Es gibt einen alten Witz zum Thema Mondlandung: Die Amerikaner nähern sich der Oberfläche des Mondes und funken an die Erde: „Houston, die Russen waren vor uns hier – und haben den Mond rot angemalt!“ – Die NASA funkt zurück: „Kein Problem, schreibt einfach ‘Coca Cola’ drauf!“
Auch Witze sind Kinder ihrer Zeit, und dieser fasst perfekt den Wettlauf zwischen West und Ost, Kapitalismus und Kommunismus zusammen. Letzteren gibt es nicht mehr, die Rivalitäten sind heute andere, weshalb uns ein Film über die Zeit vor 50 Jahren vorkommt wie dunkle Vergangenheit.
Aufbruch zum Mond
Kurze Zeit, nachdem seine zweijährige Tochter an einem Gehirntumor gestorben ist, bewirbt sich Neil Armstrong (Ryan Gosling) für das Mondlandungsprogramm der NASA. Die Anforderungen sind hoch, die Vorbereitungen verlangen das Letzte von den Männern ab, und nicht wenige sterben bei Testflügen. Im Kongress und in der Öffentlichkeit zweifelt man bereits, ob die Milliarden Steuergelder nicht für Sinnvolleres ausgegeben werden sollten. Doch es stellen sich auch erste Erfolge ein, und schließlich gelingt das Unglaubliche: Am 20. Juli 1969 betritt Armstrong als erster Mensch den Mond.
Dass Damien Chazelle sich nach Whiplash und La La Land ausgerechnet dieses Themas annehmen würde, ist etwas überraschend, noch dazu, wenn man sich den Film anschaut und sieht, wie stark er sich auf die technische Seite des Mondfahrtprogramms konzentriert. Die Kamera ist stets ganz nah dabei, sie hält groß auf Armstrongs Gesicht, gleitet knapp über das Instrumentenboard, zeigt, wie Schalter umgelegt, Schläuche gelöst oder angeschlossen werden, sie kriecht sogar mit den Astronauten in die klaustrophobische Enge der Blechkapseln, in denen diese in den Weltraum geschossen werden. Beim Start sind wir meistens nah bei ihnen, hören das beunruhigende Ächzen und Stöhnen des Metalls, den Lärm der Triebwerke, fühlen geradezu, wie Armstrongs Körper an die Grenzen seiner Leistungskraft getrieben wird – es ist beinahe so, als wäre man selbst an Bord.
Erst spät, wenn Apollo 11 tatsächlich zum Mond fliegt, erleben wir den Start auch aus der Distanz, sehen den Feuerschweif, auf dem die Rakete in den Himmel steigt, ansonsten setzt Chazelle stets auf die unmittelbare Erfahrung. Und genau deshalb ist sein Film, der uns so viel über Technik, Verfahren und Manöver erzählt, trotz all seiner spröden Details packend vom Anfang bis zum Ende.
Darüber hinaus gibt es auch eine emotionale Seite, auch wenn diese verhaltener erzählt wird und das Selbstbild der Generation Armstrongs widerspiegelt. Als dieser seine Tochter an den Krebs verliert, zieht er sich zum Weinen in sein Arbeitszimmer zurück. Ein echter Mann weinte damals eben nicht. Seine Frau Janet (Claire Foy) macht sich deshalb Sorgen, auch weil das Verhältnis zu seinen beiden anderen Kindern unter seiner emotionalen und realen Abwesenheit leidet. Janets Rolle besteht vor allem darin, zu warten und zu hoffen, dass sie nicht wie so viele andere als Witwe endet, und Claire Foy verkörpert sie mit derselben eisernen Disziplin, die sie auch als Elizabeth II. an den Tag legt. Es bleibt dennoch eine undankbare Rolle.
Es ist – und das wird ihm vielfach vorgeworfen – eben ein Film über weiße Männer, die etwas Heroisches vollbringen. Wagemut, Tapferkeit und auch Opferbereitschaft charakterisieren sie und nötigen dem Zuschauer einigen Respekt ab. Kein Wunder, dass viele Rechte ihn mittlerweile in den Himmel loben, nachdem sie zuerst kritisiert hatten, dass der patriotischste Moment, das Hissen der US-Flagge auf dem Mond, nicht gezeigt wird (obwohl man sie zumindest einmal im Hintergrund sieht). Aber das erzählt in erster Linie etwas über die Kritiker, nicht über den Film.
Was man Chazelle und seinem Drehbuchautor Josh Singer durchaus ankreiden kann, ist das weitgehende Ausblenden der ethnischen Minderheiten, die für die NASA gearbeitet haben und von denen man spätestens seit Hidden Figures weiß, wie essentiell ihr Beitrag war. Abgesehen von ein, zwei Ausnahmen sieht man nicht ein einziges nicht-weißes Gesicht im Hintergrund, geschweige denn dass ihre Bemühungen erwähnt werden. Man kann natürlich argumentieren, dass es in dieser Geschichte um Armstrong und auch ein wenig um seine Kollegen geht (hervorragend gespielt von Jason Clarke, Corey Stoll und anderen), um die Strapazen, die sie auf sich genommen haben. Genauso gut kann man aber auch sagen, dass es in Aufbruch zum Mond um den Triumph menschlichen Erfindungsgeistes geht, und wenn man bedenkt, dass die Amerikaner auf dem Mond landeten, nachdem sich erst sechzig Jahre zuvor der erste Mensch überhaupt in die Lüfte erhoben hat, ist das eine beeindruckende Leistung – an der eben nicht nur die Astronauten beteiligt waren.
Ryan Gosling erwähnte in einem Interview, dass er Chazelle auf den Protestsong Whitey On The Moon hingewiesen hat, der damals das sündhaft teure Weltraumprogramm kritisierte, das Milliarden verschlang, während die Farbigen in den USA unter systematischer Diskriminierung und sozialer Benachteiligung leiden mussten. Chazelle trägt dem Rechnung, indem er das Lied anspielt und einige der Proteste auf den Straßen zeigt. Auch ein Kongressabgeordneter darf sich kritisch zur Finanzierung äußern, wenngleich seine Meinung nichts mit den Protesten auf der Straße zu tun hat, und einmal wird angedeutet, dass das gesamte Programm um ein Haar eingestampft worden wäre. So ganz unkritisch und hurrapatriotisch gehen die Macher also nicht an die Materie heran.
Der Originaltitel First Man deutet den Wettbewerb an, mit Armstrongs Mondlandung haben die Amerikaner die Russen auf der Zielgeraden überholt und den ultimativen Sieg im Weltraum errungen. Der Westen, der Kapitalismus hat gesiegt, lautet die Botschaft, weil er die Mittel, den Willen und die Opferbereitschaft hatte, aber es ist auch ein teuer erkaufter Sieg. Gleichzeitig hört man in den Medien vom Vietnamkrieg. Auch hier werden Dramen über Heldenmut und Opferbereitschaft geschrieben, aber unter völlig anderen Vorzeichen, und auch er ist ein Resultat des Kalten Krieges. Letzten Endes konnten sich die USA nicht beides leisten, das Raumfahrtprogramm und den Vietnamkrieg.
Aus heutiger Sicht denkt man als Zuschauer: Wenn es doch nur mehr Einigkeit unter den Menschen gäbe, wenn sie sich weniger auf die Hautfarbe, das Geschlecht oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Weltanschauung konzentrieren würden, sondern auf die gegenwärtigen Herausforderungen oder auch auf die Visionen einer kühnen Zukunft, dann könnten sie, Heldenmut und Opferbereitschaft vorausgesetzt, nahezu alles schaffen. Vielleicht ist das die optimistische Botschaft, die der Film für uns hat, auch wenn uns, den Kindern einer anderen Zeit, vor allem das sauer aufstößt, was er nicht erzählt. Neil Armstrong weist im Film selbst auf die Problematik hin: Manchmal braucht man eine andere Perspektive, um ein Problem lösen zu können, und wenn es der Blick vom Mond auf die Erde ist.
Note: 2-