ bald hinter Heraklion fuhren wir in die Berge hinauf, über einige steile, kurvenreiche Straßen zu einem kleinen Örtchen namens Rodia, das sich elegant an einen Hang schmiegt und von da aus die gesamte Bucht überblickt. Der Ausblick war fantastisch, ließ sich aber noch verbessern, indem wir noch weiter hinauffuhren, diesmal über teilweise unbefestigte Wege, die eher für einen Esel denn einen Wagen gemacht schienen. Unser Ziel war das Nonnenkloster Moni Savathiana, das sich in einem dicht bewaldeten Tal befindet, von einem wunderbar blühenden und duftenden Garten umgeben, den man fast als paradiesisch beschreiben könnte.
Wir waren die einzigen Besucher an diesem Morgen und wurden gleich sehr freundlich von einer alten Nonne begrüßt, die ausgezeichnetes Englisch sprach und uns einen Kaffee anbot. Da wir keinen Kaffee trinken, stiegen wir gleich einen kurzen Hang zu einer niedlichen Kapelle hinauf, von der aus man die überaus gepflegte Anlage überblicken kann.
Unser nächster Stopp war Fodele, der Geburtsort des Malers El Greco, der überdies eine sehr hübsche kleine Kirche aus dem 11. Jahrhundert sein Eigen nennt. Bemerkenswert ist, dass sie inmitten der Überreste des Fundaments einer viel älteren Kirche steht, die von den Sarazenen vernichtet wurde. Später zwangen die Türken zudem die Bevölkerung, ihr Dorf zu verlassen und sich einen Kilometer entfernt neu anzusiedeln, so dass das Gotteshaus nun ein ganzes Stück außerhalb des Ortes liegt. An diesem Beispiel sieht man nicht nur, wie alt die Geschichte Kretas ist, sondern auch wie schmerzhaft die Vergangenheit sein kann. Nahezu in jedem Ort, in jedem Kloster hört man Geschichten über Angriffe und Verwüstungen durch die Türken oder – einige Jahrhunderte später – den Deutschen.
Das Kloster, das wir uns danach ansahen, toppt in Punkto Schmerz und Traurigkeit jedoch jede dieser Anekdoten um ein Vielfaches: Moni Arkadi ist ein Wahrzeichen und Nationalheiligtum Kretas, ein Denkmal für die Heldenhaftigkeit der Freiheitskämpfer und die Grausamkeit des Krieges. In diesem weitläufigen, sehr schön angelegten Kloster befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts das Komitee der Rebellen. Die Türken drohten mit der Stürmung und Zerstörung des Klosters, sollten sie sich nicht ergeben, woraufhin die Rebellen zu einer Verzweiflungstat schritten: Sie sprengten sich und die rund tausend Männer, Frauen und Kinder, die hier Zuflucht gesucht hatten, in die Luft und rissen noch einige hundert Angreifer mit sich. Man kann heute noch die ehemalige Pulverkammer besichtigen, von der natürlich nicht mehr viel übrig ist und in der ein Bild den dramatischen Moment festhält, indem jemand auf ein Pulverfass schoss. Auch in einem anderen Raum wurden etliche Leute hingerichtet, woran eine Tafel erinnert. Der Duft von Weihrauch hing in der Luft – vermutlich um die Seelen zu beruhigen …
Nach so viel düsterer Historie brauchten wir unbedingt Sonne, Lebensfreude und – Eiscreme. All das fanden wir in der pittoresken Küstenstadt Rethymno. Sie liegt wunderschön am Meer, besitzt enge, verwinkelte Gässchen, alte Kirchen, die im Verlauf ihrer Geschichte in Moscheen umgewandelt worden waren und danach wieder in Kirchen (eine besitzt sogar einen Glockenturm und ein Minarett), und wird in den Sommermonaten von Touristen geradezu überrannt. Auch das kann man durchaus als Invasion bezeichnen, aber diesmal werden die Eindringlinge von den Einheimischen freudig begrüßt. Von den meisten zumindest.
Seit einigen Tagen kann man den Anstieg der Urlauber geradezu fühlen. Das babylonische Sprachgewirr wird größer, und auch das Gedränge in den Straßen nimmt zu. Vielleicht liegt das auch nur an mir, und ich bin keine größeren Ortschaften mehr gewöhnt. Rethymno ist wirklich sehr schön, aber leider auch ein bisschen überlaufen. Die Stadt ist gepflegt, verfügt für meinen Geschmack aber über zu viele Souvenirläden und Restaurants. Außerdem war es mit 34 Grad unerträglich heiß und stickig. Da half selbst ein kühles und leckeres Eis nur für eine Weile …
Am Nachmittag legten wir dann noch den letzten Rest des Weges zurück und bezogen unser Quartier in Chania. Zur Begrüßung wurde von der griechischen Haushälterin groß aufgekocht, es gab Fisch, überbackene Auberginen, Zucchini, ein spinatähnliches Gemüse, die hiesige Version von Bruschetta, eine Suppe und natürlich Salat mit jeder Menge Feta. Ich habe inzwischen so viel Schafskäse gegessen, dass ich befürchte, mir bald eine Selbsthilfegruppe für Käsesüchtige suchen zu müssen …