Kopfrechnen: schwach; Religion: hinterlistig. So lautete stets die Antwort meines Vaters, wenn ich ihn, während er über mein Zeugnis brütete, nach seinen eigenen Schulnoten fragte. Nun war ich in Mathe meistens ziemlich gut, obwohl ich dem Fach nicht viel abgewinnen konnte. Aber ich schätzte die Logik, mit der man sich rechnerischen Problemen widmete, die einem eigentlich schnurzpiepegal waren. Wenn man einmal die Formel kannte, mit der man eine Aufgabe durchzurechnen hatte, war der Rest im Grunde ein Kinderspiel.
Mich hat die Mathematik allerdings nie so begeistert, dass ich über die reine Anwendung hinaus neugierig auf die Entwicklung dieser Formeln gewesen wäre. Außerdem ist der praktische Alltagsgebrauch dessen, was man in der gymnasialen Oberstufe in dem Fach lernt, doch sehr übersichtlich. Als ich meine ehemalige Mathelehrerin rund zehn Jahre nach dem Abitur einmal beim Einkaufen traf und sie mich fragte, ob mir denn etwas, das ich bei ihr gelernt hatte, auch mal nützlich gewesen sei, musste ich mit Nö antworten. Das tat mir zwar leid (ihr auch), war aber immerhin ehrlich. Kurvendiskussionen und Stochastik sind nun mal Dinge, die man als Autor eher weniger braucht.
Zum Glück gibt es jedoch Menschen, die für die Mathematik leben, und um einen davon geht es heute:
Die Poesie des Unendlichen
Srinivasa Ramanujan (Dev Patel) hat zwar keinen Hochschulabschluss, ist aber ein mathematisches Genie. Sein Vorgesetzter in Madras ermuntert ihn, seine Studien in Cambridge vorzulegen, und sein Boss (Stephen Fry) öffnet ihm ein paar Türen. Als der Professor G.H. Hardy (Jeremy Irons) die Formeln sieht, glaubt er zunächst an einen Streich seines Kollegen Littlewood (Toby Jones), erkennt aber schon bald das Genie Ramanujans, den er umgehend nach England holt. Zwischen den beiden unterschiedlichen Männern entsteht mit der Zeit eine tiefe Freundschaft, doch Ramanujan hat es schwer, sowohl in England als auch im akademischen Betrieb Fuß zu fassen …
Es ist eine klassische Außenseiter-Geschichte, die uns Regisseur und Drehbuchautor Matt Brown nach der Biografie von Robert Kanigel in satten, gedeckten Farben erzählt, und ein typisches Bio Pic. Die Handlung konzentriert sich in erster Linie auf die fünf Jahre, die Ramanujan in Cambridge verbracht hat und berichtet von den Vorurteilen der dortigen Professoren, die nicht glauben wollen, dass ein Inder ein besserer Mathematiker ist als sie.
Die Zeit, in der der Film spielt, ist der Vorabend des Ersten Weltkriegs, das britische Empire befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Macht, doch es kriselt bereits an allen Ecken und Enden. Von der rauen Wirklichkeit bekommt man in den Elfenbeintürmen der Universität nicht viel mit, erst später, wenn immer mehr Studenten und Lehrkräfte an die Front ziehen und Lebensmittel rationiert werden, bekommt auch Ramanujan Probleme mit den Briten. Er wird als Pazifist verspottet, als Inder diskriminiert, und die Professorenschaft verweigert ihm die akademische Anerkennung, die er verdient. Überdies wird er schwer lungenkrank, und sein Leiden überschattet dann auch die zweite Hälfte des Films.
Der einzige Freund, den er hat, ist Hardy, und auch der macht es ihm anfangs sehr schwer, denn Ramanujan liefert eine sensationelle Formel nach der anderen ab, bleibt aber die mathematischen Beweise für seine Arbeit schuldig. Der tief religiöse Ramanujan erklärt das dadurch, dass ihm die Formeln quasi von seiner Göttin eingegeben werden und einen göttlichen Gedanken ausdrücken, was dem Atheisten Hardy gegen den Strich geht. So wird nicht nur über das Wesen der Mathematik diskutiert, sondern auch ein wenig über Religion.
Leider erschließt sich dem mathematischen Laien weder, inwiefern Ramanujans Formeln so brillant sind, noch, welche Probleme sich aus den fehlenden Beweisen für seine akademische Laufbahn ergeben. Das hätte noch präziser dargestellt werden können. Die anderen Hindernisse, insbesondere der offene und versteckte Rassismus, sind natürlich leichter darzustellen. Größeren Raum nimmt noch Ramanujans Beziehung zu seiner Frau ein, die in Indien zurückbleibt und durch ihre Schwiegermutter, die ihr die Briefe ihres Mannes vorenthält, zunehmend an seiner Liebe zweifelt.
Es gibt also eine Reihe von Konflikten, die zwar nicht übermäßig spannend oder emotional erzählt werden, aber insgesamt doch ausreichen, um das Interesse des Zuschauers aufrecht zu erhalten. Wie bei vielen Bio Pics liegt das Problem darin begründet, dass sich das Leben leider nur selten an die dramaturgischen Notwendigkeiten eines Spielfilms hält …
Die darstellerischen Leistungen sind durchweg solide, und auch die Inszenierung, die den Zuschauer an die Originalschauplätze entführt, ist gelungen. Das Gute an solchen Bio Pics ist, dass man auf diese Weise mehr über faszinierende Menschen erfährt, und diese Aufgabe erfüllt der Film auf jeden Fall.
Note: 3