Könnte bitte mal jemand die Zeit anhalten? Eigentlich wollte ich die Kritik zu diesem Film schon im August veröffentlichen, kurz nachdem ich ihn im Sommerprogramm des Ersten gesehen hatte, nur bin ich nie dazu gekommen. Schön, dass die ARD immer noch Kinofilme in ihrem Abendprogramm hat, schade, dass es nur im Sommer ist, wenn die Verantwortlichen glauben, dass sowieso keiner guckt. Da kann man dann versenden, was man irgendwann und warum auch immer mal eingekauft hat.
Hin und wieder sind sogar kleine Juwelen dabei. Manchmal auch Filme, die man gar nicht auf dem Schirm hatte oder die schon vor Jahren liefen und die man wieder vergessen hat. So wie dieser hier:
Intime Fremde
Anna (Sandrine Bonnaire) fühlt sich in ihrer Ehe unglücklich und will einen Therapeuten aufsuchen. Dummerweise irrt sie sich in der Tür und landet stattdessen bei dem Steuerberater William (Fabrice Luchini). Der ist von ihr so fasziniert, dass er das Missverständnis erst sehr spät aufklärt, doch Anna gefallen ihre Gespräche mit dem gewissenhaften Mann inzwischen so gut, dass sie weiter zu ihm geht.
Kommt eine Frau zum Psychiater … So könnte ein Witz anfangen, und die Prämisse des Films erinnert auch stark an eine Komödie. Doch die dramatische Titelmusik, die so klingt, als wäre sie für einen Hitchcock-Thriller komponiert worden, suggeriert Spannung, vielleicht auch Leidenschaft. Anna erzählt William von ihren Eheproblemen, von einem Unfall, den sie verursacht hat und bei dem ihr Mann schwer verletzt wurde. Ihr Ehemann taucht im späteren Verlauf sogar persönlich auf, um William zu bedrohen, den er für den Geliebten seiner Frau hält. Daraus hätte jemand wie Hitchcock einen hochspannenden, abgründigen Film machen können. Regisseur Patrice Leconte, der auch am Drehbuch mitwirkte, hat hingegen gar nichts daraus gemacht.
Es ist schwer zu sagen, welchem Genre man den Film zuordnen soll. Er ist nicht wirklich lustig, obwohl man ein, zwei Mal schmunzeln kann, er hat keinerlei Spannung, auch wenn es ein paar Mal so aussieht, als könnte er spannend werden, und ein richtiges Drama ist es auch nicht, weil einfach nichts Dramatisches passiert. Stattdessen plätschert die Handlung gemächlich vor sich hin, Anna und William unterhalten sich und kommen sich dabei sehr langsam näher. Weil nicht viel passiert, lässt man als Zuschauer unwillkürlich seine Gedanken schweifen, man stellt sich vor, was noch geschehen könnte, man entwickelt eine Erwartungshaltung in punkto Spannung, Humor oder Leidenschaft – die dann konsequent unterlaufen wird.
Vieles ist höchst ärgerlich an diesem Film. Williams Passivität beispielsweise, der sich zwar in Anna verliebt, aber nicht das Geringste unternimmt, um sie für sich zu gewinnen. Auch wenn seine Ex-Frau ihm bescheinigt, dass er immer zu reserviert gegenüber Frauen war, ist diese Emotionslosigkeit enervierend. Es heißt zwar, stille Wasser seien tief und schmutzig, aber in diesem Fall kann man wohl von einem ziemlich flachen Gewässer ausgehen. Anna und William sind zwei leere Leinwände, auf die der gelangweilte Zuschauer seine Vorstellungen und im Grunde sogar seine Version des Films projizieren kann – und diese sind sicherlich allesamt besser als das, was man tatsächlich zu sehen bekommt.
Ärgerlich ist auch, dass die Gespräche zwischen den beiden Hauptfiguren, die an und für sich gar nicht mal so uninteressant sind, viel zu kurz sind und immer wieder von langen Passagen unterbrochen werden, in denen rein gar nichts passiert. So kommt weder Interesse an den Figuren auf, noch kann man glaubhaft nachvollziehen, dass sie Gefühle füreinander entwickeln. Man vermutet ständig Geheimnisse, Intrigen und Lügen – nur um am Ende enttäuscht festzustellen, dass die Story genauso langweilig und banal ist wie sie sich ereignet.
Falls der Film noch einmal im Sommerprogramm der ARD laufen sollte: lieber den Abend im Biergarten verbringen …
Note: 5+