Navi auf Abwegen

agr3Langsam, aber sicher bin ich davon überzeugt, dass unser Navi heimlich mit der Mafia zusammenarbeitet. Am Mittwoch brachen wir nach einem letzten, wunderbaren Frühstück in unserem sizilianischen Lieblingscafé auf, um nach Agrigento zu fahren, und beschlossen, in Enna einen Zwischenstopp einzulegen. Die Stadt, auf einem Bergrücken in rund tausend Metern Höhe gelegen, gilt als „der Nabel Sizilien“, und von seinen Rändern hat man einen großartigen Blick auf die umliegende Landschaft.

Nachdem uns unser altes Navi ein paar Mal im Stich gelassen hatte, beschlossen wir, diesmal eine neue App auszuprobieren. Zunächst lief auch alles wunderbar, doch dann bestand unsere Trulla darauf, ein, zwei Ausfahrten früher als gedacht von der Autobahn abzufahren. Genau an der Stelle befand sich ein großes Outlet-Center, und wir witzelten schon, dass die Mafia unser Navi gehackt hat, um uns dorthin zu locken.

Stattdessen ging es weiter – vorbei an einem zweiten Outlet-Center in einer leeren Fabrikhalle mit einem derart dubiosen Charme, dass dort vermutlich nur Dinge verkauft werden, die zufällig „vom Lastwagen gefallen sind“. Aber unsere Trulla lotste uns noch weiter, immer tiefer hinein ins sizilianische Hinterland, das nur noch aus brachliegenden Äckern, verlassenen Höfen und heruntergewirtschafteten Fabriken bestand. Der Zustand der Straße, der ohnehin nicht besonders gut war, verschlechterte sich von Kilometer zu Kilometer, bis sich Schlagloch an Schlagloch reihte und irgendwann der Asphalt aufhörte. Eine Weile fuhren wir noch auf einer Schotterpiste weiter und rechneten damit, jederzeit einem Eselskarren zu begegnen. Zu diesem Zeitpunkt dämmerte uns bereits, dass unser Navi uns entweder in einen Hinterhalt locken oder wie Hänsel und Gretel in der Pampa aussetzen wollte.

Wir kehrten natürlich um, und im zweiten Anlauf fand sich sogar unsere Trulla zurecht. Später hatte sie aber erneut einen dieser Aussetzer und wollte uns unbedingt auf einen fast einstündigen Umweg schicken, der uns am Ende wieder genau zu unserem Ausgangspunkt zurückgebracht hätte. Von nun an begegneten wir ihr nur noch mit Misstrauen.

agr5Als wir endlich in Enna ankamen, hatte sich das Wetter verschlechtert. Es hatte zwischendurch sogar kurz geregnet und war neblig und kalt, wodurch die alte Stadt mit ihren engen, gewundenen Gassen noch schäbiger und sogar etwas trostlos wirkte. Doch auf den zweiten Blick war unverkennbar, dass sie auch über einen gewissen Charme verfügt. Vom Castello di Lombardia aus konnte man gut das Tal überblicken, das selbst in herbstliche Dunstschleier gehüllt noch wunderschön ist.

Sehenswert ist vor allem der Dom der Stadt, der von außen recht schlicht wirkt, innen aber ungeheuer beeindruckt mit seiner prunkvollen Holzdecke, seinen Altären und reichverzierten Stuckelementen, die sich deutlich von anderen Kirchen unterscheiden und dunkler und geheimnisvoller wirken. Dass fast alle Stühle aus dem Mittelschiff entfernt wurden, trägt sicherlich auch zu der besonderen Atmosphäre bei.agr6

Auf unserem Spaziergang durch die Stadt haben wir uns noch ein paar andere Kirchen angesehen, von denen sich allerdings keine mit dem Dom messen konnte. Bevor wir wieder aufbrachen, mussten wir natürlich noch das Castello besichtigen, von dessen höchstem Wachturm aus man einen tollen Rundumblick auf Sizilien hat. Und genau in dem Moment kam sogar endlich die Sonne heraus …

Eine weitere Sehenswürdigkeit der Stadt ist der Torre di Federico, ein achteckiger, von Friedrich II. erbauter Astronomieturm, der in einem kleinen Park liegt. Einen Parkplatz zu finden, erwies sich als leider unmöglich, weshalb ich loslief, um ein paar Fotos zu machen, während Mark G. das Auto bewachte. So konnte er sich wenigstens den Aufstieg und etliche Dutzend Stufen sparen, um auf den Hügel zu gelangen, nur um dort festzustellen, dass der Turm geschlossen war …

agr1Im strahlenden Sonnenschein ging es dann weiter Richtung Agrigento, wo wir am Nachmittag eintrafen und erstmal unser B&B nicht finden konnten. Die Straße, in der es liegt, ist so schmal und unscheinbar, dass wir sie zweimal mit einer Hofeinfahrt verwechselt haben. Dafür müssen wir diesmal nicht rückwärts hineinfahren.

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Nachdem wir unser Gepäck ausgeladen hatten, war noch genügend Zeit, um sich das Tal der Tempel, das nur ein paar Kilometer entfernt liegt, anzuschauen. Der Andrang war selbst am späten Nachmittag noch recht groß, aber zum Glück ist das Gelände weitläufig genug, dass man sich nicht ständig gegenseitig auf die Füße tritt. Agrigento verfügt über die besterhaltendsten griechischen Tempel überhaupt, die recht malerisch auf verschiedenen Hügeln thronen und im sanften Licht der untergehenden Sonne einfach zauberhaft aussehen. Ins Museum haben wir es leider nicht mehr geschafft, abgesehen von einer Mini-Ausstellung mit Leihgaben des Britischen Museums, aber das steht dann am Donnerstag auf unserem Programm.agr4

Die Villa, in der wir für zwei Tage wohnen, besitzt einen üppig blühenden Garten mit Pool und riesige Zimmer, die erst vor wenigen Jahren renoviert wurden. Unsere Gastgeber betreiben zudem ein winziges Restaurant, das in einer Blockhütte im Garten Quartier gefunden hat und in dem wir aus Bequemlichkeit auch zu Abend gegessen haben. Die Portionen waren recht übersichtlich, das Essen aber ausgesprochen gut. Mark G.s Pasta war schmackhaft und bodenständig, meine Auberginen (was sonst?) waren gegrillt und wurden mit Speck und Käse übereinandergeschichtet und kurz überbacken. Sehr lecker. Gut waren auch die mit einer Farce gefüllten Sardinenrouladen, von denen ich gerne noch ein oder zwei mehr verputzt hätte. Und für gute Gespräche war auch gesorgt, denn am Nachbartisch saß ein nettes amerikanisches Ehepaar, mit dem wir uns lange unterhalten haben.

So endete ein abenteuerlicher, abwechslungsreicher Tag.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.