Jahresrückblick 2018 Teil 1

Für die Kinobranche war 2018 eine Katastrophe. Ich will jetzt gar nicht anfangen, Zahlen und Fakten des Niedergangs aufzuzählen, das kann Mark G. wesentlich besser als ich, aber noch nie habe ich so viel über die Krise unserer Branche diskutiert wie im vergangenen Jahr und letzte Woche in München, und ich schätze, das Thema wird uns noch eine Weile erhalten bleiben.

Die große Frage ist, wie wir das Publikum, das in den letzten Jahren in immer größerer Anzahl dem Kino ferngeblieben ist, wieder zurückgewinnen, vor allem die jüngeren Leute. Vielleicht wäre es sinnvoll, einmal eine große Umfrage zu starten, um den Ursachen genauer auf den Grund zu gehen. Bei der Gelegenheit könnte man das Publikum auch gleich fragen, was die Kinos ihrer Meinung nach besser machen könnten.

Aus den Gesprächen, die ich gelegentlich mit Leuten in ihren Zwanzigern oder jünger zu dem Thema führe, nehme ich immer dieselben Antworten mit: Sie lieben zwar das Gemeinschaftserlebnis und sind auch bereit, dafür am Wochenende mehr Geld auszugeben, brauchen das aber nur von Zeit zu Zeit. Kino hat für sie eher Eventcharakter.

Natürlich sehen sie auch gerne Filme, aber zum einen ist die Qualität des Homekinos inzwischen so gut, dass viele gar nicht mehr ins Kino gehen und lieber warten, bis die DVD erscheint, um den Film dann gemütlich in den eigenen vier Wänden anzuschauen. Den meisten ist es aber inzwischen sogar egal, ob sie einen Film auf der großen Leinwand oder auf dem Display ihres Handys sehen. Wichtiger ist ihnen, dass sie ihn sehen können, wenn sie gerade Zeit haben und unabhängig von dem Ort, an dem sie sich befinden.

Ich glaube, darin besteht die eigentliche Gefahr der Streamingdienste. Sicher, sie bieten darüber hinaus auch eine Flut an Inhalten und buhlen vor allem mit immer aufwändigeren Serien um die Gunst der Zuschauer. Viele Top-Serien können in punkto Qualität inzwischen mit dem Kino locker mithalten, und wenn es um Originalität geht, übertreffen sie es häufig sogar. Das vielbeschworene goldene Zeitalter des Fernsehens ist zum Fluch fürs Kino geworden. Viel problematischer ist jedoch, dass sie uns die Freiheit gegeben haben, uns unser Programm selbst zusammenzustellen. Gerade weil sie auch auf kleinen Geräten empfangbar sind, können wir Filme und Serien aus dem Angebot der Streamingdienste sehen, wo und wann immer wir wollen. Mit dieser Flexibilität kann das Kino unmöglich konkurrieren.

Dafür besitzt es aber andere Qualitäten: Kino ist wie ein magisches Lagerfeuer, um das wir uns scharen, um Geschichten erzählt zu bekommen, um Emotionen zu erfahren und zu teilen. Ich glaube, dass Horrorfilme im Moment auch deshalb so erfolgreich sind, weil die Leute es lieben, sich gemeinsam zu gruseln. Wir lachen auch gerne zusammen, aber leider wird uns da seit Jahren viel zu wenig geboten. Fragt man Teenager nach ihren Lieblingskomödien, sieht man nur ratlose Gesichter. Mark G. hat es in seiner Rede letzten November ebenfalls unterstrichen: Wir brauchen mehr Komödien!

Hollywood konzentriert sich seit Jahren auf den asiatischen Wachstumsmarkt und lässt Europa im Stich. Im Augenblick kommen die Comicverfilmungen immer noch gut an, im Gegenteil, die Besucherzahlen bei manchen Franchises steigen sogar noch. Das ist schön, kann und wird aber nicht ewig so weitergehen. Marvel beendet gerade seine III. Phase und läutet die nächste ein. Wird sie ebenso erfolgreich sein? Gehen ihnen irgendwann die stil- und genreprägenden Graphic Novels aus? Sehen sich die Zuschauer auch die Helden aus der zweiten, dritten oder gar vierten Reihe an?

Die Marvel-Filme machen auch etwas anderes deutlich: Der Film ist mittlerweile der größte Star, weniger der Schauspieler. Deshalb ist Spider-Man auch in seiner inzwischen dritten Inkarnation so erfolgreich und wollen die Zuschauer Chris Hemsworth zwar als Thor sehen, ignorieren aber Filme wie Bad Times at the El Royale oder Operation: 12 Strong.

Wenn Hollywood also Europa ignoriert, bedeutet das für hiesige Produzenten eine große Chance, und wenn man sich die lokalen Produktionen anschaut, erkennt man, dass es seit einiger Zeit mehr Mut zum Genre und zur Vielfalt gibt. Das ist schön und muss unbedingt weiter ausgebaut werden, denn der deutsche Film hat nach wie vor ein Imageproblem. Gerade das jüngere Publikum kann sich mit den heimischen Produktionen nur selten identifizieren. Wie kann man es also davon überzeugen, dass der deutsche Film inzwischen besser ist als sein Ruf?

Ein Patentrezept für die Krise des Kinos habe ich leider auch nicht, aber wie ich schon in meinem Fazit zur Münchner Filmwoche geschrieben habe: Es wird höchste Zeit, sich zusammenzusetzen und die Dinge gemeinsam anzugehen, etwas zu wagen und auszuprobieren und nicht nur zu reden.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.