Der Sonntag ist wohl überall in Europa der Tag, an dem die Menschen Ausflüge unternehmen. Da wir uns nicht entscheiden konnten, ob wir ans Meer oder lieber in die Berge fahren sollten, dachten wir uns: Warum nicht beides? Castellamare befindet sich schließlich am Meer, umgeben von hohen Bergen – was will man also mehr?
Eine knappe Autostunde entfernt liegt Erice, ein uraltes Bergstädtchen, das als „das sizilianische Rothenburg ob der Tauber“ gehandelt wird, weil es sich weitgehend seinen mittelalterlichen Charme bewahrt hat. Von seinen Mauern hat man einen wunderschönen Blick auf die umliegenden Ebenen und das Meer, dafür muss man jedoch eine steile, zum Glück gut ausgebaute Straße hinauffahren.
Im Sommer hoffnungslos überlaufen, sollte in der Nachsaison eigentlich langsam Ruhe einkehren. Entsprechend erwarteten wir ein beschauliches Städtchen mit gemütlichen Cafés und lauschigen Plätzchen, die im Trubel häufig übersehen werden. Doch schon bei unserer Ankunft wurde uns klar, dass das mit der Beschaulichkeit wohl nichts werden würde: Auf dem Parkplatz standen etliche Reisebusse, und es war schwierig, überhaupt noch eine Parkbucht zu finden. In den Straßen drängten sich wahre Menschenmassen, vor allem Deutsche und Franzosen, aber auch ein oder zwei amerikanische Gruppen und jede Menge Italiener, die versuchten, sich ihr Land von den Touristen zurückzuholen.
Die Gassen sind sehr eng und ziehen sich steil den Berg hoch, an dessen Hängen die Häuser kleben wie eine Kolonie von Schwalbennestern. Hier und da gibt es zwar einige kleinere Plätze, aber insgesamt ist die Altstadt doch sehr beengt. Doch gerade dieses Aufeinandergedrängtsein, die gewundenen Gassen aus grauem Stein, die Häuser dicht an dicht gebaut und mit alten Laternen und eisernen Balkonen geschmückt, sorgt für eine heimelige Atmosphäre. Da es so hoch liegt, bleiben häufig Wolken am Berg hängen und hüllen den Ort in geheimnisvollen und vermutlich kühlen Nebel. Ein romantisches, einsam gelegenes Plätzchen – und genau deshalb so ungeheuer beliebt. Erice hat sich inzwischen voll und ganz auf den Tourismus eingestellt. Es gib Kombitickets für die wichtigsten Kirchen sowie für das Museum und die beiden Festungen, an den Gebäuden wurden mehrsprachige Tafeln angebracht, und die Stadtgeschichte für Interessierte knapp zusammengefasst. Souvenirshop reiht sich an Souvenirshop, und dazwischen werben sich Gaststätten und Cafés gegenseitig die Kunden ab.
Wir waren rund zwei Stunden unterwegs, haben uns die meisten Kirchen und eine Klosterruine angesehen (so viel zu churched out), hatten aber keine Lust, uns zu den vielen anderen Touristen in ein Lokal zu quetschen. Erice kann nicht mit einem architektonischen Highlight oder einem kunsthistorischen Meisterwerk aufwarten, es ist der Gesamteindruck, der überzeugt und dem Besucher ein anheimelndes Bild der Vergangenheit vermittelt. So, genau so stellt man sich das Leben hier in den letzten Jahrhunderten vor. Dabei ist es gerade seine abgeschiedene, verträumte Existenz, an der die Hektik und das Chaos unserer Zeit scheinbar spurlos vorübergegangen sind, die der Stadt zum Verhängnis werden könnte.
In über siebenhundert Metern Höhe haben wir auch erstmals einen Hauch von Herbst gespürt, vereinzelte Laubkronen trugen bereits Gelb, und es war im Schatten durchaus ein wenig kühl. Ein kleiner Vorgeschmack auf unsere Rückkehr nach Deutschland nächste Woche. Das änderte sich jedoch schlagartig, als wir wieder ans Meer fuhren.
Trapani liegt nur wenige Kilometer entfernt und ist vom Kirchturm des Doms in Erice aus gut zu sehen. Vorgestellt haben wir uns einen belebten Hafen und eine quirlige, moderne Innenstadt, in der durchaus noch das eine oder andere Barockjuwel zu finden ist, aber wir wurden enttäuscht. Schon auf dem Weg ins Zentrum fielen uns die nahezu leeren Straßen auf, und als wir in der Altstadt unterwegs waren, wurden die engen, recht düsteren Gassen plötzlich menschenleer. Die einzigen Menschen, die wir sahen, waren der selbsternannte Parkplatzwächter, der uns ziemlich wichtigtuerisch und illegal Kleingeld abgeknöpft hat und uns dabei so ansah, als würde er mit dem Verlust oder der Beschädigung unseres Autos drohen, sollten wir die Zahlung verweigern, und drei Frauen, die aufgeregt durcheinanderredeten, wobei eine hemmungslos schluchzte. Man hätte in den verwaisten Gassen wunderbar einen Katastrophenfilm oder eine Geschichte über die Zombieapokalypse drehen können, ohne weiträumige Absperrungen vornehmen zu müssen. Lediglich in der Hauptstraße waren einige Cafés geöffnet, Menschen unterwegs und begegneten uns Autos.
Obwohl es hier und da ein paar nette Fleckchen gab, konnte uns die Stadt nicht so recht überzeugen, weshalb wir uns noch ein Gelato kauften und dann wieder ins Auto setzten. Die Reise ging weiter die Küste hinunter nach Marsala, das vor allem für seinen gleichnamigen Wein berühmt ist. Am Sonntag waren jedoch fast alle Keltereien geschlossen, was zu einem dramatischen Rückgang bei den Besuchern geführt hat.
Nicht ganz so verwaist wie Trapani, zeigte sich Marsala von einer beschaulichen Seite, die man gepflegte Sonntagsruhe nennen könnte. Hier und da hatte ein Souvenirladen offen, alles andere aber und bis auf den sehenswerten Dom auch jede Kirche war geschlossen. Dafür konnte man gemütlich durch die hübsche Altstadt schlendern, in einem Café eine Tasse Tee trinken (etwas, das ich hier wirklich vermisse: guten Tee) und sich seines Lebens freuen.
Der Rückweg führte uns über die Via del Sale, die Salzstraße, nach Norden. Unterwegs hielten wir an einer Saline an, um uns die in der Sonne glitzernden Becken anzusehen, in denen Wasser verdunstet und Meersalz gewonnen wird. Gerne hätten wir uns eine der pittoresken Windmühlen näher angesehen, doch leider war das nicht möglich. Dafür konnte man Salz verkosten, was eine seltsame Erfahrung war und auf Dauer recht durstig machte. Natürlich konnte ich nicht widerstehen und habe mir neben einer Packung grobem Meersalz auch noch ein mit Orangen und diversen Pfeffersorten aromatisiertes Salz gekauft. Keine Ahnung, wozu ich das jemals brauchen werde …
Auf dem Weg zurück kamen wir durch einen sehr kleinen Ort, in dem gerade eine Prozession zu Ende ging. Wir sahen noch, wie eine Madonnenstatue auf einem Gestell in die Kirche zurückgetragen wurde, und vor nahezu jedem Haus stand eine kleine Muttergottes auf einem festlich geschmückten Tisch. Als Tourist, der noch dazu im Wagen an diesen Alltagsszenen vorbeidüst, bleibt man ja nur ein Zaungast bei diesen Zeremonien, deren Anlass und Bedeutung sich einem nicht in Gänze erschließen. Das ist wirklich schade, vermittelte einem aber selbst in der Kürze einen authentischeren Eindruck vom echten Sizilien als die schmucke Altstadt von Erice.
P.S. Inzwischen sind wir wieder in Deutschland und hinken mit der Veröffentlichung ganz schön hinterher. Aber es war uns leider nicht immer möglich, zeitnah die Fotos auszuwählen und die Beiträge zu veröffentlichen – und an manchen Tagen hatten wir nicht einmal ein gut oder überhaupt funktionierendes Internet. Die restlichen Beiträge folgen aber nun regelmäßig bis zum Ende der Woche.