Die Chinesen sagen, dass die Seele beim Reisen langsamer ist als der Körper. Daraus resultiere das seltsame Gefühl, das sich einstellt, wenn man aus der Bahn oder dem Flugzeug steigt und sich für eine Weile orientierungslos und fremd im eigenen Körper fühlt. Drei Tage nach meinem Rückflug aus L.A. und einen Tag nach einer längeren Bahnreise fühle ich mich immer noch so. Meine Seele ist vermutlich gerade erst über den Azoren oder, wenn ich Glück habe, irgendwo in der Nähe von Frankfurt. Kombiniert mit dem Jetlag fühle ich mich also ziemlich schlapp und lustlos.
Davon will Mark G. leider nichts wissen. Ein neuer Beitrag für die Corner muss her. Zum Glück habe ich noch eine Kritik aus dem Urlaub auf Lager:
Liberace – zu viel des Guten ist wundervoll
Ein Freund (Scott Bakula) macht den jungen Scott (Matt Damon) mit dem berühmten Las Vegas-Pianisten Liberace (Michael Douglas) bekannt. Der heimlich schwule Entertainer macht sich an den naiven, leicht zu beeindruckenden Scott heran, verführt ihn und beginnt eine Liebesaffäre mit ihm. So exzentrisch Liberace ist, so einsam ist er auch, und in Scott sieht er den idealen Gefährten. Umgekehrt findet der junge Mann, der aus einer zerrütteten Familie stammt, in dem älteren Mann eine Vaterfigur. Einige Jahre lang geht das gut, doch dann wird Liberaces Verhalten immer bizarrer: Er bringt Scott sogar dazu, sein Gesicht umoperieren zu lassen, damit sie sich ähnlicher sehen, und verspricht ihm die Adoption, um ihn zu seinem Erben zu machen. Scott lässt sich alles gefallen, sogar als sein Liebhaber fremd geht, steht er weiterhin zu ihm, doch auch er wird älter, und irgendwann verliert Liberace das Interesse an ihm…
Hier und da finden sich noch Spuren von Liberace in Las Vegas, zum Beispiel einige alte Fotos im Riviera Hotel, wo er unter anderem aufgetreten ist. Das Museum, in dem seine prunkvollen Bühnenoutfits und andere Memorabilia ausgestellt waren, hat seine Pforten aber inzwischen geschlossen. Sein Lebensstil hat die Menschen seiner Zeit jedenfalls fasziniert, denn er hat den Begriffen Glamour und Extravaganz eine ganz neue Bedeutung gegeben…
Steven Soderbergh schildert die bizarre, aber auch anrührende Liebesgeschichte zweier einsamer Männer – der eine von seiner Familie verlassen, der andere ein Gefangener seines Ruhms und seines Images – mit dem Blick eines Voyeurs. Die Kamera schwelgt in opulenten Bildern von der vergoldeten Innenausstattung der Villa und den verrückten Kostümen des Vegas-Stars, liefert aber nur selten tiefere Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten. Dabei spielt Michael Douglas außerordentlich gut, mit dem genau richtigen Quäntchen Ironie, das notwendig ist, um seine Figur nicht der Lächerlichkeit preiszugeben.
Leider hält das Drehbuch nicht viele Szenen parat, in denen man den Charakteren näher kommt. Man fragt sich unwillkürlich die ganze Zeit, warum Scott sich das alles gefallen lässt, warum er sich so lange verbiegen lässt, bis er am Ende daran zerbricht. Eine Antwort gibt es leider nicht, vielleicht ist es Liebe, vielleicht Berechnung, denn das Leben an der Seite des Stars hält viele Annehmlichkeiten bereit. Stellenweise hat die Vereinnahmung durch Liberace etwas von einer Sekte, Gehirnwäsche inklusive, und hier hätte sich die Möglichkeit geboten, die Geschichte auf eine andere Ebene zu heben, aber das geschieht leider nicht. Es bleibt die nüchterne Sicht auf ein verrücktes Leben im Überfluss, in dem jeglicher Maßstab verloren gegangen ist.
Ein anderer Regisseur hätte vielleicht mehr aus dieser Amour fou herausgeholt, aber Soderbergh ist niemand, der sich für die Emotionen einer Geschichte interessiert oder sie wirklich adäquat inszenieren kann. So bleibt auch sein jüngster Film eine kalte, distanzierte Studie über zwei kranke Seelen. Schade, da wäre mehr drin gewesen…
Note: 4