Bei einem so kleinen B&B wie unserem hatten wir kein besonderes Frühstück erwartet. In einem Haus ähnlicher Größe, in dem wir vor Jahren in einem anderen Italienurlaub Station machten, gab es nur Automatenkaffee und eingeschweißte Croissants, aber hier wird groß aufgefahren: Unsere unglaublich netten Gastgeber hatten ein kleines Büffet aufgebaut, auf dem es natürlich vor allem Süßes gab: Neben frischem Obst, darunter die kernreichen Kaktusfeigen, Trauben, Pflaumen und Melone mit Minze, manches davon vermutlich aus eigenem Anbau, jede Menge Kekse, Marmeladen und Croissants – und sie hatten am Morgen noch einen Kuchen gebacken, der einen himmlischen Geruch verbreitete …
Solchermaßen gestärkt ging es dann los. Noto, die schönste Barockstadt Siziliens, liegt anderthalb Autostunden entfernt in den Bergen. Auch sie wurde beim Erdbeben 1693 zerstört und danach an anderer Stelle wieder aufgebaut. Wir haben gelernt, dass allein vom Adel mehr als die Hälfte aller Familien komplett ausgelöscht wurden, was zu einer gewaltigen Verschiebung im sozialen Gefüge und zu einem Aufstieg reicher Kaufleute geführt hat, die ihre neue Stellung mit prachtvollen Palästen untermauert haben. Ein Fest für Architekten, die die Gelegenheit erhielten, eine ganze Stadt am Reißbrett zu entwerfen, aber auch für Steinmetze, Maurer und Zimmerleute brachen goldene Zeiten an. Es muss Jahrzehnte gedauert haben, bis alles fertig war.
Unser größtes Problem bestand zunächst jedoch darin, überhaupt zu dieser Pracht zu gelangen. Unser Navi hatte einen schlechten Tag, wollte uns unterwegs schon in die Irre führen, brach mitten in der Wegbeschreibung ab, um die Meinung zu ändern, und schickte uns in Noto schließlich zu einem Parkhaus, das nicht existierte und niemals existiert hatte. Nicht einmal vor dem großen Erdbeben. Unglücklicherweise war auch noch jede zweite der handtuchschmalen Gassen eine Einbahnstraße, und jede dritte wegen Bauarbeiten gesperrt. Es war ein Alptraum. Nach einer ganzen Weile – und einer (notgedrungenen) Geisterfahrt durch eine Einbahnstraße – fanden wir endlich einen Parkplatz, sogar nahe des Zentrums und konnten unsere Tour beginnen.
Das nächste Problem waren die unkundigen oder unwilligen Eingeborenen. Zwei Frauen, die wir nach einer bekannten Kirche an einer bestimmten Piazza fragten, wollten entweder nicht zugeben, dass sie sich nicht auskannten, oder schickten uns absichtlich in die entgegengesetzte Richtung. Dabei arbeiteten sie in einer Apotheke, die nur zwei Straßen von der Piazza entfernt lag!
Und natürlich waren alle Kirchen geschlossen. Laut unserem Reiseführer sind es die meisten außerhalb der Gottesdienste immer, einige haben aber wenigstens hin und wieder geöffnet, allerdings nicht in der Mittagszeit. Dumm gelaufen. Immerhin ist die Stadt hübsch genug, um uns auf andere Art zu entschädigen. Der Corso Vittorio Emanuele ist die Hauptstraße Notos, an der die meisten Sehenswürdigkeiten liegen. Geht man sie einmal hinauf und wieder hinunter, hat man das meiste innerhalb von einer guten Stunde gesehen und kann sich ein leckeres Granita mit Brioche gönnen. Heute habe ich Ananas und Pfirsich-Basilikum probiert, die beide richtig lecker waren.
Von innen haben wir relativ wenig anschauen können. Immerhin haben wir einen Palazzo besichtigt, der im 19. Jahrhundert noch einmal umgestaltet worden war und sehr biedermeierlich wirkte, und drei Kirchen waren zu guter Letzt doch noch offen. Immerhin konnten wir auch kurz in die Kathedrale huschen, die wegen einer Beerdigung geöffnet war. So wimmelte es innerhalb kurzer Zeit nur so von Touristen, die sich an den Trauergästen vorbeidrängten, und nach der Messe wurde der Sarg die Hauptstraße hinuntergetragen – in einer etwas makabreren Prozession vorbei an den Touristen in den Straßencafés und Souvenirläden. So erfährt das barocke memento mori eine überraschend neuzeitliche Bedeutung …
Die Kuppel des Doms war 1996 übrigens eingestürzt und wurde Jahre später wieder aufgebaut, wodurch die Kirche eine moderne Prägung erhalten hat, die sehr gelungen ist. Altertümlich hingegen sind nach wie vor die starren Öffnungszeiten. Eine Siesta macht in solch südlichen Ländern ja durchaus Sinn und ist Teil der traditionellen Lebensweise, aber in stark frequentierten Touristenorten und außerhalb des Sommers wirkt sie einfach nur überholt. Es war beispielsweise nahezu unmöglich, um halb fünf am Nachmittag etwas zu essen zu bekommen. Die einzige Pizzeria, die nicht nur Getränke, sondern auch Speisen angeboten hat, war entsprechend voll. Irgendwie scheinen die Nachbarläden allerdings daraus keine Lehren zu ziehen.
Auf der Rückfahrt wurden wir wieder einmal Zeugen der unbändigen Lebenslust und Kreativität der Italiener. Auf einer Strecke mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit fuhren wir 90 und wurden ständig überholt. Selbst als wir eine Polizeikontrolle passierten, interessierte es die Carabinieri keinen Deut, dass wir fast doppelt so schnell waren wie erlaubt. Das originellste Vehikel, das uns im dichtesten Stadtverkehr entgegenkam, war ein Einspänner, wie er bei Pferderennen benutzt wird – aber mit einer Pferdestärke kommt man nicht weit, wie die endlos lange Kolonne von Fahrzeugen dahinter bestätigen konnte …