Dark

Beginnt in Deutschland gerade das goldene Zeitalter des Fernsehens? Seit gut einem Jahr werden auch hierzulande Serien produziert, die es früher so nicht gegeben hätte: Babylon Berlin, 4 Blocks oder Dark, um einmal drei zu nennen. Und gerade starten aufwändige Serien wie Das Parfüm oder Das Boot fast im Wochentakt. Aber ich glaube, es wäre zu früh, über ein goldenes Zeitalter zu schwadronieren, denn erstens hat es bereits früher gute und auch ungewöhnliche Serien im deutschen Fernsehen gegeben, man denke nur an Heimat oder Monaco Franze, und zweitens scheint es eher so zu sein, als hätten die Sender endlich und mit jahrelanger Verspätung einen weltweiten Trend aufgegriffen.

Hinzu kommt, dass nicht die deutschen Sender, sondern die Streamingdienste oder TNT die Nase vorn hatten. Die erste aufsehenerregende deutsche Serie bei Netflix war Dark, und das InsideKino-Team hat sich in den letzten Wochen die erste Staffel angesehen. Wer das ebenfalls tun möchte, sollte sich die Zeit nehmen, die zehn Episoden an zwei, drei Abenden zu schauen, nicht so sehr wegen der Spannung, sondern weil es so viele handelnde Figuren gibt, dass man schnell den Überblick verliert. Wir mussten aus terminlichen Gründen immer wieder längere Zeit pausieren und haben uns ständig gefragt, in welcher verwandtschaftlichen Beziehung die jeweiligen Figuren zueinander stehen …

Die Serie spielt 2019 in einer deutschen Kleinstadt, die von einem Atomkraftwerk lebt, dessen Tage dank Atomausstieg bereits gezählt sind: In einem Jahr gehen die Lichter aus. Bei den Bewohnern liegen die Nerven jedoch aus einem anderen Grund blank, denn ein Jugendlicher wird vermisst, und kurz darauf verschwindet ein weiteres Kind, der Sohn des Kommissars Ulrich Nielsen (Oliver Masucci). Zusammen mit seiner Kollegin Charlotte Doppler (Karoline Eichhorn) ermittelt er und stellt bald fest, dass es Parallelen zum spurlosen Verschwinden seines Bruders vor 33 Jahren gibt. Als eine unbekannte Kinderleiche mit verbrannten Augen gefunden wird, steht die Polizei vor einem nahezu unlösbaren Rätsel …

Dark ist eine Mystery-Serie, die mit unseren Ängsten spielt und auf eine unheimliche Umgebung setzt. Entsprechend wurde die Handlung im tristen deutschen Herbst mit viel Regen und dunklen Farben angesetzt, was den Kleinstadtmief noch drückender erscheinen lässt, hinzu kommt der Wald als übliche Metapher für das Verborgene in uns, das Düstere, das unsere Welt durchdringt und mit dem Übernatürlichen verbindet. Wer das spannend findet, sollte der Serie durchaus eine Chance geben und sich selbst ein Bild machen, zumal es um viel mehr als einen Kriminalfall geht, aber ich möchte lieber nicht zu viel verraten.

Die erste Folge beginnt geheimnisvoll und kreiert schon früh eine beklemmende Atmosphäre, der man sich schwer entziehen kann. Die Serie ist gut gemacht und gut gespielt, viele bekannte Namen tauchen in der Besetzungsliste auf, von Jungstars wie Louis Hofmann oder Anne Ratte-Polle bis hin zu altgedienten Darstellern wie Andreas Pietschmann, Jördis Triebel oder Mark Waschke. Die Neugier hat uns – trotz etlicher Längen und einiger Ärgernisse – dann auch am Ball bleiben lassen, aber richtig überzeugt wurden wir letzten Endes nicht.

Ein Grundproblem ist die Figurenkonstellation: Es gibt viel zu viel Personal, ein schier undurchdringliches Geflecht von Beziehungen, das noch komplizierter wird, wenn die Serie zwei weitere Zeitebenen öffnet und viele Figuren zwei- oder sogar dreimal auftauchen. Häufig überlagern die langweiligen und klischeehaften Geschichten über Ehebruch, Krankheit oder Liebeskummer die eigentliche Haupthandlung. Statt nur erzählerisches Beiwerk zu sein, um den Figuren die notwendigen Konturen zu verleihen, wird ihnen eine Wichtigkeit verliehen, die sie aufgrund ihrer dramatischen Dürftigkeit nicht verdienen. Das ist zwar gut gespielt, aber hier offenbart sich auch wieder einmal ein grundlegendes Manko deutscher Serien: Den Autoren gelingt es einfach nicht, starke oder sympathische Charaktere zu erschaffen, Figuren, mit denen man gerne auf die Reise geht, über die man auch wirklich etwas erfahren möchte.

Man hätte aber nicht nur locker auf den einen oder anderen Handlungsstrang verzichten können, sondern sich auch sonst mehr Mühe geben müssen, die eigentliche Geschichte, die ja durchaus spannend ist, besser auszuschmücken. So fragt man sich beispielsweise, warum das Verschwinden der Kinder kein großes Medienecho herruft, obwohl durchaus in den Nachrichten darüber berichtet wird. Oder warum die Polizei so schlampig ermittelt, dass sich jeder Tatort-Fan verzweifelt die Haare rauft. Und von den Defiziten und – zum Teil bewusst eingesetzten – Ungereimtheiten, die mit dem fantastischen Element der Geschichte zusammenhängen, will ich gar nicht erst anfangen.

Dabei hat Dark im Kern durchaus eine spannende und faszinierende Geschichte, auch wenn man sich fragt, wohin die Autoren in der zweiten Staffel wollen, da das Ende eine etwas alberne, schon fast ärgerliche Wendung nimmt und plötzlich Verwicklungen angedeutet werden, die bei genauerem Nachdenken, eher lächerlich sind. Dass das Gezeigte nicht das gewünschte Maß an Spannung und Dramatik hergibt, scheint selbst den Autoren und Produzenten schon sehr früh aufgefallen zu sein, anders lässt sich nicht erklären, warum die meisten Figuren sich geheimnisvoller geben als sie sind. Jeder einzelne scheint etwas zu verbergen, jeder raunt und wispert, wie man das in einem Mystery-Thriller eben so tut, wenn sogar der Einkauf im Supermarkt wie eine Undercover-Mission erscheinen soll. Und weil das immer noch nicht reicht, muss die Musik zur Erzeugung von Spannung und Dramatik herhalten – sehr zum Nachteil für die gesamte Inszenierung. Der Score von Ben Frost ist einer der schlechtesten und unpassendsten, die jemals in einer Serie zu hören waren, penetrante, nervtötende Musik wie akustische Ohrfeigen, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, welche Bedeutung die Szene gerade hat. Stellenweise war sie so furchtbar, dass wir ihretwegen abschalten wollten.

Dass wir die Staffel dennoch zu Ende gesehen haben, spricht dafür, dass es eine spannende Hauptgeschichte gibt, die immer neue Rätsel aufwirft, denen man gerne auf den Grund gehen würde. Leider gibt es zu wenige befriedigende Antworten und dafür immer neue Fragen, was auf Dauer ermüdend ist. Auch das Ende macht nicht gerade neugierig darauf, wie es weitergeht, so dass wir es wohl bei der ersten Staffel belassen werden. Schade, man hätte so viel daraus machen können.

Ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Nächste Woche werde ich urlaubsbedingt pausieren.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.