„Wenn einer eine Reise tut …“ Man kennt das Sprichwort, das mit „so kann er was erzählen“ endet, und weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht immer positive Erlebnisse sind, über die man nach seiner Rückkehr berichten kann. Robinson Crusoe kann ein Lied davon singen, bzw. hat eine Autobiografie darüber geschrieben: „Das Leben und die seltsamen überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe aus York, Seemann, der 28 Jahre allein auf einer unbewohnten Insel an der Küste von Amerika lebte, in der Nähe der Mündung des großen Flusses Oroonoque; durch einen Schiffbruch an Land gespült, bei dem alle außer ihm ums Leben kamen. Mit einer Aufzeichnung, wie er endlich seltsam durch Piraten befreit wurde. Geschrieben von ihm selbst.“ Ich habe den Roman leider nie gelesen – vielleicht weil der Titel bereits die gesamte Geschichte verrät …
Andererseits ist der Stoff so oft verfilmt worden, dass man sich die vermutlich anstrengende Lektüre des Klassikers aus dem frühen 18. Jahrhundert sparen kann. Wenn man sich ein bisschen bei Wikipedia einliest, erfährt man, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht: Der Abenteurer und Freibeuter Alexander Selkirk wurde 1704 auf einer Insel ausgesetzt, von der er viereinhalb Jahre später gerettet wurde. Heute wäre er damit durch die Talkshows getingelt, damals reichte es gerade einmal zu einem – immerhin – aufsehenerregenden Zeitungsartikel, der Daniel Defoes vermutlich zu seinem 1719 erschienenen Roman inspirierte.
Die Legende erzählt, dass Selkirk unfreiwillig ausgesetzt wurde – weil er zu besserwisserisch war. Als sein Schiff auf der Insel Más a Tierra landete, bemerkte er nämlich, dass der Rumpf stark von Bohrmuscheln beschädigt war, und weigerte sich beharrlich weiter zu segeln. Dummerweise konnte er weder den Kapitän noch den Rest der Mannschaft von seiner Meinung überzeugen, wollte aber auch nicht alleine zurückbleiben. Deshalb sagte er, als das Schiff ablegen wollte, dass er es sich anders überlegt habe. „Ich aber nicht“, antwortete der Kapitän und ließ ihn auf der unbewohnten Insel zurück. Ein Querulant weniger, dachte der gute Mann vermutlich. Dass das Schiff kurz darauf sank und alle ertranken, dürfte Selkirk nach seiner Rettung wohl eine gewisse Befriedigung verschafft haben.
Defoe hat mit seiner Erzählung damals jedenfalls einen Nerv getroffen, weshalb das literarische Motiv der unfreiwilligen Isolation auf einer einsamen Insel seither Robinsonade genannt wird. Außerdem wurde der Roman sehr oft kopiert. Ungefähr hundert Jahre nach Defoe wurde „Der Schweizerische Robinson oder der schiffbrüchige Schweizer-Prediger und seine Familie. Ein lehrreiches Buch für Kinder und Kinder-Freunde zu Stadt und Land“ veröffentlicht. Mit den langen Titeln hatten sie damals aber auch …
Der Roman des Berner Pfarrers Johann David Wyss wurde ebenfalls ein großer Erfolg, vor allem im angelsächsischen Raum, wo er den knapperen Titel Swiss Family Robinson bekam. Hollywood nahm sich des Stoffes gleich mehrfach an und verfilmte ihn mehr als ein halbes Dutzend Mal. 1962 kam jemand dann auf die Idee, die Handlung in den Weltraum zu verlegen, und veröffentlichte eine Comic Book-Reihe mit dem Titel Space Family Robinson, die sich zwanzig Jahre lang auf dem Markt behauptete. Bei CBS fand man die Idee ebenfalls bestechend, und da das Thema Weltraum damals ohnehin en vogue war, ließ man sich dort zu einer TV-Serie unter dem Titel Lost in Space inspirieren. Ein längerer Titel war wohl im Gespräch, aber dann hätte sich die Sendezeit vermutlich stark verkürzt …
Die Serie lief von 1965-68 und erreichte drei Staffeln, die bei uns erst Anfang der Neunziger im Fernsehen gezeigt wurden. Gesehen habe ich sie nicht, ebenso wenig die Kinoadaption von 1998. 2004 produzierte dann John Woo einen Pilotfilm für eine neue Serie, die aber nie realisiert wurde. Erst Anfang des Jahres hat Netflix eine weitere Verfilmung ins Streamingprogramm genommen, und die habe ich mir vor einiger Zeit angesehen.
Maureen Robinson (Molly Parker), ihr aufgrund längerer, durch seinen Militärdienst bedingter Abwesenheit entfremdeter Ehemann John (Toby Stephens) sowie ihre drei Kinder Will (Maxwell Jenkins), Judy (Taylor Russell) und Penny (Mina Sundwall) befinden sich auf einem Raumschiff, das unterwegs zur Kolonie Alpha Centauri ist. Als sich ein Zwischenfall ereignet, den sie für einen Meteoriteneinschlag halten, wird das Mutterschiff evakuiert. Die Robinsons landen auf einem fremden, aber bewohnbaren Planeten, auf dem sie sofort in eine lebensbedrohliche Situation geraten …
Die Pilotfolge ist ziemlich spannend inszeniert, und auch die zwei, drei folgenden Episoden, in denen es darum geht, wie die Familie sich in einer fremden, teilweise feindlichen Umgebung behauptet, sind temporeich und vielversprechend. Auch die Effekte können sich sehen lassen, wie auch die Ausstattung sowie das dezente Design außerirdischer Flora und Fauna gut gelungen ist. Bei den extraterrestrischen Tieren hapert es allerdings ein bisschen.
In der Mitte hängt die erste Staffel leider ein wenig durch, das Tempo geht etwas verloren und auch die Spannung lässt sich nicht durchgehend aufrechterhalten. Immerhin haben sich die Showrunner einige Geheimnisse einfallen lassen, die neugierig auf den weiteren Verlauf der Serie machen. So finden die Robinsons nicht nur ein Alien-Raumschiff, sondern auch einen Roboter, der sich vor allem mit Will anfreundet. Teilweise erfährt man sogar, was es mit dem geheimnisvollen Wesen auf sich hat und wie er auf den Planeten gelandet ist, aber an dieser Stelle möchte ich lieber nicht zu viel verraten.
Die schauspielerischen Leistungen sind nicht überragend, doch durchweg solide. Leider trägt ausgerechnet die Independent-Ikone Parker Posey, die die zwielichtige Dr. Smith spielt und die Familie manipuliert und ihre Pläne sabotiert, etwas zu dick auf. Viel gravierender ist jedoch, dass ihr Tun aufgrund ihrer Psychologie und der Umstände häufig keinerlei Sinn ergibt. Das ist ärgerlich, aber stört nicht so sehr, dass man die Lust an der Serie verliert.
Defoe hat sich in seinem Buch vor allem mit der menschlichen Zivilisation auseinandergesetzt und den Konflikt zwischen Mensch und Natur geschildert. Wyss hat noch die familiären Werte hinzugefügt und vor allem ihren Zusammenhalt unter allen Umständen betont. In den Weltraum-Adaptionen ging es dann vermutlich eher um die technische Raffinesse und den Einfallsreichtum, in einer feindlichen Umgebung zu überleben. Das alles findet sich, zumindest bedingt, auch in der Neuauflage wieder. Grundsätzlich sind die Robinsons durchaus ein Herz und eine Seele, auch wenn es zu ehelichen Spannungen kommt und Dr. Smith ebenfalls Unfrieden sät. Und natürlich sind sie alle wissenschaftliche MacGyvers, die Raketentreibstoff aus Fledermausexkrementen destillieren können.
Wie soll man Lost in Space nun also nennen? Vielleicht das Remake einer TV-Serie nach einer Comic-Vorlage, zurückgehend auf das Remake eines Romans, basierend auf einer wahren Begebenheit? Als Alexander Selkirk 1704 auf der Isla Más a Tierra, die heute sinnigerweise Isla Robinson Crusoe heißt und zu Chile gehört, von Bord ging, dürfte er sich wohl kaum träumen lassen, dass seine Geschichte irgendwann einmal so sehr ausgeschmückt und verändert wird, dass sie auf einem fremden Planeten spielt.
Wer Spaß an Familiengeschichten und Science Fiction-Abenteuern im Weltraum hat, sollte Lost in Space eine Chance geben. Es lohnt sich.