The Hateful 8

Meine Festplatte ist zu groß. Eigentlich stimmt das nicht, mit zwei Terabyte ist sie groß genug, um jede Menge Filme und Serienfolgen aufnehmen zu können, aber genau das ist das Problem: Man denkt, dass man jede Menge Platz hat, und nimmt daher mehr auf, als man anschauen kann. Und weil ständig Neues hinzukommt, rutscht das Alte immer weiter nach hinten und gerät in Vergessenheit.

The Hateful 8 ruhte ungefähr ein Jahr lang im digitalen Archiv, bevor ich endlich Zeit und Lust hatte, ihn mir anzusehen. Vor allem an der Lust ist es lange gescheitert – und an der Spieldauer von rund 160 Minuten. Quentin Tarantinos Frühwerk hat mir damals sehr gut gefallen, aber schon mit Jackie Brown bin ich nicht mehr richtig warm geworden, und seither fand ich eigentlich nur noch die beiden Kill Bill-Filme ganz ordentlich. Hinzu kam, dass ich von vielen gehört hatte, dass sein letzter Western nicht sonderlich berauschend sei. Aber irgendwann muss man sich die Filme ja anschauen, und sei es nur, um wieder Platz auf der Festplatte zu schaffen …

The Hateful 8

Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) braucht im tiefsten Winter von Wyoming eine Mitfahrgelegenheit, und da kommt die Postkutsche mit seinem Kollegen John Ruth (Kurt Russell) gerade recht. Dieser transportiert die steckbrieflich gesuchte Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) zum nächsten Ort, um sie dort hängen zu lassen und die Belohnung zu kassieren. Ruth ist misstrauisch und fürchtet, dass Daisys Bande versuchen könnte, sie zu befreien. Doch er nimmt Marquis mit, und dann treffen sie noch auf den dubiosen Chris Mannix (Walton Goggins), der behauptet, der neue Sheriff zu sein, und machen schließlich Station in einem Rasthaus, das von dem Mexikaner Bob (Demián Bichir) kommissarisch geleitet wird und in dem Joe Gage (Michel Madsen), Oswaldo Mobray (Tim Roth) und ein Ex-General (Bruce Dern) den aufziehenden Schneesturm aussitzen.

Die 70 mm-Bilder von Kameramann Robert Richardson sind superb und erinnern an die Hochzeit des amerikanischen Western, wozu auch die bestechende Musik von Altmeister Ennio Morricone beiträgt. Dadurch ist von Anfang an die Stimmung gesetzt – nur um schon bald wieder von Tarantino unterlaufen zu werden, denn sobald die Protagonisten im Rasthaus ankommen, verwandelt sich der Film in ein Kammerspiel. Tarantino, der sonst gerne und lustvoll zitiert und dadurch seinen Genrefilmen eine Doppelbödigkeit verleiht, die über die eigentliche Geschichte hinausreicht, scheint sich nicht so recht zu trauen, dieses Konzept auch hier anzuwenden. Oder er hat mit Django Unchained schon sämtliche Einfälle verbraucht. Jedenfalls wirkt The Hateful 8 eher so, als hätte Agatha Christie versucht, einen Western zu schreiben.

Natürlich beginnen die einzelnen Reisenden schon bald, einander zu misstrauen. Weiß hetzt gegen Schwarz, die Nordstaatler gegen die erst vor wenigen Jahren unterlegenen Südstaatler, und dann stellt sich noch heraus, dass Marquis den Sohn des Generals auf dem Gewissen hat. Zusätzlich schwebt über allem die permanente Bedrohung durch Daisys Bande, die möglicherweise einen der ihren in die Gruppe geschmuggelt hat.

Es gibt also mehr als genug Konfliktpotential, von dem auch einiges zur Entfaltung kommt, aber bis endlich etwas passiert, dauert es viel zu lange. Hin und wieder wird Daisy von Ruth verprügelt, was unanständigerweise für Erheiterung sorgt, aber ansonsten wird einfach nur viel geredet. Tarantino war einmal berühmt für seine treffsicheren Dialoge, selbst wenn sich diese nur im Kreis drehten, aber diesmal hat ihn sein Händchen komplett im Stich gelassen. Abgesehen von ein paar Bonmots und einigen wichtigen Informationen zum Verständnis der Geschichte ist alles, was die Protagonisten von sich geben, nur Geschwätz. Und es ist langweilig. So langweilig, dass ich zwischendurch eingeschlafen bin …

Dass keine Spannung bei mir aufkommen wollte, lag auch daran, dass einem die Figuren weder wichtig genug sind, um sie zu mögen oder wenigstens zu hassen. Sie sind einem einfach nur egal, weshalb auch die irgendwann einsetzende Dezimierung nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip (darf man das eigentlich heute noch so nennen oder müsste man nun Afrikanerlein sagen?) die Geschichte nicht retten kann. Tarantino schafft es einfach nicht, die nötige Rätselspannung zu erzeugen, die einen um sympathische Charaktere bangen lässt und die Suche nach dem Bösewicht vorantreibt.

Sehenswert ist allenfalls noch die Gewaltorgie, die satirisch überzeugen und auf groteske Weise blutig ist. Hier explodieren Köpfe und spritzen wahre Fontänen aus selbst den kleinsten Schusswunden. Hat man zwar alles schon mal gesehen, nimmt man aber dankbar mit, weil jede Verkleinerung der Darstellerriege das Ende des Films näher rücken lässt. Wäre der Film eine Stunde kürzer, vielleicht wäre die Geschichte dann etwas flotter und interessanter gewesen.

Dank der Bilder, der Musik und der durchweg guten darstellerischen Leistungen kann man sich den Film anschauen. Muss man aber nicht.

Note: 4

Heute Mittag beginnt die Münchener Filmwoche, von der wir natürlich berichten werden, allerdings vielleicht nicht immer zeitnah, denn an manchen Abenden scheint es wieder sehr spät zu werden …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.