Bohemian Rhapsody

Ich war nie ein richtiger Fan von Queen. Wenn man in den Achtzigern aufgewachsen ist, war ihre Musik dennoch unvermeidlich, und so kann ich, wie vermutlich fast jeder, der damals Radio gehört hat, etliche Songs mitsingen. Na ja, zumindest die Refrains, was bei We Will Rock You oder We Are The Champions aber auch denkbar einfach ist. Bohemian Rhapsody ist dagegen eine ganz andere Nummer und in seiner Rätselhaftigkeit die perfekte Wahl, um dem Bio-Pic über Freddie Mercury den Titel zu geben.

Bohemian Rhapsody

1970 arbeitet Farrokh Bulsara (Rami Malek) auf einem Flughafen und träumt von der großen, weiten Welt. Nebenbei studiert er Design und kultiviert einen schillernden, extravaganten Stil, der ihn von den anderen unterscheidet, und zudem komponiert Songs. Er lernt Brian May (Gwilym Lee) und Roger Taylor (Ben Hardy) kennen, die gerade ihren Leadsänger verloren haben, und gründet mit ihnen eine neue Band: Queen. Nach einem Jahr sind sie schon recht bekannt und beliebt, dann kommt der große Durchbruch mit einem Plattenvertrag. Und aus Farrokh Bulsara wird Freddie Mercury, der damit seine lästige Herkunft abstreift und seinem strengen Elternhaus den Rücken kehrt. In der Verkäuferin Mary Austin (Lucy Boynton) findet er seine große Liebe, entdeckt aber nach und nach, dass er sich auch zu Männern hingezogen fühlt. Sein ausschweifendes, von Drogen und Sex bestimmtes Leben, erregt bald die Aufmerksamkeit der Medien – und fordert einen hohen Preis …

Die erzählerische Klammer des Films ist der legendäre Auftritt von Queen auf dem Live Aid-Konzert im Wembley-Stadion 1985, der etwas verkürzt am Ende zum fulminanten musikalischen Höhepunkt des Films wird und Freddie Mercury zur Legende überhöht. Rami Maleks kraftvolle, leidenschaftliche Performance und die Musik von Queen sind die perfekte Kombination, um beim Zuschauer Begeisterung zu wecken. Was für ein Entertainer! Aber natürlich gibt es hinter diesem öffentlichen Bild von Mercury, das wir alle kennen, ein privates, und das will uns der Film zwischen diesen Szenen vermitteln.

Geschichten über große Künstler sind immer dann am mitreißendsten und bewegendsten, wenn sie von ihrem Aufstieg handeln, von der Geburt eines neuen Stars am Himmel des Ruhms. Die Verwandlung von Farrokh Bulsara in Freddie Mercury ist da keine Ausnahme. Wir sehen, wie er grübelnd neue Songs kreiert, wie er seine Bandmitglieder kennenlernt und sich in die schöne Mary verliebt. Bohemian Rhapsody ist das Schlüsselwerk von Queen, entstanden nach ihren ersten, weltweiten Erfolgen und einer ausdauernden USA-Tournee, als von Ray Foster (Mike Myers), dem Chef der Plattenfirma, eine mehr oder weniger genau Kopie ihres Hitalbums erwartet wurde, und die Musiker ihm dann eine Rock-Oper präsentierten. Nach einem – ziemlich witzigen – Streit geben beide Parteien getrennte Wege, der Queen zu unglaublichen Erfolgen führt – obwohl Bohemian Rhapsody zunächst von der Kritik zerrissen wurde.

Aber wie so häufig kommen mit dem Ruhm auch die Probleme – ein Klischee, das wie alle Klischees sehr viel Wahrheit enthält. Während seine Freunde Familien gründen und anscheinend auf dem Teppich bleiben – May und Taylor sind nicht nur prägnante Nebenfiguren in dieser Geschichte, sondern auch Berater der Produktion – führt Mercury ein Leben auf der Überholspur. Und genau hier setzen auch die Probleme des Films ein.

Obwohl Rami Malek eine unglaublich intensive und leidenschaftliche Interpretation Mercurys abliefert, bleibt einem die Figur weitgehend fremd. Seine Drogenexzesse und sexuellen Abenteuer werden nahezu komplett ausgespart, dabei machen sie einen wichtigen Teil des Charakters aus, es ist so, als würde man einen Film über einen Alkoholiker sehen, der zwar gelegentlich verkatert durchs Bild läuft, aber so gut wie nie einen Drink in der Hand hält. Einmal folgen wir Mercury in einen Schwulenclub, den er durchschreitet wie den Backstage-Bereich einer Bühne vor einem Auftritt, ein anderes Mal sieht man Reste von Kokain auf einem Glastisch. Auf diese Weise bleiben die Abgründe der Figur weitgehend behauptet und sie einem fremd.

Als Zuschauer kann man nur vermuten, was Mercury umgetrieben hat, man hat sein Elternhaus kennengelernt, ein einziges Mal erlebt, wie die Presse ihm zugesetzt hat, und kann daher annehmen, dass er gewaltige Probleme hatte, mit seiner Bi- oder Homosexualität umzugehen. Schablonenhaft erzählt wird auch seine Beziehung zu Paul Prenter (Allen Leech), der von Mercury besessen gewesen zu sein scheint, aber sexuell zurückgewiesen wird, dann seinen Manager (Aiden Gillen) mit einer Intrige beseitigt und seinen Platz einnimmt. Besitzergreifend schottet er Mercury von seinen Freunden ab, um ihn ganz für sich zu haben. Eine spannende, abgründige Geschichte, die aber nur an der Oberfläche kratzt und rätselhaft bleibt. Was soll man letztendlich davon halten? Wer Einblicke in die Psyche eines der faszinierendsten Künstler unserer Zeit oder ein packendes Bio-Pic erwartet, wird am Ende vermutlich enttäuscht sein. Vielleicht waren May und Taylor zu sehr darauf bedacht, der Öffentlichkeit nicht zu viel vom wahren Freddie Mercury preiszugeben, vielleicht lag es auch an den schwierigen Produktionsbedingungen und dem Rauswurf von Regisseur Bryan Singer, dass der Film nicht besser geworden ist.

Was bleibt, und das ist ein ziemlich großer und großartig inszenierter Rest, ist die Musik von Queen. Auch wenn man kein großer Fan ist, kann man sich ihrem Sog nicht entziehen. So sind gerade die letzten Minuten, die von dem Wembley-Auftritt handeln, die stärksten und hinterlassen insgesamt ein doch recht positives Bild.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.