Am Freitag nahmen wir Abschied von Las Vegas, ohne wirklich angekommen zu sein. Jedenfalls erschien es mir so, weil wir in den vergangenen Tagen von früh bis spät beschäftigt gewesen waren und keine Zeit für die typischen lokalen Aktivitäten (spielen, eine Show oder ein Büffet besuchen) gehabt hatten. Aber das ist okay, wir sind ja nicht das erste Mal in der Stadt.
Wir sind früh gestartet, um bei unserem ersten Stopp am Hoover Dam sowohl der Hitze als auch den Besuchermassen zuvorzukommen. Auf dem Weg dorthin fiel uns auf, dass Las Vegas Zuwachs in Form von Satellitenstädten bekommen hat, die vor ein paar Jahren noch nicht dagewesen waren. Auch als wir uns dem Hoover Dam näherten, wo wir das letzte Mal vor fünf Jahren Station gemacht hatten, stand in einem schmalen, von zerklüfteten, tiefbraunen Felsen umgebenen Tal plötzlich ein Hochhaus. Es war ein Hotel, mehr als zehn Stockwerke hoch und strategisch günstig in der Nähe sowohl des Damms als auch von Lake Mead gelegen, aber dennoch gewissermaßen mitten im Nirgendwo. Ein irgendwie surrealer Anblick, da es rundherum außer einigen Parkplätzen nichts weiter gab.
Die Sicherheitskontrollen auf der Zufahrt zur Brücke, die sich in einiger Entfernung vom Hoover Dam, aber wesentlich höher als dieser gelegen über das Tal spannt, waren sehr lax. Andererseits ist der Staudamm so weit entfernt, dass vermutlich nicht mal eine Boden-Luft-Rakete großen Schaden angerichtet hätte. Aber die hätten wir locker reinschmuggeln können.
Wenn man hoch oben auf der Brücke steht und auf den vermeintlich kleinen Hoover Dam und die ameisengroßen Fahrzeuge, die ihn überqueren, hinunterblickt, bekommt man schon ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, andererseits ist es ein grandioser Anblick.
Den Rest des Tages verbrachten wir im Wagen auf der Fahrt nach Gallup in New Mexico. Es war zwar noch ein Zwischenstopp beim Petrified Forest geplant, aber der fiel aus, weil zum einen die Zeit knapp wurde, zum anderen das Wetter sich von seiner unfreundlichen Seite präsentierte. Im Verlauf des Nachmittags zog es sich immer mehr zu, bleischwere Wolken hingen über der trockenen gelb-braunen Prärie, und vereinzelt nieselte es sogar.
Viel zu sehen gab es unterwegs leider nicht, nur weite Prärie, gelegentlich unterbrochen von einigen bewaldeten Hügeln – insgesamt ein bisschen eintönig. Die Ortschaften, die links und rechts des Highways lagen, waren ebenfalls ziemlich reizlos: kleine, schäbige Häuser und Geschäfte, die sichtlich ums Überleben kämpfen. Und irgendwo verschandelte ein Kraftwerk, das Trumps „saubere“ Kohle in Energie umwandelt, mit seinen zwei hässlichen Schornsteinen und einem Gewirr aus Förderbändern und Rohren die Prärielandschaft.
Immerhin einige Raststätten entlang der Strecke sind relativ neu und propper, andere haben dafür ihre beste Zeit schon lange hinter sich. Ein Truckstopp hieß Two Arrows, und vor dem Hauptgebäude, das vor vielleicht dreißig Jahren geschlossen worden war, steckten zwei riesige Pfeile in der Erde. Wenige Meilen darauf folgte ein Ort namens Two Guns, genauso verriegelt und verrammelt, die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm über Kannibalen. Pistolen waren aber nirgendwo zu sehen.
Unser Las Vegas-Hotel hat seinen Gästen jeden Morgen eine Zeitung unter der Tür durchgeschoben, und unterwegs hatte ich endlich Zeit, sie zu lesen. In einem Artikel ging es um die Furcht, dass in den nächsten Monaten die Preise sämtlicher Verbrauchsgüter steigen werden – weil es zu wenig LKW-Fahrer gibt. Anscheinend existiert dieser Engpass schon seit Jahren, hat nun aber eine kritische Marke erreicht.
Wir können immerhin behaupten, dass sämtliche noch aktiven LKW-Fahrer heute auf unserer Strecke unterwegs waren. Selbst in den abgelegendsten Gegenden herrschte dichter Verkehr, und als wir zu einer von vielen Baustellen kamen, gerieten wir sogar in einen ausgewachsenen Stau, der uns eine Stunde kostete. Eine weitere Stunde verloren wir durch die neue Zeitzone, hoffen aber, sie auf dem Rückweg wiederzufinden. Und gefährlich wurde es auch: Zwei LKW hätten uns um ein Haar von der Straße gedrängt, weil ihre Fahrer mit anderen Dingen beschäftigt waren. Vielleicht lag es nur an der Strecke, die immerhin auch zum Grand Canyon führt, aber früher hat das Fahren in den USA mehr Spaß gemacht.
Übrigens sieht man auch viele Güterzüge auf der Bahnstrecke, die neben dem Highway verläuft. Und zwar sehr lange Züge mit – falls wir uns nicht verzählt haben – fast hundertvierzig Waggons! Allerdings fahren sie so langsam, dass man sie fast zu Fuß überholen könnte. Wenn die Amerikaner aber endlich ihr Schienennetz in Ordnung bringen würden, würden nicht mehr so viele Fernfahrer benötigt.
Eine weitere Kleinigkeit hat sich seit dem letzten USA-Aufenthalt geändert: Überall in Arizona warnen nun Schilder neben dem Highway vor dem Einsatz der Einwanderungsbehörde ICE, von der ich schon gehört habe, dass sie besonders im Grenzgebiet verstärkt patrouilliert. Auch wenn wir die ICE nicht gesehen haben, zumindest kein offizielles Fahrzeug, so war doch außergewöhnlich viel Polizei präsent. Und sie haben auch jede Menge Wagen, zumeist LKW, angehalten und kontrolliert. Viellicht nur ein Zufall, vielleicht auch das neue Amerika.
Das alte Amerika erwartete uns dann in Gallup, einem verschlafenen kleinen Städtchen an der legendären Route 66. Außerdem liegt der Ort mitten im Gebiet der Navajos, was zur Folge hat, dass jeder zweite Laden Route 66-Souvenirs und indianisches Kunsthandwerk verkauft. Wie alle Städte, die an einer Straße entstanden sind, erstreckt sich die Ortschaft über viele Meilen hinweg, was zwangsläufig weite Wege mit sich bringt.
Weil wir unbedingt indianisch essen gehen wollten, mussten wir zu einem Kasino rausfahren, das Navajo-Küche anbietet. Als Vorspeise gab es eine sehr leckere Mais-Creme-Suppe mit dem typischen flachen, in Fett herausgebackenem Brot, das man besten mit etwas Honig verspeist. Das Hauptgericht war ein Navajo-Taco, bestehend aus dem indianischen Brot, das mit Bohnen, Hackfleisch, Tomaten, Chili, Salat und Käse belegt wird. Lecker, aber mächtig.
Kugelrund und glücklich kullerten wir dann noch durch die Altstadt, um dem Hotel El Rancho die Ehre zu erweisen. Da in Gallup früher sehr viele Western gedreht wurden, war das altehrwürdige Haus die bevorzugte Absteige der Stars. John Wayne, Gregory Peck, Katharine Hepburn und viele andere bekannte (und noch mehr unbekannte) Hollywoodschauspieler haben dereinst hier gewohnt und ihre signierten Autogrammkarten hinterlassen, die man überall im Foyer bewundern kann. Die Einrichtung ist eher rustikal, mit abgetretenen Fliesen, Holzdecken, breiten Holzsesseln und einer zweiflügeligen Treppe, die sich in den ersten Stock emporwindet. Ein gemütliches Hotel mit Charme und Flair, und wenn wir früher von seiner Existenz erfahren hätten, hätten wir uns hier einquartiert.