Am Freitag fuhren wir nach Orlando, um Disneys Freizeitpark Animal Kingdom zu besuchen. Obwohl es geplant war, hatten wir uns diesen Ausflug bis zuletzt vorbehalten, weil wir nicht so recht wussten, ob wir auch wirklich Zeit dafür haben würden. Aber wenn man einen Disney-Park besuchen will, darf man genau eines nicht sein: spontan. Spaß zu haben ist eine viel zu ernste Sache, um sie dem Zufall oder seiner Lust und Laune zu überlassen, weshalb so ein Parkbesuch mindestens genauso sorgfältig geplant werden muss wie die Landung in der Normandie.
Der Ärger begann schon auf der Autobahn mit einem Stau bei der Ausfahrt, gefolgt von einem Durcheinander auf dem Parkplatz. Die Organisation war ziemlich chaotisch und relativ altmodisch, aber das gilt eigentlich für den gesamten Park, der so wirkt, als wäre er bereits fünfzig Jahre alt, obwohl er aus den Neunzigern stammt.
Der Andrang war enorm, und es gab auch überraschend viele Kinder, die eigentlich in der Schule hätten sein müssen. Später kamen dann noch ganze Ausflugsklassen hinzu. Obwohl sie in Florida, anders als im kalifornischen Disneyland, jede Menge Platz haben, sind die Wege verhältnismäßig schmal und das Gelände recht unübersichtlich, was dazu führt, dass man sich die meiste Zeit über fühlt wie auf dem Markusplatz in Venedig – im Hochsommer. Es herrschte ein solches Geschiebe, dass man sich kaum noch getraut hat, tief auszuatmen, weil es keinen Platz dafür gab …
Von all den alltäglichen Ärgernissen, die man zwangsläufig in Kauf nehmen muss, hasse ich zwei Dinge besonders: Gedränge und Warten. Animal Kingdom und ich hatten also von Anfang an keinen guten Start. Hinzu kommt, dass der Park zur Hälfte ein Freizeitpark, zur Hälfte ein Zoo ist und dabei das Schlechteste aus beiden Welten vereint. Irgendwie haben sie es weder geschafft, einen guten Zoo noch einen guten Freizeitpark zu kreieren, sondern einfach beides irgendwie zusammengeschustert.
Dabei hat beides durchaus seinen Reiz. Die Gehege sind, verglichen mit einem Tierpark, zwar relativ klein und es gibt zu wenige Stellen, an denen man sie einsehen kann, aber man hat dennoch seinen Spaß dabei, Tiere zu beobachten. Wegen der Hitze haben sich viele jedoch zurückgezogen, so dass man meistens nur einen Zebrahintern hier und einen müden Tiger dort entdecken konnte, aber die Vogelvolieren waren wunderschön, und man konnte sie auch betreten und die Piepmätze herumflattern sehen. Die Safari haben wir aus Zeitgründen jedoch nicht geschafft, obwohl sie eine der Hauptattraktionen in diesem Bereich sein soll. Oder vielmehr haben wir zuletzt bewusst auf sie verzichtet, weil wir aufgrund der Hitze (34 Grad bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit) keine Lust hatten, weitere 75 Minuten zu warten.
Die Wartezeiten sind das Schlimmste im Park. Wenn man vorausplant, kann man sich vielleicht für die drei wichtigsten Attraktionen einen Fast Pass besorgen und wartet dann 10 statt 90 Minuten, aber man bekommt auch nur drei und muss erst einen einlösen, bevor man einen weiteren ordern kann – falls es dann noch welche gibt. Eine App des Parks, die anzeigt, welche Wartezeiten gerade wo anfallen, ist dabei sehr hilfreich. Falls nicht, wie bei unserem Besuch geschehen, mal wieder ein Fahrgeschäft ausfällt.
Wir waren in der Vergangenheit schon in vielen Parks, aber ich habe noch nie so lange Wartezeiten erlebt, ganz besonders nicht außerhalb der Hauptsaison. Selbst im mindestens ebenso beliebten Harry Potter-Land in den kalifornischen Universal Studios haben wir bei weitem nicht so lange anstehen müssen wie für die Avatar-Attraktionen. Vielleicht liegt es daran, dass es insgesamt relativ wenige zugkräftige Fahrgeschäfte gibt – da nimmt der Zoo wohl zu viel Platz ein …
Da wir vor allem die beiden Avatar-Rides besuchen wollten, haben wir uns natürlich dort als erstes angestellt. Außerdem liegen sie am Eingang des Parks, weshalb es ebenfalls Sinn gemacht hat, dort anzufangen. Und selbstverständlich war das grundverkehrt, da alle Besucher so dachten. Für die Na’vi River Journey mussten wir 80 Minuten warten, für den Avatar Flight of Passage sogar 130 Minuten. Auf der anderen Seite haben sich die Zeiten auch später nicht so sehr verändert – es war dort immer viel zu voll.
Wer die Serie Supernatural kennt, erinnert sich vielleicht, wie die Macher sich die Hölle vorstellen: als eine endlose Warteschlange. Mich hat es auch ein wenig an Neros Musikabende erinnert, die so endlos waren, dass Leute dabei verschieden sind und Frauen Kinder geboren haben. Man kann es aber auch mit einer Rinderauktion vergleichen, die man aus der Sicht einer Kuh erlebt, weil man durch so viele endlose Gatter getrieben wird. Die meisten Menschen haben sich die Warterei mit ihren Handys vertrieben, und ich wünschte mir, ich hätte in der Zeit etwas Sinnvolles tun können, etwas, das verglichen damit sogar Spaß macht – meine Steuern beispielsweise. So konnte ich nur meine Leidensgenossen beobachten und mir überlegen, welches Tattoos wohl am hässlichsten ist. Ich habe jedenfalls schon lange nicht mehr so viele genervte und gelangweilte Gesichter gesehen. Außer vielleicht in Las Vegas an den Spielautomaten. Und natürlich gab es jede Menge quengelnde Kinder („Wie lange dauert es denn noch?“).
Die wichtigste Frage lautet jedoch: War es die Warterei wert? Dazu muss ich sagen, die Na’vi River Journey lohnt sich eigentlich nicht. Okay, man ist froh und glücklich, wenn man sich endlich einmal hinsetzen kann, wird dann aber nur gemächlich durch einen dunklen Tunnel geschippert, in dem einige fluoreszierende Pflanzen vor Videoleinwänden stehen und an dessen Ende dann eine zugegebenermaßen beeindruckende mechatronische Figur steht und sich bewegt. Verglichen mit anderen Rides dieser Art ist das erschreckend mager.
Im Gegensatz dazu ist Avatar Flight of Passage jede Sekunde Warten wert. Man sitzt dabei auf einem Gestell, das entfernt an ein Motorrad erinnert und vor einer riesigen Leinwand positioniert ist, und sieht einen 3 D-Film über einen Flug auf einem dieser pandorischen Drachen aus der Perspektive des Reiters. Dazu wird man kräftig durchgeschüttelt und bekommt hin und wieder Wind und einige Tropfen Wasser ins Gesicht. Die Amerikaner nennen es einen 4 D-Ride, und diese fünf Minuten haben auch eine Menge Spaß gemacht. Die Warnungen, die man vorher erhält und in denen man davor gewarnt wird, diese Fahrt mitzumachen, wenn man Höhenangst, Herz- oder Rückenprobleme hat, kann man übrigens getrost in den Wind schlagen. So wild ist das Ganze dann auch wieder nicht. Ein bisschen frage ich mich inzwischen aber, ob diese Art von Vergnügen nicht auch langfristig gesehen obsolet wird, sobald die VR-Technik so ausgereift ist, dass man all diese Sachen auch zu Hause auf dem Sofa erleben kann.
Gut gefallen haben uns noch die Achter- sowie die Wildwasserbahn, die man so auch aus anderen Freizeitparks kennt. Die Gestaltung des Parks insgesamt ist ebenfalls gut gelungen und zeugt von viel Liebe zu Details. Neben Pandora gibt es noch das Dinoland, in dem die meisten Attraktionen für die kleinen und kleinsten Besucher konzipiert wurden, die etwas farblose Discovery Island, die sämtliche Teile miteinander verbindet, sowie zwei Bereiche, die Afrika und Asien gewidmet sind.
Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mit dem Park von Anfang an nicht richtig warm geworden bin, vielleicht aber auch an der unerträglichen Schwüle, die mich etwas nörgelig gemacht hat – oder ich bin durch die Ereignisse der letzten beiden Jahre stärker sensibilisiert geworden, aber es gibt etwas, das mir sehr unangenehm aufgefallen ist: Wenn man sich die detailfreudige und aufwändige Gestaltung der im asiatischen und afrikanischen Stil gehaltenen Bereiche ansieht, stellt man schnell fest, dass sämtliche Gebäude so designt wurden, dass sie heruntergekommen und verfallen aussehen. Man kann natürlich argumentieren, dass die Straßen in Neu-Delhi und Nairobi tatsächlich so ausschauen, vor allem für einen Amerikaner, aber mir kam es dennoch ziemlich herabwürdigend vor. Warum kann man nicht einfach die einzigartige Schönheit und Exotik eines Kontinents feiern? Warum muss gerade Afrika wie ein malariaverseuchter Kolonialhafen aussehen, in dem eine Gruppe dunkelhäutiger Männer akrobatische Kunststücke vor einem nahezu ausschließlich weißen Publikum aufführt? Man kann nur hoffen, dass der gigantische Erfolg von Black Panther zu einer völligen Neugestaltung dieses Teils des Parks führt.
Damit hängt auch eine andere, ebenfalls auffällige Beobachtung zusammen: Es gibt kaum farbige Besucher. Es mag Zufall gewesen sein, aber rund 95 Prozent der Gäste waren weiß, obwohl deren Anteil an der floridianischen Bevölkerung deutlich geringer ist – von den anderen Südstaaten, die ebenfalls zum Einzugsgebiet gehören, mal ganz zu schweigen. Eine Ursache liegt sicherlich darin, dass Disney mit immer größeren Besuchermassen zu kämpfen hat und um dem Ansturm Herr zu werden ständig die Preise erhöht. Sozial schwächere Familien werden somit konsequent ausgeschlossen, weil sie sich das Vergnügen nicht mehr leisten können. Aber so funktioniert der Kapitalismus eben, und nur der Europäer wundert sich, wie sich das mit dem penetrant zur Schau getragenen christlichen Bekenntnis verträgt. Neben den Highways stehen riesige Reklametafeln mit Sprüchen wie: „Jesus is still the answer“, aber zu beherzigen scheint es hier keiner.