Letzten Donnerstag war ich eingeladen, beim Münchener Forum der Filmwirtschaft über das Thema „Ist das Kino noch zu retten? – Gibt es noch Wege aus der Krise?“ zu referieren und war danach noch Teil der Podiumsdiskussion „Zukunft Kino“ zusammen mit Dr. Christian Bräuer (AG Kino-Gilde), Dorothee Erpenstein (FFF Bayern), Kim Ludolf Koch (Cineplex), Markus Zimmer (Bavaria Filmproduktion) und Moderator Prof. Dr. Klaus Schaefer. Hier nun die Rede, die ich gehalten habe:
I
Da ich davon ausgehe, dass nicht jeder der hier Anwesenden mich oder meine Webseite InsideKino kennt, möchte ich mich erst einmal vorstellen: Ich habe 17 Jahre lang selbst Kino in Augsburg gemacht und danach vor 17 Jahren InsideKino gegründet.
Zuvor hatte ich schon jahrelang mit einem Freund jede Woche gewettet, wer besser darin ist, Einspielergebnisse vorherzusagen. Diese Prognosen-Spiele sind auch eine der Säulen von InsideKino. Neben meinen Jahres-, Monats- und Wochen-Prognosen kann sich auch jeder Leser bei den Vorhersagen beteiligen und tatsächlich liegt die Treffergenauigkeit der „Schwarm-Prognose“ bei rund 75 Prozent. Meine eigenen Vorhersagen liegen im Schnitt ein paar Prozente darüber.
Da ich schon seit 3 ½ Jahrzehnten historische Besucherzahlen recherchiere, ist die zweite große Säule von InsideKino der Statistik-Bereich, der unter anderem die erfolgreichsten Filme in der Bundesrepublik seit 1963 umfasst. Dieser Bereich wird weiterhin ständig ausgebaut.
Die Leserschaft von InsideKino lässt sich ziemlich genau in zwei gleich große Gruppen einteilen. Da sind zum einen Filmfans, die ebenfalls statistikaffin sind, zum anderem sind es Kollegen aus der Film- und Kinobranche, für die InsideKino zur täglichen Lektüre gehört.
Obwohl eine Nischenseite, hat sich InsideKino im Laufe der Zeit zur Box Office-Autorität in Deutschland entwickelt und mitgeholfen, manche Missstände in unserer Branche zu bereinigen. So gab es früher kaum Richtlinien, wie die Kino-Charts auszusehen haben: Manche Verleiher meldeten z.B. die Anzahl der Spielstätten, andere die Anzahl der Kopien. Auch der Begriff des Wochenendes wurde sehr großzügig ausgelegt – manchmal war es sogar acht Tage lang.
Des Weiteren habe ich immer wieder darauf hingewiesen, wenn Blockbuster im Startplan zu nah aneinander lagen und die Gefahr bestand, dass sie sich gegenseitig kannibalisieren. Das eine oder andere Mal konnte tatsächlich eine Entzerrung herbeigeführt werden, wahrscheinlich auch deswegen, da manche Kinoketten dann meine Vorschläge aufgegriffen und ebenfalls auf die Verleiher eingewirkt haben.
Ein Teil meiner Arbeit spielt sich aber im Hintergrund ab und wird nie veröffentlicht. Viele Filmverleiher und Produzenten fragen mich um Rat, um den perfekten Starttermin für ihren Film zu finden oder ob sich ein Kinoeinsatz überhaupt rentiert, während manche Kinomacher an meinen Vorhersagen zu bestimmten Filmen interessiert sind.
Gelegentlich erreichen mich aber auch kuriose Anliegen: So beschwerte sich einmal ein Regisseur bei mir, dass es bei InsideKino keine eigene Starpower-Seite von ihm gibt. Ein anderes Mal rief mich ein Produzent an und fragte mich, ob ich bei der Prognose seines Films nicht eine Null vergessen hätte – ich hoffe, er ist heute nicht anwesend…
II
Nachdem Sie mich und InsideKino nun etwas näher kennengelernt haben, will ich jetzt zum eigentlichen Thema kommen: Die Kinobranche in Deutschland steckt in einer tiefen Krise.
In den 90er Jahren begann das Zeitalter der Multiplexe, die Ära der Schuhschachtelkinos war tot und Kino wurde wieder zum Erlebnis. Der Multiplex-Boom der 90er Jahre führte zu einer Renaissance der Branche, die im modernen Rekordjahr 2001 gipfelte, als die deutschen Kinos fast 178 Mio. Besucher zählten. Die Branche war so „besoffen“ von den jährlichen Zuwachsraten, dass nun 200 Mio. Besucher als Ziel ausgerufen wurden – ein Wert, der zuletzt 1967 erreicht wurde.
Doch das Gegenteil trat ein – seit 2002 sind die Zahlen rückläufig und 2017 wurden nur noch 122 Mio. Besucher gezählt. Und das aktuelle Jahr 2018 ist eine einzige Katastrophe. Die FFA zählte im I. Halbjahr einen weiteren Rückgang um 15 % zum Vorjahr und leider sieht es nicht danach aus, als ob sich im II. Halbjahr daran noch etwas wesentlich ändert. Statt auf die 200 Mio. Besucher-Marke zuzusteuern, kämpfen wir dieses Jahr darum, über der 100 Mio. Besucher-Marke zu bleiben.
Solch niedrige Werte wurden zuletzt kurz nach der Wiedervereinigung 1990 und 1992 erreicht – allerdings mit dem gigantischen Unterschied, dass es damals rund tausend Kinosäle weniger gab.
Wir reden hier also von einem Rückgang der Besucherzahlen um 42 % seit dem Jahr 2001. Diese Zahl klingt noch viel dramatischer, wenn man sie auf die Woche herunterrechnet. Strömten 2001 durchschnittlich 3,4 Mio. Besucher pro Woche ins Kino, sind es dieses Jahr wohl nur noch durchschnittlich 2,0 Mio. Besucher – ein Schwund von 1,4 Mio. Besuchern – Woche für Woche…
So mancher mittelständische Kinobesitzer vertraute mir an, dass er nicht wisse, wie lange er mit solchen Rückgängen noch weitermachen könne oder wolle. Wenn wir den Abwärtstrend nicht stoppen, könnte bald wieder ein Kinosterben drohen.
Natürlich ist die Kinobranche ein Wirtschaftszweig, der in einem starken Maß von äußeren Einflüssen abhängig ist – ich nenne da nur mal das Wetter oder Fußball-Großereignisse. Nur Eisdielen, Freibäder und Biergärten sind wohl ähnlich stark betroffen. Selbstverständlich spielt auch das Filmangebot eine wichtige Rolle, aber der langjährige Negativtrend ist zu eindeutig, um ihn als Anomalie abtun zu können.
Auch in der Vergangenheit gab es Phasen des Niedergangs, am gravierendsten wohl die, die Ende der 50er Jahre einsetzte, als der Fernseher die Wohnzimmer eroberte und die Besucherzahlen innerhalb von zwanzig Jahren von 817 Mio. (1956) auf 115 Mio. (1976) sanken. In den 80er Jahren gab es Rückgänge im Rahmen des Videobooms und die aktuelle Krise kann man vielleicht unter dem Oberbegriff des „Digitalbooms“ fassen.
Sie begann damit, dass unsere Jugend immer weniger Geld fürs Kino und immer mehr Geld fürs Handy ausgab, und wurde zunächst durch die Piraterie und heute durch legale Streamingdienste verschärft. Wir leben heute in einer digitalen Welt, in der ein Netflix-Abo ab €3,50 pro Monat zu haben ist und ein einzelner Kinobesuch im Schnitt 2 ½ mal so viel kostet.
Zu Zeiten unserer Großeltern musste das Kino nur mit dem Radio sowie den Theaterbühnen und Tanzsälen wetteifern, doch im Laufe der Jahre erwuchs ihm immer mehr Konkurrenz: Fernsehen, DVD, Computerspiele, das Internet mit unzähligen Podcasts, YouTube-Kanälen und sozialen Plattformen sowie die Streamingdienste buhlen um die kostbare Freizeit der Jugend. Das Kino ist heute nur noch eine von zahlreichen Möglichkeiten der Zerstreuung.
Und so befinden wir uns in der paradoxen Situation, dass unsere Kinos nie moderner, bequemer und schöner waren als heute, aber auch nie leerer.
III
Dennoch gibt es einige Leute in unserer Branche, die den Besucherschwund nicht als gravierend betrachten, schließlich sind ja die Umsätze einigermaßen stabil – aber das ist natürlich viel zu kurz gedacht. Kinos leben von Besuchern und am besten von solchen, die einen Zwischenstopp an der Süßwarentheke einlegen. Ich sage dazu immer: Umsätze kaufen kein Popcorn.
Ist diese Krise des Kinos ein eher deutsches Phänomen? Bei unseren Nachbarn in Frankreich und Polen gibt es ähnliches Wetter wie bei uns, dort gibt es ebenfalls Fußballweltmeisterschaften, Handys und Streamingdienste. Aber Polen steuert auf ein Rekordjahr zu und in Frankreich sind die Besucherzahlen von 2001 bis 2017 um 23 Mio. von 186 Mio. auf 209 Mio. gestiegen, während sie bei uns im gleichen Zeitraum um fast 56 Mio. gefallen sind. Auch in den USA liegt das Box Office dieses Jahr zweistellig im Plus.
Und noch ein kleiner Rückblick auf die Fußball-WM: Am Wochenende, als Frankreich im Viertelfinale stand, zählten die Top Ten dort knapp 2,7 Mio. Besucher. Zur gleichen Zeit waren die deutschen Fußballer längst im Urlaub und trotzdem hatten die deutschen Top Ten gerade einmal 542.242 Besucher.
Was macht die Deutschen also zu Kino-Muffeln? Ich glaube nicht, dass es an mangelnder Qualität der Kinos liegt – die meisten Kinos sind bequem und technisch auf dem neuesten Stand. Sicherlich muss sich jeder Besitzer überlegen, ob er an der einen oder anderen Stelle noch etwas verbessern kann. Sei es weniger Werbung (gerade in der Vorweihnachtszeit ist der Werbeblock nach wie vor erschreckend lang) oder bessere Programmierung, freundlicheres Personal oder die eine oder andere optische Verbesserung. Aber das sind eher kosmetische Korrekturen, die nicht entscheidend sind, die Besucherzahlen maßgeblich nach oben zu befördern.
Denn meiner Meinung nach hat die Kinobranche ein gewaltiges Image-Problem.
IV
Welches Image-Problem? werden Sie fragen und ich will gleich zum Punkt kommen. Die allermeisten Kinogänger und Nicht-Kinogänger empfinden Kino als zu teuer.
Wann immer ich mit Freunden, Familienmitgliedern oder Fremden spreche, die nicht in der Branche arbeiten, dreht es sich in den Gesprächen weniger um die Qualität der Filme oder die Ausstattung der Säle, sondern nur noch um Eines: Wie schrecklich teuer Kino doch geworden ist.
Und die Statistik gibt ihnen Recht: Während die allgemeine Inflation von 2009 bis 2017 10,65 % betrug, stiegen die durchschnittlichen Eintrittspreise in den Kinos um 29,4 % – also fast dreimal stärker.
1998 war Titanic der erfolgreichste Film des Jahres, und mit seiner 3-Stunden-14-Minuten-Laufzeit verlangten viele Kinos Überlängenzuschlag. Trotzdem kostete das durchschnittliche Titanic-Ticket mit €6,55 nur etwa einen Euro mehr als der damalige allgemeine durchschnittliche Ticketpreis von €5,50.
Letztes Jahr war Star Wars – Die letzten Jedi einer der größten Hits und das durchschnittliche Ticket kostete €11,77 – mehr als drei Euro mehr als der allgemeine durchschnittliche Ticketpreis von €8,63.
Welche Folgen hat das stete Drehen an der Preisschraube? Seit Jahren beobachten wir, dass die sogenannte Mittelware ständig schrumpft. Filme, die früher 2 Mio. Besucher gemacht haben, erzielen heute nur noch 1 Mio. Besucher, was früher 1 Mio. Besucher gemacht hat, muss sich heute nur noch mit ½ Mio. Besuchern zufriedengeben.
Der Kunde überlegt sich heute zweimal, ob er einen Film tatsächlich auf der großen Leinwand sehen will. Mittelware wird bei diesen Preisen daher immer öfter zu „da-warte-ich-auf-Netflix-Ware“ und man ist nur noch bei den großen Must-See-Blockbustern bereit, das Eintrittsgeld zu zahlen.
Leider haben viele Kinos die Angewohnheit, gerade bei den großen Must-See-Blockbustern noch einmal an der Preisschraube zu drehen (Stichwort: Filmzuschlag). Dies bedeutet, dass der Gelegenheits-Kinogänger, der durchschnittlich ohnehin nur 1 ½ mal im Jahr ins Kino geht, in seinem Eindruck, dass die Tickets viel zu teuer sind, ein weiteres Mal bestätigt wird – ein Teufelskreislauf…
Aber auch die Besucherzahlen der großen Blockbuster schrumpfen, denn bei diesen Preisen wird die Gattung der „Wiederholungstäter“ zur bedrohten Art. Bei Preisen von bis zu €18 sieht man sich seinen Lieblingsfilm nur noch einmal auf der großen Leinwand an und kauft sich dann für €10 die DVD – vorbei sind die Zeiten, in denen Fans ihre Lieblingsfilme fünf- bis fünfzigmal im Kino sahen.
Nachdem ich die letzten Minuten nur Doom & Gloom verbreitet habe, möchte ich nun Wege aus der Krise skizzieren, die sowohl die Kino- als auch die Filmbranche gehen können.
V
Beginnen möchte ich mit der Kinobranche. Viele Kinos haben das Image-Problem erkannt und experimentieren nun mit günstigeren Eintrittspreisen und Sonderangeboten. Dies ist zwar löblich, wird aber am allgemeinen Image nicht viel ändern. Da jedes Kino und jede Kette eigene Wege geht, gibt es inzwischen einen wahren Eintrittspreis-Dschungel. Deswegen ist es höchste Zeit, die Wiedereinführung eines allgemein gültigen Kinotags anzugehen.
Als dieser in den 80er Jahren geschaffen wurde, wurde dies mit einer großen Werbekampagne begleitet und jeder – ob jung oder alt – wusste, dass Montag Kinotag war – selbst meine Großmutter wusste, dass das der Tag war, an dem es Prozente gab.
Ein neuerlicher landesweiter Kinotag (z.B. am Dienstag), der natürlich von einer entsprechenden Kampagne begleitet werden müsste, würde sehr zu einem besseren Image beitragen und die Besucher hätten einen Tag, an dem sie Mittelware oder einen Lieblingsfilm ein zweites Mal sehen könnten.
Tatsächlich ist es so, dass halbe Preise auch zu mehr Umsatz führen. In den USA haben viele Kinos am Dienstag die Eintrittspreise um 50 % gesenkt und trotzdem 80 % mehr Umsatz als am Montag, Mittwoch oder Donnerstag.
Hier sind natürlich die Verbände gefragt, dies endlich anzupacken.
Ein weiteres Image-förderndes Mittel ist das Kinofest. Viele unserer Nachbarländer haben es. Eine Liebeserklärung an das Kino mit Eintrittspreisen von wenigen Euros, die in Frankreich oder Spanien von Millionen Menschen angenommen wird. Wir hatten es in Deutschland 2002 das erste Mal und auch hier gab es ebenfalls Millionen Besucher. 2003 gab es eine zweite Edition mit weniger Besuchern aufgrund der damaligen Hitzewelle (Stichwort: Jahrhundertsommer) und danach wurde das Kinofest, das unter dem Motto „3 Tage, 3 Euro“ stand, wieder eingestellt.
Vor knapp sieben Jahren forderte ich schon einmal, unser eigenes Fête du Cinéma wieder einzuführen und machte Vorschläge, es noch attraktiver zu gestalten. Die Filmverleiher könnten z.B. exklusive Previews bereitstellen und zudem schlug ich vor, dass die Kreativen der Filmbranche eine Patenschaft für die Kinos in Deutschland übernehmen. Das könnte dann so aussehen, dass Til Schweiger, Wim Wenders, Detlev Buck, Elyas M’Barek und alle anderen „ihr“ Patenkino besuchen, um dort ihren Lieblingsfilm zu präsentieren und mit dem Publikum zu diskutieren. Die Möglichkeiten für ein großartiges Kinofest sind endlos, aber die Verbände müssen aktiv werden.
Denn eine Branche, die sich nicht selbst feiert, hat auch nichts zu feiern.
Ein weiteres Problem ist die Programmierung. Da müssen die Kinos eindeutig wieder smarter werden und mehr Sorgfalt beim Filmeinkauf walten lassen. Nur weil die Verleiher jetzt ein paar hundert Filme mehr pro Jahr starten als früher, bedeutet das noch lange nicht, dass ein Kino sie auch alle spielen muss. Und was macht es für einen Sinn, vorhersehbare Flops zu starten, wenn dafür gleichzeitig ein gut laufender Film abgewürgt werden muss?
Auch innerhalb eines Kinocenters lässt die Vielfalt oft zu wünschen übrig. In meinem Heimatort Augsburg gibt es zwei Multiplexe mit je neun Leinwänden. In der Vergangenheit ist es oft vorgekommen, dass am Nachmittag kein einziger Film für Erwachsene lief, weil alle 18 Säle mit Kinderfilmen belegt waren. Dabei gibt es sehr viele Erwachsene, die einfach abends nicht mehr ins Kino wollen und gerne wieder zu Hause sind, bevor es dunkel wird. Diese Klientel wird aktiv daran gehindert, Filme auf der großen Leinwand zu sehen.
Wenn alle Kinos einer Stadt alle Filme spielen, kann es schnell passieren, dass einer davon an allen Spielstätten so schwache Zahlen schreibt, dass er überall abgesetzt wird. Hier sollte man sich überlegen, ob nicht wie früher Filme (vor allem Mittelware und darunter) im Einverständnis mit den Kollegen vor Ort untereinander aufgeteilt werden, um eine bessere Auslastung zu erreichen.
Das nächste Problem sehe ich beim Trailering im Vorprogramm. Wenn ich mir einen Horror- oder Actionfilm ansehe, werden überwiegend Trailer für weitere Produktionen dieser Genres gezeigt. In den letzten drei Jahren habe ich lediglich ein einziges Mal einen Trailer zu einem Animationsfilm im Abendprogramm gesehen – die laufen inzwischen nahezu ausschließlich bei anderen Animations- oder Familienfilmen am Nachmittag. Und dann wundert man sich, dass die meisten Animationsfilme abends kaum noch Besucher haben, obwohl sie früher auch in dieser Schiene Blockbuster-Zahlen schreiben konnten. Auch beim Trailering ist Vielfalt und Abwechslung angesagt, damit das Publikum nicht meint, dass im Kino sowieso immer nur das gleiche läuft…
VI
Aber das Kino hat viele Partner und auch die können ihren Beitrag leisten:
Wie können die Filmverleiher den Kinos helfen? Letztes Jahr haben sie 587 Filme auf den deutschen Leinwänden platziert, und seien wir doch mal ehrlich – da sind ein paar hundert Filme dabei, derer es nicht gebraucht hätte. Hier müssen die Verleiher wieder strenger selektieren, da sowohl die Kinos als auch die Zuschauer mit dieser Schwemme überfordert sind. Zudem würde dies zum Image der Kinos beitragen, wenn es weniger Flops und weniger Stinker zu sehen gäbe…
Ansonsten sollten sich die Verleiher und deren Verband natürlich auch für einen Kinotag und ein Kinofest sowie andere Maßnahmen einsetzen, die der Branche insgesamt helfen.
Wie können die deutschen Filmproduzenten den Kinos helfen? Tatsächlich ist es so, dass die Produzenten einen gewaltigen Beitrag zur Gesundung der Branche leisten können. Starke Kinojahre hatten fast immer auch einen hohen deutschen Marktanteil, schwache Kinojahre meistens einen geringen deutschen Marktanteil.
Vor ein paar Minuten führte ich die guten Zahlen in Frankreich und Polen an. In Frankreich gab es dieses Jahr schon vier einheimische Blockbuster mit zusammen bald 20 Mio. Besuchern – das waren drei Komödien und eine Actionkomödie. In Polen gab es dieses Jahr schon sieben einheimische Besucher-Millionäre (im doppelt so großen Deutschland waren es bislang nur vier), mit einem sehr gesunden Genre-Mix: Drei romantische Komödien, zwei Krimis mit Humor, ein Kriegsfilm und der eher dramatische Überblockbuster Kler mit seinen mehr als fünf Millionen Besuchern, der dem Trailer nach ein wenig als Komödie verkauft wurde.
Wenn ich mir diesen polnischen Genre-Mix so ansehe, wünsche ich mir dies auch für Deutschland. Ich habe schon öfters die Monotonie der deutschen Produktionen kritisiert, deswegen war ich hoch erfreut, dass sich dieses Jahr der deutsche Film so vielseitig wie schon lange nicht mehr präsentierte. Und was machen die Verleiher? Sie starteten alle deutschen Umsatz-Hoffnungen wie Ballon, Klassentreffen, 25 km/h, Das schönste Mädchen der Welt, Werk ohne Autor und noch ein paar mehr innerhalb eines 2 Monate-Fensters, damit sie sich gegenseitig um Leinwände und Besucher Konkurrenz machen. Hier wären Hunderttausende Besucher mehr bei einer besseren Verteilung möglich gewesen.
Aber mir ist noch ein anderer Punkt wichtig:
Wir müssen realistisch sein: Hollywood hat Europa aufgegeben. Europa ist zwar immer noch ein riesiger Markt für die Hollywood-Studios, aber die großen Wachstumsraten verbuchen Asien und Lateinamerika. Deswegen produziert Hollywood immer mehr Filme, die auf ein junges asiatisches Publikum zugeschnitten sind, und immer weniger Filme, die in Europa auf großes Interesse stoßen.
Das heutige Hollywood produziert in der Regel keine Filme mehr wie Tootsie, Jenseits von Afrika, Pretty Woman, Bodyguard oder Forrest Gump, die allesamt Blockbuster oder Überblockbuster waren. Stattdessen gibt es superteure Big Budget Tentpole-Produktionen in Serie. Viele davon floppen in Europa, werden dann aber durch das chinesische Einspielergebnis gerettet. Nur mal ein Beispiel: Die $120 Mio.-Produktion Rampage spielte in Deutschland keine $4 Mio. ein, in China aber $156 Mio. – mehr als in den USA, wo $100 Mio. erzielt wurden.
Die Zuwendung Hollywoods hin zu asiatischen jungen Männern führt im Endeffekt dazu, dass die Major Studios kaum noch Filme für Frauen und kaum noch Komödien produzieren. Dabei gibt es zwei Genres, die auf der großen Leinwand am besten aufgehoben sind: Zum einen sind das große Spektakel und zum zweiten Komödien. Jede Komödie wird in einem vollen Kino einfach besser – Lachen steckt an und dieses Erlebnis kann einsam vor dem Fernseher nicht repliziert werden.
Wenn Hollywood also kaum noch Filme für Frauen und Komödien mehr produziert, ist das die Chance für deutsche und europäische Produzenten, diese Lücke zu füllen. Leider fehlt uns ein Produzent wie Bernd Eichinger sehr, der es geschafft hat, sowohl große Spektakel als auch tolle Komödien zu produzieren.
Aber wenn ich mir den deutschen Produktionsspiegel so ansehe, dann fühlt es sich an, als ob die Hälfte aller Filme für Besucher unter 14 Jahren hergestellt werden würden (obwohl die Besucherzahlen der Kinder- und Jugendfilme stetig schrumpfen), einzig ein paar unserer Stars versuchen sich immer wieder mal an Komödien, die dann auch oft an den Kassen funktionieren. Ansonsten wird meist nur produziert, was schon mal in einem anderen Medium funktioniert hat.
Natürlich kann nicht jede Komödie an den Kinokassen erfolgreich sein, aber wir müssen den Comedy-Output in Deutschland kräftig erhöhen. Lachen ist universell und tatsächlich auch gut zu verkaufen. Die Fack Ju Göhte-Trilogie war übrigens auch in Tschechien, der Slowakei und Ungarn sehr erfolgreich.
Bitte nicht falsch verstehen: Wir brauchen nun nicht Komödien im Wochentakt, sondern einen gesunden Genre-Mix sowie Filme, die ein weibliches Publikum ansprechen, das ja von Hollywood weitgehend ignoriert wird. Aber ohne Komödien werden wir es nie schaffen, wieder höhere Besucherzahlen zu generieren. Bester Beweis: Unter den zehn erfolgreichsten deutschen Filmen seit der Wiedervereinigung befinden sich acht Komödien und zwei Dramödien.
Und so möchte ich zum Abschluss Bill Clintons Wahlkampfmotto von 1992 etwas umformulieren: It’s the comedy, stupid!