Doppelgänger gehören zu den ältesten Archetypen des Horrorgenres. Insofern nimmt sich Jordan Peele in seinem jüngsten Werk eines klassischen Themas an, das sich mit Identität beschäftigt und psychologisch stark aufgeladen ist. Das passt gut zu dem Autor und Regisseur, der zuvor in Get Out einen Blick auf den Rassismus in Amerika geworfen hat. Von dem Film war ich zwar nur mäßig begeistert, aber neugierig genug, um mir sein neues Werk anzuschauen …
Wir
1986 besucht Adelaide (Madison Curry) mit ihren Eltern einen Rummelplatz und verirrt sich in einem gruseligen Spiegelkabinett, aus dem sie verstört wieder herauskommt. Über dreißig Jahre später macht sie als Erwachsene (Lupita Nyong’o) mit ihrem Mann Gabe (Winston Duke) sowie ihren Kindern Urlaub in derselben Gegend. Eines Abends werden sie dann von ihren eigenen, finsteren Doppelgängern heimgesucht, die versuchen sie zu töten …
Regisseur Jordan Peele hat unleugbar ein Händchen für Stimmung und Atmosphäre sowie ein gutes Gespür für Timing. Das ist wichtig in einem Horrorfilm, um den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen und ordentlich zu erschrecken. Wie schon in Get Out gelingt es Peele auch in seinem zweiten Film, eine beklemmende und düstere Welt zu kreieren, in der wir uns selbst als mordlüsterne Irre begegnen. Das ist spätestens seit Dr. Jekyll und Mr. Hyde zwar ein alter Hut, aber wenn es wie in diesem Fall gut gemacht ist, kann es immer noch fesselnd sein. Vor allem wenn die Grenzen zwischen den beiden Doppelgängern zunehmend verwischen.
Wir lebt von seinem kunstvollen Katz-und-Maus-Spiel, einer großartigen Hauptdarstellerin und dem leichten, stetig wachsenden Gefühl des Unbehagens, das einen befällt, wenn man darüber nachdenkt, dass scheinbar in jedem von uns ein Killer steckt. Atmosphärisch ist der Film aber nicht so dicht wie sein Vorgänger und entwickelt auch keinen mitreißenden Sog, im Gegenteil, in der zweiten Hälfte, wenn man sich an den Horror gewöhnt hat, stellen sich sogar einige Längen ein. Außerdem streut Peele immer wieder humorvolle Momente ein, die wichtig in einem Horrorfilm sind, um einmal durchzuatmen, die aber so platt daherkommen, dass man sich bisweilen im falschen Film wähnt.
Richtig gruselig ist Wir ohnehin nicht, aber dafür über weite Strecken spannend inszeniert. Am interessantesten ist jedoch seine psychologische Grundlage. Wenn Peele von geheimen Tunneln unter der Oberfläche Amerikas spricht, deren Herkunft ungeklärt ist, weiß man, dass er die latente Gewalt und den Horror der Geschichte dieses Landes meint, das brodelnde Unbewusste einer Nation, deren Geschichte reich an Blutvergießen ist, und wenn die Doppelgänger morden, richtet sich praktisch eine Gesellschaft gegen sich selbst. Das alles ist klug durchdacht und dennoch so einfach, dass es jeder versteht. Wenn er es dabei belassen hatte, wäre vielleicht sogar ein guter Film herausgekommen.
Aber wie schon in Get Out kann Peele das Rätselhafte nicht für sich allein stehen lassen, sondern muss sich am Ende erklären – und zieht seinen bis dahin recht gelungenen Film ins Lächerliche. Seine Auflösung, die einem völlig unnötig aufgedrängt wird, zerstört zum Schluss alles, was man zuvor geschätzt hat, sie macht die Atmosphäre zunichte und offenbart, dass Peele zwar eine gute Grundidee hatte, aber keine Ahnung, wie er sie zu einer brauchbaren Geschichte ausformuliert. So fühlt man sich als Zuschauer in den letzten fünfzehn Minuten einfach nur als dumm verkauft, woran auch der – nicht wirklich – überraschende Twist am Ende nichts ändern kann.
Schwächer als Get Out, lebt Wir immerhin von einigen spannenden Momenten und einer tollen Lupita Nyong’o.
Note: 4+