Seit letzten Mittwoch sind wir motorisiert. Obwohl Busfahren auf Kreta einfach und preiswert ist, haben wir uns einen Mietwagen zugelegt, um bequemer weitere Strecken zurückzulegen. Als erstes ging es noch am selben Tag auf die Lassithi-Hochebene, die zu den Highlights eines jeden Kreta-Urlaubs zählt.
Die fruchtbare weite Ebene liegt über 800 Meter hoch und ist vom Dikti-Gebirge umgeben, dessen Gipfel teilweise über zweitausend Meter hoch sind. Um dorthin zu gelangen, muss man also sehr lange sehr steil bergauf fahren und viele enge Serpentinen in Kauf nehmen. Nichts für schwache Nerven und nervöse Mägen, aber landschaftlich sehr reizvoll.
Auch kulturell und historisch wird dem Besucher einiges geboten. So führte uns unser erster Zwischenstopp zum ehemaligen Kloster Gouverniótissa, das noch aus byzantinischer Zeit stammt und erst vor wenigen Jahren restauriert wurde. Die Kirche ist von der Decke bis zum Boden aufs Herrlichste mit Fresken ausgemalt, von denen etliche leider schon verblichen sind. Wir haben an dem Tag mehrere Klöster und Kirchen besichtigt, und ich war immer wieder erstaunt, wie klein die Gebäude sind. Zum Ausgleich gibt es sehr viele von ihnen.
Anschließend ging es weiter zum Dorf Avdou, das nicht nur ein weiteres entzückendes (aber leider geschlossenes) Kirchlein aus dem Mittelalter aufzuweisen hat, sondern auch sonst sehr ansehnlich ist. Der romantisch veranlagte Mitteleuropäer gerät ja gerne ins Schwärmen angesichts der sanft vor sich hin bröckelnden Bausubstanz vergangener Jahrzehnte oder Jahrhunderte, noch dazu, wenn diese auf pittoreske Art mit allerlei blühendem Gestrüpp zugewuchert ist. Wohnen möchte er in so was allerdings nicht …
Mit seinen engen, verwinkelten Gassen und der riesigen Platane auf dem zentralen Platz, deren Blätterdach einen geheimnisvollen Schatten wirft, wirkt der Ort wie aus einem Märchen. In den Tavernen hocken Gruppen alter Männer bei Kaffee und Raki, und vor den Türen der Häuser sitzen ihre runzeligen Ehefrauen, um zu schwatzen oder zu stricken. Neugierige Katzen starren einen aus jedem Winkel an.
Doch auch die Schattenseiten fallen einem ins Auge: Die Jugend ist fort, und die zahlreichen Geschäfte, die es einmal gegeben hat, haben ihre Pforten für immer geschlossen; an sie erinnern nur noch Gedenktafeln, die auch die Zeiten ihres Bestehens vermerken. Es ist ein schöner Ort, keine Frage, aber auch ein trauriger.
In Krási haben sie es immerhin das Glück, die größte Platane der Insel ihr eigen zu nennen: Satte 18 Meter soll der Umfang des Stammes sein, und wir haben da mal gleich das Maßband gezückt und nachgemessen … Nein, natürlich nicht – der Baum ist schon beeindruckend genug und wird von den Bewohnern (oder den Betreibern der angrenzenden Taverne) liebevoll gepflegt.
Weiter ging es, immer höher hinauf in die Berge. Ein Zwischenstopp war das hübsche, am Bergrücken klebende Kloster Kerá, das immerhin eine wundertätige Ikone aufzuweisen hat: Mehrfach wurde sie von den Türken nach Istanbul entführt, kehrte aber immer wieder auf geheimnisvolle Weise zurück, einmal sogar mitsamt der Säule und der Kette, die sie daran gefesselt hat. Ein religiöser Bumerang sozusagen.
Am Ambelós-Pass haben wir dann zurückgeblickt auf das Land, das wir hinter (oder unter) uns gelassen hatten: Es ist erstaunlich grün, stellenweise sogar bewaldet und wird von einem blau-grünen Stausee beherrscht, der weithin leuchtet. Auf der anderen Seite dann die Lassithi-Hochebene, relativ flach und voller Felder und Olivenhaine. Und Windmühlen. Früher wurden sie benutzt, um das für die Bewässerung nötige Grundwasser hochzupumpen, heute sind die meisten vermutlich nur noch Dekoration für die Touristen. Die ersten, ganz offensichtliche Nachbauten, haben wir bereits neben einem Naturkundemuseum gesehen, die Überreste einiger historischer Mühlen hielten dann Wache auf dem Pass, und in der Ebene selbst warteten wahre Heerscharen von ihnen auf einen Don Quixote.
Eine Rundstraße führt am Rand der Ebene entlang und an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten vorbei. Sehr schön gelegen ist das Kloster Vidianis, das über eine Ikonenwerkstatt verfügt. Berühmt ist zudem die Zeus-Höhle Dikteon Andron, in der der Göttervater aufgewachsen sein soll. Um zu ihr zu gelangen, muss man zuerst einen steilen Berg hochkraxeln (oder alternativ auf einem Esel hochreiten), und dann wieder in die Tiefe hinabsteigen. Wir haben uns das gespart. Den Eseln und auch uns zuliebe. Höhlen habe ich wirklich genug gesehen, zumal sämtliche Reiseführer uns versichert haben, dass diese nicht sonderlich spektakulär sei, und Zeus hat seinen antiken Krempel vermutlich bei seinem Auszug mitgenommen. Was mich nicht wundert, schließlich steht der Boden permanent unter Wasser. Auf dem Olymp ist es sicher angenehmer.
Stattdessen sind wir zum Lasinthos Eco Park gefahren. Das ist eine Art touristisch ausgelegter Musterbetrieb mit einem kleinen Bauernhof und etlichen Werkstätten, in denen demonstriert wird, wie früher Decken gewebt, Schüsseln getöpfert und Kerzen gezogen wurden. Das Ganze erinnert entfernt an ein griechisches Dorf mit einer Kirche und einem Marktplatz. Ein Restaurant gibt es auch, wo wir uns zu einem späten Mittagessen niedergelassen haben. Die Auswahl war sehr begrenzt, aber das Essen – eigenproduziert und in Bioqualität – ausgesprochen lecker. Unsere bislang beste Mahlzeit auf der Insel.
Danach sind wir wieder auf demselben Weg zurück zu unserem Ferienort gefahren und haben unterwegs erstaunt festgestellt: Manche Teile der Insel erinnern auf frappierende Art und Weise an Arizona …