Das Frühstück wurde heute al fresco serviert. Im schmalen Hinterhof unseres Hotels stand ein Tisch mit Kaffee und Tee sowie den üblichen amerikanischen süßen Sachen, mit denen die Leute hier in den Tag starten. Selbst um diese Zeit war es – und ich bin es schon selbst leid, das zu erwähnen – viel zu drückend. Aber es hilft ja nichts, wenn man was sehen will von der Stadt, muss man raus.
Nur einige Haltestellen von uns entfernt liegt der historische Lafayette-Friedhof mit den typischen Mausoleen, die in dem sumpfigen Gelände hier notwendig sind, um die Toten angemessen bestatten zu können. In der ersten Zeit wurden sie wie sonst üblich in der Erde begraben, wobei man die Särge durchlöchert hat, damit das Wasser eindringen konnte, aber das erschien den Bewohnern bald als zu pietätlos, weshalb man zur bis heute üblichen Praxis überging. Viele dieser zum Teil über hundert Jahren alten Grabstätten sind allerdings ziemlich verfallen, wirken aber gerade dadurch auch besonders romantisch. Übrigens liest man sehr viele deutsche Namen auf den Grabplatten.
Auf dem Rückweg ins French Quarter haben wir uns noch etwas Zeit gelassen, um die wunderschönen Villen in der St. Charles Street zu bewundern. Dann sind wir, vom Jackson Square startend, wieder durch die malerischen, engen Straßen geschlendert, haben viele berühmte Gebäude gesehen und Geschichten über ihre Bewohner gelesen. Über Alice Heine etwa, die im Miltenberger House aufwuchs und später Fürstin von Monaco wurde, oder über Delphine LaLaurie, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Gastgeberin der eleganten Gesellschaft und berüchtigt dafür war, ihre Hausangestellten zu foltern. Wer die dritte Staffel von American Horror Story gesehen hat, erinnert sich vielleicht daran, dass Kathy Bates sie gespielt hat.
Eine weitere Berühmtheit in New Orleans war die Voodoo Queen Marie Laveau (in der Serie verkörpert von Angela Bassett). Wir haben uns das kleine, feine Voodoo-Museum angeschaut, und Mark G. hat sich sogar an einen Zauber gewagt: Es gab einen Baumstumpf, in den man einen in einen Dollarschein gewickelten Zettel stecken sollte, auf dem man seinen Wunsch notiert hat. Dann muss man diesen Wunsch visualisieren, neunmal auf das Holz klopfen und ein Gebet an Marie Laveau richten. Im angrenzenden Shop gibt es auch Kerzen, Liebespulver und Zaubertränke, mit denen man seinen Chef beeinflussen kann, zu kaufen. Ich habe mir die Gebrauchsanweisung zur Herstellung von Voodoo-Puppen genauer angesehen und mich eingehender über Zombies informiert – man kann ja nie wissen. Es gab übrigens eine Menge Läden, die Zaubertränke und Gris-Gris (Fetische) verkauft haben, immerhin sind dreizehn Prozent der Einwohner New Orleans‘ Anhänger dieser Religion.
Normalerweise lassen wir ja das Mittagessen ausfallen, aber nachdem unser Abendbrot so enttäuschend ausgefallen war, wollten wir eine Kleinigkeit zu uns nehmen, am liebsten natürlich eine hiesige Spezialität. Wir landeten in einem kleinen, mit netten Wandgemälden ausgestalteten Bistro namens „Gumbo Shop“, in dem wir das Glück hatten, von einer ausgesprochen freundlichen Kellnerin bedient zu werden, die sogar einige Jahre in Deutschland gelebt hatte und uns in ihrer Heimatstadt (und ihrem Klima!) willkommen hieß. Auch das Essen – Seafood-Gumbo und ein Blackened Chicken Po’boy (poor boy, also armer Junge heißen hier die warmen Sandwiches) – war vorzüglich. Und schon bin ich wieder mit der hiesigen Küche versöhnt …
Nach einem Ausflug zum Mississippi, um ein wenig die Schiffe zu beobachten, machten wir uns am Nachmittag auf den Weg zurück ins Hotel, um der Gluthitze zu entgehen und uns etwas auszuruhen. Am Abend fuhren wir dann zum Lafayette Square, auf dem noch bis Ende Mai jeden Mittwoch eine Live-Band auftritt. Die Einheimischen und auch etliche Touristen versammelten sich auf der Wiese, kamen mit Picknickdecken und Stühlen und genossen den (Feier-)Abend. Überall roch es lecker nach Essen, aber auch nach Bier und Marihuana. Leider gefiel uns die Musik nicht besonders, so dass wir uns bald wieder auf den Weg machten.
Weil wir unseren Besuch im „Café Beignet“ am Vortag so genossen hatten, entschieden wir uns, dort noch einmal einzukehren – und haben es nicht bereut. Erstaunlicherweise hatten wir schon wieder Hunger und bestellten ein Po’boy mit Shrimps sowie ein Jambayala, die beide vorzüglich waren. Und zum Dessert mussten es natürlich Beignets sein, für die das Café schließlich berühmt ist und die die besten der Stadt sein sollen. Beignets sind ein fettgebackenes Gebäck, das dick mit Puderzucker bestäubt wird, ähnlich den süddeutschen Strauben. Sie waren ganz okay, gehören aber nicht zu meinen Favoriten. Ursprünglich hatten wir sie im berühmten „Café du Monde“ essen wollen, aber am Nachmittag hätten wir ewig auf einen Platz warten müssen, außerdem gefiel uns das sehr karge, an eine Markthalle erinnernde Ambiente nicht.
Die Band war wieder ganz vorzüglich und spielte zahlreiche Klassiker, das Essen war gut, und eine kräftige Brise sorgte für angenehme Erfrischung – und wehte den Puderzucker von den Beignets. Nach dem Essen ging es dann schon bald wieder zurück zur Straßenbahnhaltestelle, noch einmal durch die turbulente, partyselige und nach Müll und Urin müffelnde Bourbon Street, deren Musik uns noch lange verfolgte.
Die Straßenbahn war gerammelt voll mit Nachtschwärmern und erschöpften Touristen. Davon, dass die Stadt 2005 durch den Hurrikan Katrina schwer beschädigt wurde, ist nichts mehr zu sehen, zumindest nicht im Zentrum, das ohnehin weitgehend verschont geblieben ist. Doch noch leben weniger Menschen hier als vor der Katastrophe. Es ist auffällig, wie freundlich die Leute sind; sobald man etwas ratlos auf seinen Stadtplan schaut, fragt ein Einheimischer, ob er weiterhelfen kann. Und die Menschen sind fast alle gut gelaunt. Muss wohl am Wetter liegen …
Insgesamt hat es mir hier gut gefallen, auf jeden Fall besser als ich gestern gedacht hätte. Sicher, einige Ecken wirken etwas heruntergekommen, aber es wird auch viel renoviert, der Boden ist durchweg so uneben, dass man höllisch aufpassen muss, nicht auf die Nase zu fallen, und die vielen Obdachlosen sind ein schockierender und deprimierender Anblick. Dennoch haben wir uns immer sehr sicher gefühlt, was natürlich auch an der starken Polizeipräsenz liegt.
Als wir in der Nähe des Hotels ausstiegen, war mir fast ein wenig wehmütig ums Herz. Unsere Straßenbahn fuhr langsam weiter, der olivgrüne Wagen verschwand laut klappernd und ratternd in der Nacht und seine Räder schlugen knisternde Funken. In diesem Moment dachte, dass ich bestimmt wiederkommen werde. Eines Tages – wenn es vielleicht ein wenig kühler ist.
P.S. Die nächsten Tage verbringen wir wieder bei Mark G.s Verwandten, diesmal in Houston, bevor es auf die lange Fahrt nach Los Angeles geht. Der nächste Beitrag erscheint dann vermutlich übermorgen.