Unser Essen vom Vorabend zeigte eine ebenso unerwartete wie unerfreuliche Nachwirkung: Mark G. wurde krank. Vielleicht lag es aber auch nicht am Salat, sondern an einem ganz ordinären Magen-Darm-Virus, jedenfalls mussten wir die letzten Tage auf Sizilien ein wenig umplanen. Ein Ausflug nach Corleone ließen wir vorsorglich ausfallen, aber den Dom in Monreale wollten wir unbedingt sehen.
Wir machten uns daher am späten Mittwochvormittag auf den Weg, der uns vom Meer wieder hinauf in die Berge führte. Über endlose Serpentinen ging es hinauf, dann durch kurvenreiche Gassen in kleinen Orten, die sich verwegen an die Hänge klammerten, wieder hinunter. Die Spitzen der Berge waren von Wolken verhüllt, und fast rechneten wir mit Regen, so dunkel war es zeitweilig. Nach einer Weile lugte jedoch die Sonne wieder hervor und beschien ein weites, wunderschönes, aber auch recht karges Tal.
Der letzte Ort vor Monreale hieß Pioggi oder so ähnlich – bei uns nur „Pipopo“ genannt – und zog sich schier endlos links und rechts der Hauptstraße entlang. Natürlich gab es keine Gehsteige, so dass einem ständig jemand vors Auto lief, manche hielten auch in zweiter Reihe, um mit dem Nachbarn zu plaudern, oder hupte ihm wenigstens freundlich zu. Und in so einem Städtchen kennt natürlich jeder jeden …
Kurzum: Es war kein Vergnügen, weder die Hinfahrt noch der Weg zurück, als die Schule aus war und alle Eltern ihre Sprösslinge mit dem Wagen abholen wollten. Zig Beinahe-Unfälle später kamen wir nach Monreale und hatten das große Glück, nur wenige hundert Meter von der Kathedrale einen Parkplatz zu finden.
Von der Stadt haben wir nur wenig gesehen, der Dom ist dafür umso beeindruckender: Im Mittelalter von den Normannen erbaut, prunkt er mit unzähligen Mosaiken auf Goldgrund, die die gesamte Bibel nacherzählen: Adam und Eva, die Arche Noah und die Lebensgeschichte von Jesus – es war ein heiteres Bilderraten. Punkt zwölf Uhr Mittag wurde auch gebetet, zuvor läutete aber jemand eine kleine, doch sehr laute Glocke – und erschreckte uns Touristen, die direkt darunter standen, fast zu Tode.
Vom Dom aus ging es noch in den Kreuzgang des benachbarten Klosters, dessen Stil unverkennbar arabische Einflüsse trägt und der sehr elegant wirkt. Wenn man schon mal vor Ort ist, sollte man sich diesen Abstecher keinesfalls entgehen lassen.
Den Rest des Tages verbrachten wir dann ganz unspektakulär im Hotel. So ein bisschen Ruhe tut ja auch mal ganz gut.
Am Donnerstag war Mark G. – nach rund dreizehn Stunden Schlaf – soweit wiederhergestellt, dass wir wie geplant nach Cefalù fahren konnten, um uns den letzten imposanten Normannendom anzuschauen, der noch auf unserer Liste steht. Roger II. war es, glaube ich, der den Bau begonnen hat, nachdem er in einem Sturm zu kentern drohte und geschworen hatte, eine prächtige Kirche an der Stelle zu errichten, an der er sicher an Land gelangt. So kam Cefalù zu seiner Kirche. Doch nach einer Weile verlor der König die Lust an seiner Aufgabe und ignorierte sein Gelübde, weshalb der Bau bis heute nicht unvollendet ist.
Davon merkt man aber nicht viel, wenn man davorsteht, außer man ist vielleicht Kunsthistoriker. Der Innenraum wurde irgendwann einmal barockisiert, so viel kann auch das Laienauge feststellen, und ist insgesamt nicht ganz so beeindruckend wie die Kathedrale von Monreale, aber auch hier gibt es wunderschöne Mosaike zu bewundern. Sollte man gesehen haben. Den angrenzenden Kreuzgang haben wir uns diesmal gespart, denn verglichen mit dem Gebäude vom Vortag kann er nicht mithalten. Die restlichen Altertümer sind eher zu vernachlässigen: Das sarazenische Waschhaus, eher ein offener Hof, ist allenfalls kurios.
Cefalù ist ein entzückendes Städtchen am Meer mit Riviera-Flair, das nur einen Nachteil hat: Es ist zu beliebt. Selbst jetzt in der Nachsaison brauchte man nur einen Stein zu werfen und traf garantiert einen Touristen. Aber kann man es ihnen verdenken? Der Strand machte einen einladenden Eindruck, die Kulisse ist das perfekte Klischee einer italienischen Stadt mit pittoreskem Hafen und engen Gassen. Natürlich quetschen sich auch hier ständig Autos und Vespas durch und steht ein Souvenirladen neben dem anderen, aber es gibt auch verträumte Höfe, und vor den Fenstern flattert munter die Wäsche der Bewohner.
Leider konnten wir nicht lange verweilen, denn wir hatten noch eine mehrstündige Fahrt vor uns. Unterwegs wollten wir eigentlich noch das Fiumara d’Arte – „Flussbett der Kunst“ – sehen, ein riesiger Skulpturenpark mit einem halben Dutzend monumentaler Kunstwerke, den ein lokaler Bauunternehmer ins Leben gerufen hat. Leider hätte eine Fahrt dadurch mindestens den halben Tag gekostet, weshalb wir lediglich einen Blick auf das „Monument an einen toten Dichter“ von Tano Festa werfen konnten, das wie ein großes Fenster aussieht – oder wie das Logo einer bekannten Bank …
Über die Autobahn ging es entlang der Küste nach Osten, Richtung Messina. Vom Meer, das hier tiefblau ist, und der schönen Landschaft, die aus überraschend grünen und mit lichten Wäldern bewachsenen Hügeln besteht und an Mittelitalien erinnert, haben wir jedoch nicht allzu viel gehabt, denn die Autobahn führte durch unzählige Tunnel. Manche waren nur ein paar hundert Meter lang, andere dafür mehrere Kilometer. Einige waren relativ neu und besaßen sogar eine gute Beleuchtung und Notausgänge, andere waren nahezu pechschwarz. Der längste Tunnel führte stetig leicht nach unten und begann plötzlich nach Schwefel zu riechen, da fragten wir uns schon, wo wir am Ende wohl herauskommen würden …
Rund hundert Tunnel später erreichten wir endlich unser letztes Etappenziel: Villafranca Tirrena bzw. Eine nahgelegenes Dörfchen namens Sapponara, das eher nach einem japanischen Sake klingt. Unser Hotel ist eine ungewöhnliche Mischung aus Wellnessoase und Ferien auf dem Bauernhof. Man kann sich hier massieren lassen, Schlammbäder nehmen oder eine Maniküre bestellen, gleichzeitig kann man auch Pferde ausleihen oder auf der hoteleigenen Anlage eine Runde reiten. Nicht, dass ich das eine oder andere vorhätte, aber mal sehen …
Das Beste ist eindeutig der riesige Infinity-Pool mit Blick aufs Meer, die Eolischen oder Liparischen Inseln und sogar das italienische Festland. Bei der tollen Aussicht fiel es mir wirklich schwer, mich aufs Schwimmen zu konzentrieren. In der Nacht glitzerte dann das Lichtermeer (okay, allenfalls ein Lichtersee) von Sapponara unter uns, und am Horizont entdeckten wir ein schwaches, orangenes Glimmen, das vermutlich einer der viertelstündlichen Ausbrüche des Stromboli war.
Weil wir keine Lust hatten, in der Dunkelheit noch den Berg runterzufahren, kehrten wir im hauseigenen Restaurant ein. Die Speisekarte war überschaubar, Preise waren nicht vermerkt, und der Wein kam aus dem Automaten, aber es hat geschmeckt. Solide Hausmannskost mit großen Portionen (Pasta mit Tomaten und Muscheln, gebratener Fisch bzw. Schnitzel mit Spinat und Gelato).