Diesmal gibt es wieder eine Empfehlung für einen Neustart des Wochenendes. Ich konnte den Film bereits Anfang August auf der Filmmesse Köln sehen, musste mir dafür allerdings die halbe Nacht um die Ohren schlagen. Hat sich aber gelohnt …
Detroit
1967 kommt es in Detroit zu Unruhen, nachdem die Polizei eine Razzia in einer Bar ohne Schanklizenz veranstaltet und etliche Afroamerikaner verhaftet hat, die dort gerade die Rückkehr eines Vietnam-Veterans gefeiert haben. Der spontane Protest der Anwohner verwandelt sich schnell in einen unkontrollierbaren Gewaltausbruch, bei dem etliche Geschäfte geplündert und Häuser in Brand gesetzt werden. Die Nerven liegen blank, die Nationalgarde wird mobilisiert. Als der Streifenpolizist Philip Krauss (Will Poulter) einem Flüchtenden in den Rücken schießt, bekommt er zwar Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten, darf aber seinen Dienst fortsetzen. Noch am selben Abend wird er zum Algiers Hotel gerufen, von dem aus angeblich auf Polizisten geschossen wurde. Zusammen mit Armeemitgliedern stürmt er das Gebäude und setzt die afroamerikanischen Gäste fest. Darunter befinden sich auch der Musiker Larry (Algee Smith), der auf dem Rückweg von einem Auftritt war und wegen der Unruhen nicht nach Hause fahren konnte, der Kriegsveteran Greene (Anthony Macke) und zwei weiße junge Frauen (Hannah Murray und Kaitlyn Dever). Dismukes (John Boyega), der Sicherheitsmann eines nahegelegenen Geschäfts, kommt der Polizei zu Hilfe – kann aber nicht verhindern, was in der Nacht geschieht.
In nicht allzu langer Zeit wird es vermutlich einen Film über die Ereignisse von Fergusson geben, das zum Synonym geworden ist für eine neue Welle polizeilicher Gewalt gegen Afroamerikaner. Wir in Europa waren überrascht, dass es in den USA, immerhin land of the free, so viel offenen Rassismus, so viel Feindseligkeit und Gewalt gibt. Was dabei häufig übersehen wird, ist die Tatsache, dass es diese systemimmanente Gewalt immer gegeben hat, sie immer ein Teil der amerikanischen Gesellschaft war. Nur wurde selten darüber berichtet, in der Regel nur, wenn einzelne Vorfälle weite Kreise gezogen haben wie etwa beim Rodney-King-Prozess und den folgenden Ausschreitungen oder dem Fall O.J. Simpson.
Die Unruhen von Detroit, die zu jener Zeit nicht die einzigen waren, gehören zu den schlimmsten in der amerikanischen Geschichte und haben über vierzig Todesopfer gefordert. Viele Häuser wurden ein Opfer der Flammen, weil auch die Feuerwehr angegriffen und am Löschen gehindert wurde, und zahlreiche Geschäfte wurden geplündert. Es waren bürgerkriegsähnliche Zustände, die auf sehr eindrucksvolle Weise von Kathryn Bigelow auf die große Leinwand gebannt werden. Alte Filmausschnitte wurden geschickt in die Handlung integriert, das moderne Filmmaterial qualitativ angeglichen.
Bigelow wird zur Chronistin jener Tage, führt uns hautnah an das Geschehen heran. Wir sind in der Bar, die gestürmt wird, werden Zeuge, wie die ersten Flaschen und Steine geworfen werden. Langsam lernen wir die späteren Protagonisten kennen, deren Wege sich allesamt im Algiers Hotel kreuzen werden. Es ist ein Ensemblefilm, in dem es keine eindeutige Hauptfigur gibt, was den Zugang zur Geschichte etwas erschwert, zumal immer wieder neue Figuren auftauchen, neue Episoden angerissen werden. Das ist am Anfang etwas verwirrend.
Doch nach und nach schält sich eine Geschichte heraus, die zwar nicht unkompliziert ist, sich aber auf einen klaren Kern reduzieren lässt: Es geht um Macht und ihren Missbrauch vonseiten der Polizei. Will Poulter spielt den rassistischen, hinterhältigen Cop so eindringlich und überzeugend, dass man seine Figur regelrecht hasst. Wie er die Hotelgäste drangsaliert, erniedrigt und misshandelt, ist stellenweise kaum zu ertragen. Als Zuschauer empfindet man angesichts der himmelschreienden Ungerechtigkeit schiere Wut.
Die tragischsten Figuren sind zum einen Dismukes, den John Boyega als ehrlichen, hart arbeitenden und bescheidenen Mann porträtiert, der sich mit dem System arrangiert hat, ohne zu verzweifeln, und Larry, der eine große Karriere als Musiker vor sich hat und den die Ereignisse jener Nacht und die Ermordung eines Freundes traumatisieren und letztlich zerbrechen. Auch das ist großartig gespielt.
Die Nacherzählung der Geschehnisse im Algiers ist hochspannend und der Höhepunkt des Films, der damit aber noch nicht zu Ende ist. Denn die Folgen jener Nacht reichen bis in unsere Gegenwart, und Bigelow erzählt zudem auch noch die juristische Aufarbeitung des Falls. Das ist zwar interessant und teilweise verstörend, verlangsamt den Film aber im letzten Drittel und verschiebt ein wenig die Gewichtung.
Kathryn Bigelows Filme sind stets von einer fiebrigen Intensität und nervösen Eindringlichkeit, die einen unmittelbar am Geschehen teilhaben lässt. Dabei nimmt sie sich in der Art der Inszenierung stark zurück und liefert dokumentarisch anmutende Bilder, die dennoch ihre Wirkung nicht verfehlen.
Note: 2