Vergangene Woche hat mir der Zufall ein interessantes Double Feature präsentiert. Zuerst war ich am späten Nachmittag in Alles Geld der Welt, und am Abend habe ich dann bei Sky zufällig den HBO-Film The Wizard of Lies über Bernie Madoff entdeckt. Beide haben nicht nur auf den ersten Blick eine Menge gemeinsam.
Beide Filme porträtieren zwei reiche Männer bzw. Männer, die ein besonderes Verhältnis zum Geld haben, und lassen tief in die Abgründe unserer kapitalistischen Gesellschaft blicken. Beide erzählen außerdem problematische Vater-Sohn-Geschichten, die kein gutes Ende nehmen und an die Sage von Kronos erinnern, der seine eigenen Kinder fraß. Beide sind prominent besetzt, und in beiden spielt eine Michelle eine großartige Rolle …
Alles Geld der Welt handelt von der Entführung von John Paul Getty III. (Charlie Plummer) in Rom Anfang der Siebzigerjahre. Während seine Mutter Gail (Michelle Williams) mit den Entführern verhandelt und verzweifelt versucht, ihren Sohn zurückzubekommen, spielt ihr Schwiegervater John Paul Getty (Christopher Plummer) auf Zeit. Der reichste Mann der Welt hat kein Interesse daran, das Lösegeld zu bezahlen, zum einen, weil es weitere Entführer auf den Plan rufen könnte, zum anderen, weil er nie Geschäfte tätigt, die ihm nichts einbringen. So entsteht eine halbjährliche Hängepartie, in die sich die internationale Presse, die römische Polizei, ein Ex-CIA-Agent (Mark Wahlberg), der für Getty arbeitet, sowie die italienische Mafia ein gefährliches Spiel liefern.
The Wizard of Lies spielt ebenfalls in der Welt der Reichen und Superreichen und behandelt den tiefen Fall des Wall Street-Gurus Bernie Madoff (Robert De Niro), der das größte Betrugssystem aller Zeiten initiiert und seine Anleger über Jahrzehnte um 65 Milliarden Dollar betrogen hat. Als das System im Zuge der Bankenkrise 2008 nicht länger bestehen kann, will Madoff sich selbst anzeigen, zuvor aber noch einige Freunde und Familienmitglieder auszahlen. Doch seine Söhne durchkreuzen den Plan, indem sie ihn beim FBI anzeigen. Der Skandal zerstört dabei die gesamte Familie …
In The Wizard of Lies ist es Michelle Pfeiffer, die Madoffs Ehefrau Ruth spielt und im Seniorenalter entdecken muss, dass ihr ganzes Leben auf Lügen und Betrug aufgebaut war, die alles verliert, nicht zuletzt auch die Zuneigung ihrer Kinder, und die verarmt bei ihrer Schwester leben muss, deren finanzielle Existenz sie nahezu zerstört hat (Woody Allan hat diesen Aspekt dann zum Ausgangspunkt in Blue Jasmine genommen). Den Wandel von der geschätzten High Society-Lady zum Paria der Gesellschaft spielt Michelle Pfeiffer mit kühler Beherrschung und gnadenloser Selbstbetrachtung. Dabei werden schmerzhafte Erkenntnisse erlangt, etwa die Tatsache, selbst im Leben nichts geleistet zu haben, keine eigene Karriere gemacht oder irgendetwas geschaffen zu haben, das ihr noch Halt oder Selbstwertgefühl vermitteln kann. Ruth erkennt, dass vor allem Liebe und Gewohnheit sie an dieses Leben gebunden haben, und nachdem ihr Mann für immer hinter Gittern verschwunden ist und sie alles verloren hat, was sie jahrzehntelang für selbstverständlich hielt, erwächst daraus die Notwendigkeit, sich neu zu definieren. Das tut sie auch, indem sie pragmatisch handelt und zuletzt auch mit Bernie bricht, eine tragische Figur wie aus einer griechischen Sage, aber nicht wirklich zu bemitleiden.
In Alles Geld der Welt ist es natürlich Michelle Williams, die wieder einmal eine bemerkenswerte Performance abliefert, diesmal als Ehefrau von John Paul Getty II. (Andrew Buchan), den sie am Anfang des Films ermutigt, seinen ihm unbekannten Vater um einen Job zu bitten. Weil er dem Druck in diesem neuen Leben jedoch nicht standhält, verfällt er den Drogen und verlässt Gail und die vier Kinder. Gail muss sich allein in Rom durchschlagen und auch den Kampf gegen die Presse und die Entführer aufnehmen, denn niemand glaubt ihr, dass sie – die Schwiegertochter des reichsten Mannes der Welt – kein Geld hat, um ihren Sohn auszulösen. Ihr zermürbender Kleinkrieg gegen Getty, der die Chance nutzt, um Gail bei jeder Gelegenheit zu demütigen und ihr sogar das Sorgerecht für die Kinder zu nehmen, ist emotional mitreißend gespielt.
Man lernt Getty in dieser Geschichte abgrundtief zu hassen, ist er doch ein Mann, der Dinge mehr wertschätzt als Menschen, der seine Ehefrauen allesamt verlassen hat, weil die psychische Belastung eines Familienlebens seine Geschäfte beeinträchtigen würde. Völlig unfähig etwas zu fühlen, ist Getty nur im Kunstgenuss fähig, Emotionen nachzuempfinden: So liebt er das meisterhaft gemalte Jesuskind auf einem Renaissancegemälde mehr als seinen eigenen Enkel. Familie ist für ihn etwas, das man genauso besitzen und benutzen kann wie Gemälde oder Statuen, aber nichts, was einen Wert an sich hätte. Christopher Plummer spielt den Milliardär mit dem eiskalten Herzen dabei mit einem verschmitzten Augenzwinkern als einen scheinbar gutmütigen Ebenezer Scrooge, der sich für eine Reinkarnation von Kaiser Hadrian hält und sich auch wie ein Tyrann verhält.
Warum er so tickt, wird leider nicht wirklich klar. In einer kurzen Rückblende sieht man ihn als jüngeren Mann, wie er Geschäfte mit den saudischen Scheichs macht und damit den Grundstock seines Vermögens legt, aber warum er glaubt, nur unendlich viel Geld könne ihm Sicherheit verleihen, erschließt sich daraus leider nicht. Es ist allerdings nicht seine Geschichte, die Ridley Scott erzählen will, sondern es geht um die Entführung, die über ein halbes Jahr andauert. Man sieht, wie der Teenager bei einem nächtlichen Bummel gekidnappt wird, wie die Kleinkriminellen (angeführt von Romain Duris), die ihn in ihrer Gewalt haben, langsam die Nerven verlieren, schließlich sogar auffliegen, aber ihr Opfer noch an die Mafia verkaufen können, die zuletzt ganz andere Seiten aufzieht. Dabei gibt es zahlreiche Wendungen, hin und wieder auch einen spannenden Moment, aber leider auch die eine oder andere Länge. Wirklich intensiv ist vor allem das letzte Viertel ausgefallen, in dem sich das Schicksal der Familie erfüllt und die Beteiligten in die Abgründe von Gier und Gefühlskälte blicken. Das alles wird von Scott gewohnt routiniert und in tollen Bildern erzählt, kann jedoch die Schwächen des Drehbuchs von David Scarpa (nach dem Buch von John Pearson) nicht wettmachen.
Auch in The Wizard of Lies steht ein mächtiger Mann im Mittelpunkt der Ereignisse: Bernie Madoff ist eine Legende in seinem Fach, hoch angesehen von seinen Kollegen und ein geschätzter Berater der Regierung, für die er viele Regularien im Finanzsektor entworfen hat. Ein Fachmann ersten Ranges also, der jedoch nach den schweren Verlusten des Black Monday von 1987 beschließt, diese zu vertuschen und ein Betrugssystem aufzuziehen, das seine Reputation erhalten soll. Am Anfang steht also die reine Eitelkeit, und weil alles so wunderbar funktioniert, nimmt der Betrug immer größere Dimensionen an. Am Ende unternimmt Madoff nicht einmal mehr den Versuch, Profite über die Börse zu erzielen, sondern zahlt alte Anleger nur noch mit dem Geld neuer Anleger aus, was unweigerlich zu einem Crash führen muss.
Der Film von Barry Levinson konzentriert sich vor allem auf die Frage, wie viel seine Ehefrau und vor allem die Söhne Andrew (Nathan Darrow) und Mark (Alessandro Nivola) gewusst haben, die beide für ihren Vater tätig waren. Dabei wird von einer komplizierten Vater-Sohn-Beziehung erzählt, die auf einer Mischung von uneingeschränkter Bewunderung und geschickter emotionaler Manipulation beruht und vor allem von Madoffs Betrugssystem beeinflusst wird. Weil er niemanden einweihen will, muss er seine Söhne bei den Geschäften außen vorlassen, auf der anderen Seite will er auch nicht, dass sie eigene Wege gehen, weshalb er sie gleichzeitig für ihren Eifer und ihre Einsatzbereitschaft lobt, andererseits aber auch gegeneinander ausspielt und bei jeder Gelegenheit klein macht. Perfekt auf den Punkt gebracht wird es in einer Szene, in der Madoff Mark auf einer Party dazu zwingt, Hummer zu essen, obwohl er diesen nicht einmal mag.
Wie kalt und berechnend Madoff sich verhält, wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass er seine Geschäfte eines Tages seinen Söhnen übergeben muss und sie dadurch zu Komplizen macht. Er bindet sie an sich, um sie zu seinen Nachfolgern aufzubauen, während er sie gleichzeitig im Ungewissen über die Natur seiner Geschäfte lässt. Das hat schon fast die Qualität eines Shakespearschen Dramas, vor allem wenn Mark daran und an der fortgesetzten Verfolgung durch die Medien und die Opfer zerbricht.
Sowohl das Leben von Getty als auch das von Madoff wird vom Geld bestimmt, das für beide Mittel zum Zweck ist – um sich sicher zu fühlen, um beneidet und anerkannt zu werden, es definiert, wer sie sind. Beide sind äußerst gefühlskalt und skrupellos und haben einzig und allein die eigenen Interessen im Sinn. Was sie ihren Familien antun, interessiert sie nicht, und ihre Kinder betrachten sie als ihr Eigentum, mit dem sie nach Belieben verfahren können, und sollten ihre Nachkommen dabei Schaden nehmen, interessiert es sie nicht.
Wegen seines quasi-dokumentarischen Charakters ist The Wizard of Lies ein etwas sperrigeres Stück mit einigen inhaltlichen Schwächen. Obwohl es beispielsweise einige Ansätze zur Erklärung gibt, wird nicht so recht klar, wie der Betrug so lange so gut funktionieren konnte und wer alles eingeweiht war. Auch die Opfer kommen viel zu kurz. So entsteht zwar ein faszinierendes Porträt über eine Familie, die an einem der größten Betrugsskandale der Finanzgeschichte zerbricht, aber dem Film fehlt die nötige informative Tiefe, erzählerische Wucht und gesellschaftliche Relevanz, um zu hundert Prozent zu überzeugen. Dennoch lohnt sich das Anschauen, allein schon wegen der tollen darstellerischen Leistungen.
Der Volksmund hat es ja schon immer gewusst: Geld verdirbt den Charakter. Und John Paul Getty hat auch noch eine weitere Weisheit beizusteuern, wenn er im Film sagt, dass die wahre Kunst nicht darin besteht, reich zu werden, sondern reich zu bleiben. Bernie Madoff kann das bestätigen.
Noten:
Alles Geld der Welt: 3+
The Wizard of Lies: 3