Der Fall Collini

Es gibt gute und schlechte Trailer.Gute machen neugierig auf die Geschichte und Lust auf den Film, schlechte verraten zu viel. Der Trailer zu Der Fall Collini gehört leider in die zweite Kategorie, denn er deutet bereits die Auflösung des Falls an, weshalb ich wenig Lust hatte, überhaupt ins Kino zu gehen. Nach einigen Wochen habe ich mich dann doch überwunden – und wurde angenehm überrascht.

Der Fall Collini

Fabrizio Collini (Franco Nero) trifft sich unter dem Vorwand, ihn interviewen zu wollen, mit dem einflussreichen Unternehmer Hans Meyer (Manfred Zapatka) in einem Hotel – und erschießt ihn. Nach seiner Verhaftung schweigt er zu seinen Motiven. Auch sein Anwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek), der gerade erst seine Zulassung erhalten und die Pflichtverteidigung übernommen hat, schafft es nicht, ihn zum Reden zu bringen. Caspar befindet sich zudem in einem starken Interessenskonflikt, denn Meyer war sein Ziehvater, dem er alles zu verdanken hat. Und mit dessen Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara) verbindet ihn eine starke Zuneigung …

Deutsche Gerichtsfilme können leider nicht dieselbe emotionale Wirkung entfalten wie ihre Pendants aus Hollywood. Das amerikanische Justizsystem ist per se stark auf theatralische Effekte angelegt und Geschworenenurteile besitzen immer den Ruch der Unberechenbarkeit. Dadurch ist viel mehr Drama möglich. Deutsche Prozesse sind dagegen so spannend wie die Hauptversammlung eines Kaninchenzuchtvereins.

Aus diesem Grund beginnt Der Fall Collini ungeheuer schleppend und zäh. Die Figuren sind schnell eingeführt, man mag den jungen, unerfahrenen Anwalt, der ein bisschen übereifrig ist und bald in einen schweren Interessenskonflikt gerät. Zwar möchte er wegen seiner Nähe zum Opfer zunächst die Verteidigung abgeben, unterlässt dies aber nach einem Gespräch mit seinem ehemaligen Professor Mattinger (Heiner Lauterbach), der Johanna als Nebenklägerin vertritt. Erst spät wird Caspar klar, dass seinem Gegner seine Unerfahrenheit durchaus zum Vorteil gereicht.

Warum Caspar die Verteidigung letztlich doch übernimmt, wird ein wenig zu schnell abgehandelt, um gänzlich zu überzeugen, aber interessant ist sein Konflikt allemal, da er Meyer nicht nur seinen Werdegang verdankt, sondern dieser auch ein Vaterersatz für ihn war. Sein biologischer Vater (Peter Prager) taucht ebenfalls plötzlich auf, und es kommt tatsächlich zu einer Art von Versöhnung zwischen den beiden. Das Ganze wird aber sehr verhalten und viel zu beiläufig erzählt, dabei hätte dieser Handlungsstrang mehr Spielraum verdient und dazu beigetragen, Caspar besser zu verstehen. Leider gehen die Drehbuchautoren hier nicht in die Tiefe.

Auch Caspars Beziehung zu Johanna kommt nicht richtig zum Tragen, ebenso wird der frühe Tod ihres Bruders, der Caspars bester Freund war, kaum thematisiert. Gerade in der ersten, ziemlich langweiligen Hälfte des Films hätte man hier wesentlich mehr herausholen können. Stattdessen sieht man Caspar bei seiner oberflächlichen Recherche, für die Regisseur Marco Kreuzpaintner leider immer nur dieselben Bilder findet, und dass sein Mandant so hartnäckig schweigt, macht die Sache leider nicht besser.

Erst in der zweiten Hälfte gewinnt der Film an Format, geht mehr in die Tiefe und deckt die Motive Collinis auf, die mit der dunklen Vergangenheit seines Opfers zu tun haben. Und wenn man dann denkt, dass man die Geschichte nun kennt, schlägt sie noch eine Volte und kommt auf ihr eigentliches Thema zu sprechen: ein skandalöses Gesetz, das in den späten Sechzigerjahren erlassen wurde.

Ich will hier nicht zu viel darüber verraten, denn dafür lohnt es sich tatsächlich, sich den Film anzuschauen, auch wenn das Thema ein wenig trocken ist. Doch Kreuzpaintner gelingt es, durch ausführliche Rückblenden nicht nur die Vergangenheit und schicksalhafte Verbindung von Meyer und Collini deutlich zu machen, sondern auch starke Emotionen zu wecken. Auch wenn die Darstellung dabei bisweilen leider in den Kitsch abdriftet.

Fazit: Nach einer langweiligen ersten Hälfte gewinnt die Story erst gegen Ende an Tiefgang und Emotionen, aber dann ist der Film richtig gut.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.