Gesellschaftliche Relevanz ist deutschen TV-Redakteuren und Produzenten unheimlich wichtig. Jeder Film muss hierzulande relevant sein, egal ob es sich dabei um eine harmlose Komödie oder ein düsteres Drama handelt. Bei letzterem kann ich das immerhin nachvollziehen, gerade im dramatischen Segment ist die Nähe zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wichtig und wünschenswert, aber bei einer Komödie ist dieser Aspekt allenfalls ein Bonus.
Honig im Kopf war sicherlich auch deshalb so ungeheuer erfolgreich, weil er ein sensibles Thema, das immer mehr Menschen beschäftigt und berührt, angesprochen hat, aber ich glaube kaum, dass die Leute deshalb ins Kino gegangen sind. Und wäre der Film ein Jahr früher oder später in die Kinos gekommen, wäre er vermutlich ähnlich erfolgreich gewesen. Auf der anderen Seite ist ein Film wie Fack ju Ghöte 3 auch ohne erkennbare Relevanz erfolgreich gewesen. Oder glaubt tatsächlich jemand, dass die Zuschauer ihn wegen seines scharfsinnigen Kommentars zur deutschen Bildungslandschaft angeschaut haben?
Ich schreibe dies, weil ich als Autor zusehends genervt bin von den Ansprüchen der Entscheider, nur noch „relevante“ Stoffe zu fördern oder zu produzieren, wobei die Relevanz immer im Sinne des jeweiligen Produzenten oder Förderers gewertet wird. Im Grunde ist es ein Totschlagargument, um jeden Stoff ablehnen zu können, der einem nicht genehm ist.
Der zweite Grund, warum ich das Thema kurz angerissen habe, ist der Film, um den es heute geht und der tatsächlich ungeheuer relevant ist, setzt er sich doch mit der Finanz- bzw. Bankenkrise in den USA vor zehn Jahren auseinander und speziell mit den Zwangsvollstreckungen von Häusern, deren Besitzer die Hypotheken nicht mehr bezahlen können.
99 Homes: Stadt ohne Gewissen
Als der Immobilienmarkt in den USA zusammenbricht, verliert auch der Handwerker Dennis Nash (Andrew Garfield) zuerst seinen Job und dann sein Haus, weil er die Hypothekenraten nicht mehr bedienen kann. Zusammen mit seiner Mutter (Laura Dern) und seinem Sohn wird er von heute auf morgen vor die Tür gesetzt. Dahinter steckt der gewiefte Immobilienhändler Rick Carver (Michael Shannon), der auf diese Weise an billige Häuser kommt. Doch Carver wird auf den geschickten Dennis aufmerksam und bietet ihm an, für ihn zu arbeiten. Dennis lässt sich darauf ein, um sein Haus zurückzubekommen – und setzt bald selbst in Not geratene Menschen vor die Tür …
Es ist ein faustischer Pakt, den der junge, ein wenig naive Dennis da schließt, aber er sieht in ihm die einzige Möglichkeit, seiner Familie wieder ein Zuhause bieten zu können. Auch der Titel des Films deutet bereits darauf hin, dass ein Haus nicht nur eine Behausung, sondern in erster Linie ein Zuhause ist. Die intensivsten und stärksten Szenen des Films sind entsprechend jene, in denen Familien aus ihrem Zuhause vertrieben werden, mit polizeilicher Unterstützung und der Androhung von Gefängnis – wegen Hausfriedensbruch. Zynischer kann eine Gesellschaft mit in Not geratenen Mitgliedern nicht mehr umgehen.
Diese Ungerechtigkeit entfacht beim Zuschauen große Empörung und sorgt dafür, dass man sich schon in den ersten Minuten auf die Seite von Dennis und seiner Familie schlägt. Sobald Dennis allerdings seinen neuen Job angetreten hat, weiß man, dass er dabei seinen Seelenfrieden gefährdet und letztlich seine Unschuld verliert. Sein schlechtes Gewissen meldet sich, er verschweigt aus Scham seine neue Tätigkeit gegenüber Mutter und Sohn, aber am Ende gewinnt auch bei ihm die Gier. Er will mehr und schreckt dabei nicht einmal vor Betrug zurück – mit schrecklichen Folgen.
Regisseur Ramin Bahrani, von dem auch die Idee zum Film stammt, erzählt die Geschichte eines Mannes, der nur das Beste will und dabei das Schlimmste bewirkt, für sich, seine Familie und andere. Mitunter ist das ein wenig plakativ geraten, und sein Aufstieg von der Hilfskraft zum aktiven Partner Carvers vollzieht sich auch viel zu rasch, aber Andrew Garfield gelingt es überzeugend, diese Wandlung glaubwürdig zu machen.
Beeindruckend ist vor allem jedoch Michael Shannon als skrupelloser Immobilienhai, der selbst im Elend seiner Mitmenschen noch ein gutes Geschäft wittert. Er verkörpert die Gier des Kapitalismus, der alles auffrisst. Shannon gelingt es aber, seine Figur nicht im Klischee erstarren zu lassen, denn sogar bei ihm blitzt hin und wieder noch eine menschliche Regung auf, beinahe etwas wie Mitleid, das er jedoch schnell wieder in die finsteren Ecken seiner Seele verbannt. Das ist großartig gespielt.
Nach einer sehr starken, emotionalen ersten Hälfte fällt der Film leider ab, zu vorhersehbar ist Dennisʼ Entwicklung, zu wenig dramatisch sein innerer Konflikt. Auch das abrupte und nicht wirklich befriedigende Ende lässt zu wünschen übrig.
Note: 3